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Unterschätzte Perle Unterschätzte Perle: Gommern lädt zum Sachsen-Anhalt-Tag

Von corinna nitz 22.06.2013, 14:44
Gommern will entdeckt werden, zu sehen gibt es manches: die Skulptur eines Steinhauers, Kirchen, Wasserburg, Gärten und sogar eine Wanderdüne.
Gommern will entdeckt werden, zu sehen gibt es manches: die Skulptur eines Steinhauers, Kirchen, Wasserburg, Gärten und sogar eine Wanderdüne. aLEXANDER baumbach Lizenz

Der Bronzemann ist 1,40 Meter hoch und 350 Kilogramm schwer. Mitten in Gommern kniet er - auf dem Steinhauerplatz - und schuftet. Sowohl der Name des Platzes als auch die Statue erinnern daran, dass über Jahrhunderte die Steinbrüche um Gommern ertragreich Quarzit lieferten. Manches Gebäude wurde damit errichtet, darunter auch das nahegelegene Schloss Leitzkau. Zu DDR-Zeiten hat man das Gestein zudem verkauft. Willkommen im Carrara des Jerichower Landes?

Auf individuellen Wegen

Zumindest als steinreich bezeichnet Jens Hünerbein unter Hinweis auf die einstigen Steinbrüche scherzhaft seine kleine, vor den Toren Magdeburgs gelegene Stadt, die ab 28. Juni den Sachsen-Anhalt-Tag ausrichten wird. Gommerns Bürgermeister ist ein junger Mann und zuversichtlich, dass die 5 300-Seelen-Stadt den erwarteten Besucherandrang gut bewältigen wird. Von bis zu 250 000 Gästen war vor einiger Zeit die Rede, da hat an Hochwasser noch niemand gedacht. Gommern selbst, das an der Ehle, einem Nebenfluss der Elbe liegt, blieb von den jüngsten Fluten verschont, aber wo es ging, haben sie geholfen. Jetzt wird das Landesfest also zu einer Benefiz- und Dankeschönveranstaltung für Flutopfer und Helfer; geändert wurde insoweit auch das Motto: statt „Kunterbunt und einfallsreich“ lautet das jetzt „Sachsen-Anhalt sagt Danke“.

Erste Überlegungen, sich für die Ausrichtung der 17. Auflage zu bewerben, gab es bereits 2010. Damals war Wolfgang Rauls noch Bürgermeister in Gommern, heute leitet er das örtliche Organisationsbüro. Über ihr Konzept sagen Rauls und Hünerbein: „Wir wollen individuelle Wege gehen.“ Dazu gehört auch, dass sie bei der Gestaltung des Ortes auf die „typischen Wimpel“ verzichten und stattdessen auf Plakate setzen. Gemalt haben die Schüler der Stadt, mehrere Motive gibt es: Rathaus und Wasserburg, einen kleinen, Kulk genannten See, den Steinhauer und die Kirche St. Trinitatis. 150 großformatige Plakate werden den Ort schmücken. Ein jedes, sagt Rauls, ist ein Unikat.

Was übrigens den Ort betrifft: Dessen Wahrzeichen ist die Wasserburg. Die Anfänge der Anlage gehen zurück bis ins Jahr 948. 1578 ließ der sächsische Kurfürst August Teile der Burg abreißen und gab den Umbau zu einem Jagdschloss in Auftrag. Später hat das Ensemble andere und keineswegs nur positive Nutzungen erfahren. Lange diente es als Gefängnis - noch 1953, als am 17. Juni Arbeiter gegen ihren Arbeiter-und-Bauern-Staat aufbegehrten, saßen dort Hünerbein zufolge politische Häftlinge ein. Danach wurde in der Burg bis 1969 ein „Heim für soziale Betreuung“ betrieben, bis zur politischen Wende nutzte man das Gebäude zur Berufsausbildung. Heute ist die Wasserburg ein Hotel mit angeschlossener Gaststätte und Brauereibetrieb. Pittoresk präsentiert sich der Innenhof und dort, unter altem Baumbestand kann man auch den von Einheimischen empfohlenen Gommerlunder verkosten. Was nach Hochprozentigem klingt, ist erfrischende Fassbrause, hergestellt aus Holunder und - Nomen est omen - exklusiv wohl nur in Gommern zu haben.

Es muss nicht immer Meer sein

Ziemlich exklusiv ist auch der Kulk samt einer großen Wanderdüne, welche man eher am Meer erwartet. Bevor der See entstand, wurde an seiner Stelle Quarzit gefördert. Am Ufer haben sie 1995 einen Gesteinsgarten eröffnet. In der Sammlung finden sich Gesteinsarten auch aus Frankreich und China, zu den 245 Exponaten gehören beispielsweise Erstarrungs- und Sedimentgesteine.

König Otto I. war’s

Was es noch gibt am Kulk? Zum Beispiel einen Heidegarten. Oder die Nachbildung eines Fürstengrabes. Das Original wurde am Rand von Gommern gefunden und auf das dritte Jahrhundert nach Christus datiert. Weil es mit prunkvollen Beigaben ausgestattet war, ist in einer Imagebroschüre der Stadt vom bislang reichsten germanischen Grabfund auf deutschem Boden zu lesen. Es gibt am See auch einen Aussichtsturm - aus 17 Metern Höhe hat man einen ultimativen Ausblick, bei guter Sicht bis nach Magdeburg, in jedem Fall auf Gommern. Dessen Geschichte reicht weit zurück: Erstmals urkundlich erwähnt wird Gommern als Guntmiri 948 von König Otto I. Vom 13. bis Anfang des 19. Jahrhunderts bestand das „Amt Gommern“ als kursächsische Exklave, 1713 wird Gommern Stadt genannt, 29 Jahre später das erste Apothekenprivileg erteilt. Noch einmal 40 Jahre dauert es bis zur Berufung des ersten Amtsarztes, der - die Köthener werden es verschmerzen - Samuel Hahnemann, Begründer der Homöopathie, war.

Es fallen noch mehr bekannte Namen: Schloss Leitzkau etwa war lange im Besitz derer von Münchhausen. In Schloss Dornburg lebte Fürstin Johanna Elisabeth, Mutter der russischen Zarin Katharina II. Am Ende sei die Erinnerung an die Befreiungskriege vor 200 Jahren Anlass gewesen, sich für den Sachsen-Anhalt-Tag zu bewerben. Denn das erste erfolgreiche Gefecht der Verbündeten gegen die Truppen Napoleons fand lange vor Leipzig am 5. April 1813 bei Vehlitz statt.

Nicht vom Brot allein

Vehlitz gehört heute mit weiteren Dörfern zur Einheitsgemeinde Stadt Gommern (siehe auch „Ein kurzer Streifzug...“). Und der scheint es gut zu gehen, davon zeugen nicht nur hübsch sanierte Gebäude. Im Gegensatz zu anderen kleinen Gemeinden in Sachsen-Anhalt hat man in Gommern auch nicht nur die (sprichwörtliche) Kirche im Dorf gelassen, sondern die Schulen ebenso, selbst ein Gymnasium gibt es. Und, so Rauls, mit acht Kindertagesstätten eine „hundertprozentige Bedarfsdeckung bei der Betreuung der Null- bis Sechsjährigen“. Zwar kann auch in Gommern von Vollbeschäftigung nicht die Rede sein, gleichwohl haben sich Betriebe angesiedelt, gebe es berufliche Perspektiven. Nicht zu verachten sind die Freizeitangebote im Umland - der Mensch lebt schließlich nicht vom Brot allein.

Ist Gommern also eine verkannte Perle? Rauls lächelt. Sollte dieser Eindruck tatsächlich bestehen, dann, so sagt er, sei das ja noch ein Grund mehr, Gommern bekannt zu machen. Und wo geht das besser als bei einem Landesfest?

Wanderdüne in Gommern.
Wanderdüne in Gommern.
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