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Ulrich Marseille Ulrich Marseille: Küchenschaben und U-Boote

Von Alexander Schierholz 06.08.2006, 15:51

Halle/MZ. - Der Rückzug erfolgte ebenso geräuschlos wie überraschend: Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Marseille seinen Wohnungsbestand im Plattenbau-Stadtteil Halle-Neustadt bereits im März komplett veräußert hat (die MZ berichtete). Neuer Eigentümer ist die Kölner Finanzgesellschaft Vivacon AG. Sie soll für die Hochhäuser rund 100 Millionen Euro gezahlt haben.

Wert gesteigert

Trifft das zu, dann hat Marseille den Wert der 2 800 Wohnungen in den vergangenen zehn Jahren erheblich gesteigert: 1996 hatte der Hamburger Geschäftsmann der kommunalen Halle-Neustädter Wohnungsgesellschaft (GWG) mehr als 70 Millionen Mark gezahlt - für den unsanierten Bestand. Marseilles EWG Hansel KG legte sich mächtig ins Zeug: Die GWG hatte dem Hanseaten zehn Jahre Zeit eingeräumt, um die Häuser zu sanieren. Doch schon Ende 1998 fielen am letzten Objekt die Gerüste.

Nach dem Einstieg Marseilles in Neustadt ließ der erste Konflikt nicht lange auf sich warten: Anfang 1998 verlangte der Unternehmer von der GWG Ersatz für Mieter-Parkplätze, die dem neuen Bürohaus des kommunalen Vermieters weichen mussten. Das war nur der Anfang: Später stritt Marseille mit dem städtischen Energieversorger um die Höhe der Heizkosten, mit einem Kabelanbieter um das Kabelfernsehen - er wollte in seinen Häusern ein zweites Netz installieren.

Höhepunkt der Auseinandersetzungen mit der Halle-Neustädter Wohnungsgesellschaft: Marseille verklagte sie auf 115 Millionen Euro Schadenersatz. Er sah sich beim Kauf der Wohnungen über die Höhe der Mieteinnahmen getäuscht. Bizarre Züge nahm der Streit an, als im Gerichtssaal Details bekannt wurden: Demnach beklagte sich Marseille, die Wohnungen seien von Schaben befallen, das mindere die Vermietbarkeit.

Bizarrer Streit

Brachten also letztlich Küchenschaben den heute 50-Jährigen dazu, Geld in die Kommunalpolitik zu stecken? Darüber darf munter spekuliert werden. Pikanterweise zu dieser Zeit selbst Mitglied der halleschen CDU, sponserte der Zwei-Meter-Mann Marseille zur Kommunalwahl 1999 die eigens gegründete "Mieter- und Bürgerliste" (MBL). Die Truppe machte den Wahlkampf zu einer Materialschlacht, warb mit populistischen Sprüchen - und holte auf Anhieb vier Mandate im Stadtrat. Kritiker warfen Marseille vor, er wolle über die Liste "U-Boote" im Stadtrat installieren, um so Einfluss auf die städtische GWG auszuüben. In dem Aufsichtsrat der Gesellschaft sitzen nämlich auch Stadträte.

Doch dazu kam es nicht, die MBL-Fraktion war zu klein, um Aufsichtsposten zu erhalten. Ein langes Leben war ihr nicht beschieden: Keine drei Jahre später ging sie in einer anderen Fraktion auf, heute sitzt keiner ihrer Leute mehr im Rat. Auch ein von Marseille unterstützter parteiloser Kandidat scheiterte bei der Oberbürgermeisterwahl im Jahr 2000.

Im Millionenstreit mit der GWG kämpfte Marseille mit harten Bandagen, warf zum Beispiel einem Richter Inkompetenz vor. Dennoch unterlag er erst vor dem Land-, dann vor dem Oberlandesgericht. Auf eine Revision vor dem Bundesgerichtshof verzichtete er. Später geriet der Hamburger in Verdacht, er habe in einer der Verhandlungen einen Zeugen zur Falschaussage verleiten wollen. Ein Verfahren gegen ihn wurde eingestellt.

Kein Gespräch

Wirtschaftlich ist Ulrich Marseille nach wie vor eine Größe in Sachsen-Anhalt: Die Marseille-Kliniken AG, deren Aufsichtsrat er vorsitzt, betreibt sieben Seniorenwohneinrichtungen, zwei Pflegeheime und eine Klinik. Passt das hallesche Immobilien-Geschäft dazu nicht? Hat er die Wohnungen deshalb verkauft? Dem Vernehmen nach will der Unternehmer sich auf sein Kerngeschäft zurückziehen. Ein Gespräch mit ihm kam trotz mehrmaliger Anfragen der MZ in seinem Hamburger Büro nicht zustande. Marseille halte sich derzeit im Ausland auf und sei schwierig zu erreichen, hieß es.