Sorge um Wintersport in Mittelgebirgen Sorge um Wintersport in Mittelgebirgen: Schnee wird per Lkw aus dem Ruhrpott geholt

Oberhof - Zehntausende Fans an der Strecke, Athleten aus 30 Ländern in der Loipe und Millionen Zuschauer vor dem Fernseher: Der Biathlon-Weltcup im thüringischen Oberhof, der am Donnerstag beginnt, gilt als größtes Wintersportereignis Mitteldeutschlands.
Und damit das Ski-Spektakel stattfinden kann, wird vieles in Bewegung gesetzt. So auch 35 Lastwagen, die sich Ende vergangener Woche in Gelsenkirchen auf den Weg machten, um das weiße Gold des Wintersports nach Oberhof zu bringen: den Schnee.
Gefrorenes Wasser durch Deutschland fahren
Im nordrhein-westfälischen Gelsenkirchen findet jedes Jahr Ende Dezember in der Schalke Arena ein großes Biathlon-Event statt. Dafür wird Kunstschnee in rauen Mengen hergestellt. Nach dem Wettkampf liegt der jedoch ungenutzt herum. „Wir haben eine Kooperation mit dem Veranstalter auf Schalke“, erklärt Silvio Eschrich, Organisationschef des Weltcups in Oberhof.
Der Schnee darf kostenlos verwendet werden, nur für die 350 Kilometer lange Fahrt aus dem Ruhrpott kommen die Thüringer auf. „Für uns ist das eine überschaubare Investition, die allerdings unseren Weltcup absichert“, meint Eschrich.
Gefrorenes Wasser hunderte Kilometer durch Deutschland zu kutschieren – Eschrich bezeichnet das als Notwendigkeit. Nicht wenige nennen es „ökologischen Wahnsinn“. Was der Schneetransport im 40-Tonner auf jeden Fall zeigt: Es müssen mittlerweile einige Anstrengungen unternommen werden, um die mitteldeutschen Mittelgebirge in weiße Winterwelten zu verwandeln.
Hänge bleiben immer öfter schneelos
Immer häufiger bleiben die Hänge der hiesigen Berge nämlich auch in der kalten Jahreszeit vom Eise befreit. Eine Folge des Klimawandels, sagt Christian Reinboth. Der Umweltwissenschaftler aus Wernigerode (Harz) hat gerade eine Forschungsarbeit veröffentlicht, die sich auch mit der Schneesituation in Mittelgebirgen befasst:
„Die Winter werden im Durchschnitt kürzer, wärmer und regenreicher“, sagt Reinboth. Es komme zwar auch künftig noch zu knackig kalten Jahren mit viel Schnee. „Nur wird der Anteil solcher Saisons von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer weiter abnehmen, während zugleich der Anteil der Saisons steigen wird, in denen Temperatur und Niederschläge sogar eine künstliche Beschneiung verhindern.“
110 Lanzen und 15 Kanonen
Künstliche Beschneiung – für Dirk Nüsse ist das zur winterlichen Normalität geworden. Der 62-Jährige ist Prokurist der Wurmbergseilbahn in Braunlage. In der niedersächsischen Stadt, direkt an der Grenze zu Sachsen-Anhalt, liegt das Top-Skigebiet des Harzes. Schnee, der vom Himmel herabgefallen ist, findet sich dort allerdings kaum noch. Wer den Wurmberg hinabwedelt, fährt vorbei an 15 Schneekanonen und 110 Schneelanzen. „Ohne die geht es nicht“, sagt Dirk Nüsse.
Und sogar mit ihnen geht es nicht wirklich gut. „Diese Saison ist schlecht gestartet“, erzählt der Prokurist. Die Schneekanonen, die nur bei Minus drei Grad Celsius und kälter produzieren können, konnten erst nach Weihnachten angeworfen werden. Vier Kilometer Abfahrtsstrecke sowie eineinhalb Kilometer Rodelhang sind aktuell weiß. „Der späte Beginn ist ärgerlich, aber wir haben uns daran gewöhnt“, sagt Nüsse. Dafür gehe die Saison in manchen Jahren bis in den April. „Zwei bis drei Monate Skisport waren bisher immer möglich.“
Zehn Millionen Euro für Winterspaß auf Wurmberg
Der Winterspaß ist allerdings teuer erkauft. Etwa Zehn Millionen Euro aus Steuermitteln wurden in den vergangenen zehn Jahren in die Aufwertung des Wurmbergs gesteckt. Nach Oberhof ging noch weitaus mehr Geld. Mehr als 200 Millionen Euro sind seit 1990 in das Wintersportmekka am Rennsteig geflossen. Immer wieder sorgte das für Kritik.
Doch nicht nur diese Förderpraxis wird bemängelt, sondern auch die ökologischen Folgen des Ausbaus der Skizentren. Schätzungen zufolge verbrauchen die Schneekanonen Europas pro Jahr so viel Energie wie eine Stadt mit 150 000 Einwohnern. Und so viel Wasser wie Hamburg.
Auch Umweltwissenschaftler Christian Reinboth betont diesen Aspekt. Die Wasserentnahme sei bei einer zunehmenden Verknappung dieses Gutes „nicht immer ökologisch unbedenklich“. Hinzu käme die Störung der Pflanzen- und Tierwelt sowie die Steigerung der Erosionsanfälligkeit bearbeiteter Pistenflächen. Mit Blick auf die CO2 -Bilanz der Wintersportgebiete ist laut Reinboth jedoch auch noch ein ganz anderer Faktor entscheidend:
„Der Hauptteil des Klimaeffekts – nahezu drei Viertel – wird durch den An- und Abreiseverkehr sowie durch die Mobilität vor Ort generiert.“ Diesen Individualverkehr zu verringern sei allerdings eine Herausforderung, die der Tourismus im Allgemeinen habe.
Künstliche Beschneiung zwischen wirtschaftlichen Interessen und Umwelt
Schneemangel, hohe Kosten für Infrastruktur und Beschneiung sowie die Auswirkungen auf die Umwelt: Angesichts dieser Gemengelage müssten sich die einzelnen Akteure schon fragen, ob sich weitere Investitionen in den Skisport-Tourismus noch lohnen, sagt Reinboth. „Ein Seilbahn-Investor wird da möglicherweise zu anderen Ergebnissen kommen als eine Kommune oder ein Umweltschützer.“
Wenn Skispringer bei ihrem Sommer Grand Prix in die Luft gehen, landen sie bereits auf Kunststoffmatten. An Schnee ist im Juli und August noch nicht zu denken. Jedoch wird die weiße Decke auch in den Wintermonaten immer spärlicher.
Deswegen tüfteln Wissenschaftler an Alternativen. Eine der aussichtsreichsten kommt aus Sachsen. Dort wollen ein Textilunternehmen aus dem Vogtland und das Chemnitzer Start-up „Mr. Snow“ Teppiche als Schneeersatz salonfähig machen.
Entwickelt wurden dazu verschiedene Gleitmatten, die auf die jeweiligen Bedürfnisse von Langläufern und Abfahrern abgestimmt wurden. Die moderne Technik hat allerdings auch ihren Preis. Einen mittelgroßen Hang mit den Teppichen zu belegen, kostet laut Hersteller etwa eine halbe Million Euro.
In China und Skandinavien gebe es bereits Kunden. Im mitteldeutschen Raum noch nicht. Bei anhaltender Klimaveränderung ist es allerdings nur eine Frage der Zeit, bis die Teppiche auch hier zu finden sind.
Fragt man die Betreiber der Skigebiete, argumentieren diese vor allem mit der wirtschaftlichen Bedeutung des Wintersports. Der Wurmberg, so rechnet es die Seilbahn-Gesellschaft vor, lockt jährlich 230 000 Besucher an und sichert so 500 Vollzeit-Arbeitsplätze vor Ort. „Das Skigebiet ist gut für die Region“, sagt Dirk Nüsse.
Nicht anders sieht man das in Oberhof. Nach Erfurt und Weimar ist der 1 500-Einwohner-Ort das Top-Reiseziel in Thüringen. 20 Millionen Euro Umsatz werden allein mit dem Biathlon-Weltcup gemacht. Wenn der ausfällt – wie 2016 geschehen – dann ist das eine regionale Katastrophe. Das weiße Gold ist zur Existenzgrundlage geworden – nicht nur im Tourismus.
„Der Schnee, den wir für den Weltcup brauchen, sichert hier die gesamte Sportsaison“, verdeutlicht Oberhofs Orga-Chef Silvio Eschrich. Viele Wettkämpfe in allen Altersklassen werden auch auf den Flocken aus dem Ruhrpott ausgetragen. Sie erhalten ein Sportökosystem, das seit Jahrzehnten für Medaillen bei Sportgroßereignissen sorgt – und viele Jobs sichert.
Wie lange noch Wintersport?
Die Wintersportorte sind abhängig vom weißen Stoff. Doch wie lange geht das noch gut? Christian Reinboth sagt, dass das nicht pauschal vorherzusagen sei. „Es ist aber anzunehmen, dass ein wirtschaftlich tragfähiger Kunstschneebetrieb an den meisten hiesigen Standorten nur noch bis maximal in die 2030er hinein möglich sein wird.“ Deswegen müsse man bereits jetzt überlegen, wie man auf diesen Wandel reagiere.
In Oberhof heißt die Marschrichtung: Wintersport um jeden Preis. 2015 wurde ein Schneedepot angelegt und gerade wird noch einmal in die Beschneiungstechnik investiert. Am Wurmberg geht man einen etwas anderen Weg. „Wir bauen das Sommer-Freizeitprogramm nach und nach aus“, sagt Dirk Nüsse. Bergab geht es mittlerweile auch mit Monsterroller und Mountainbike. Auf dem Gipfel ist zudem eine Erlebniswelt entstanden. „Zuletzt haben wir rund um den Bergsee einen Flusslauf gebaut, an dem Kinder im Sommer spielen können.“
Doch vom Wintersport abrücken – davon ist man auch in Braunlage noch weit entfernt. „Wir sind das einzige Skigebiet in Norddeutschland“, sagt Dirk Nüsse. Der Andrang sei ungebrochen hoch. „Da würde sich der Betrieb sogar lohnen, wenn wir nur an 50 Tagen im Jahr Schnee hätten.“ (mz)