Wende im Kuhstall Wende im Kuhstall: Öko-Landbau mit Melk-Robotern und Drohnen

Wiepke - Bio-Bauer zu sein, konnte sich Franz Becker lange Zeit nicht vorstellen. Der junge Landwirt mit den blonden Haaren aus der Altmark ist zusammen mit seiner Schwester Linda quasi in Gummistiefeln auf dem elterlichen Hof in Wiepke groß geworden. Der heute 29-Jährige hat Agrarwissenschaften in Berlin studiert. „Verfahrenstechnik und Pflanzen-Physiologie haben mich interessiert“, sagt er. Der Fachbereich Bio-Landbau sei ihm „eher suspekt“ gewesen. „Dort saßen meist Studenten mit Turnschuhen und zu langen Strickpullovern, die sich für urban gardening begeisterten“, sagt er. Also einer eher städtischen Gärtnerei. Becker ist auch damals nicht gegen eine nachhaltige Betriebsführung gewesen. Doch ihm stieß auf, dass das konventionell wirtschaftenden Bauern wie seinen Eltern abgesprochen wurde. Und dennoch: Seit knapp zwei Jahren ist der Familienbetrieb mit 729 Rindern, davon 280 Milchkühen, ein Öko-Hof. Die Beckers stehen für einen Trend. Immer mehr Agrar-Unternehmen stellen auf Bio um (siehe „Bio-Boom“). Warum passiert das gerade?
Anfangs gab es Skepsis in der Familie
Die flachen, grauen Ställe in Wiepke, etliche wurden noch in der DDR errichtet, sind umgeben von weiten Weiden und einem Wäldchen. Nach der Wiedervereinigung haben Michael und Kerstin Becker den Betrieb mit damals 80 Kühen aus einer Genossenschaft heraus privatisiert. Tochter Linda Becker erinnert sich, dass sie als kleines Mädchen mit den Kühen noch auf der Weide stand. Doch mit der Modernisierung der Ställe und der Vergrößerung der Herde war irgendwann Schluss mit der Freilandhaltung - aus Kostengründen. 2012 ersetzte der Betrieb einen alten Melkstall durch moderne Roboter, die das Melken der Tiere übernahmen. Doch obwohl der Hof seine Effizienz jedes Jahr steigerte, blieb immer weniger Geld in der Kasse. 2015 und 2016 zahlten die Molkereien zwischenzeitlich weniger als 20 Cent je Liter für die Milch aus. Um kostendeckend zu arbeiten, sind allerdings je nach Unternehmen 35 bis 40 Cent nötig.
Der Bio-Landbau in Sachsen-Anhalt ist 2017 wegen einer massiven Erhöhung der Förderung deutlich gewachsen. Die Zahl der Ökobetriebe stieg um 14 Prozent auf 463 an, diese bewirtschaften 71.700 Hektar. Damit wirtschaftet inzwischen jeder zehnte Agrar-Betrieb ökologisch.
Sachsen-Anhalts Agrarministerin Claudia Dalbert (Grüne) will den Anteil auf 20 Prozent steigern. Dafür wurde die Förderung massiv erhöht. Bei der Einführung ökologischer Anbauverfahren erhalten die Betriebe in den ersten zwei Jahren eine Umstellungsprämie von 403 Euro je Hektar - vorher waren es 230 Euro im Ackerbau. Im Gemüseanbau verdreifachte sich die Prämie sogar auf 1.215 Euro je Hektar. Ab dem dritten Jahr wird im Ackerbau eine Zahlung von 273 Euro je Hektar gewährt. Die Mittel dafür stammen aus EU-Fonds.
Der Absatz von Bioprodukten steigt. Erstmals lag der Umsatz in der deutschen Biolebensmittelbranche im Jahr 2017 über zehn Milliarden Euro - ein Plus von sechs Prozent zum Vorjahr. Ein Großteil der Bioprodukte muss jedoch importiert werden, da die Produkte hier nicht wachsen oder nicht in ausreichendem Maße hergestellt werden. So gibt es in Sachsen-Anhalt beispielsweise keine Bio-Molkerei.
Der Anteil der Biomilch am Gesamtmarkt liegt in Deutschland nur bei drei Prozent. Im Jahr 2017 erhöhte sich die Menge der ausgelieferten Biomilch allerdings um ein Viertel. Die Preise schwankten in den vergangenen Jahren nur leicht zwischen 45 und 50 Cent je Liter. Bei der konventionellen Milch lagen die Preissprünge dagegen zwischen 20 und 42 Cent je Liter.
Auch der Familienbetrieb mit neun Mitarbeitern stand vor der Frage: Wie weiter? Linda Becker brachte als erste das Thema Bio ins Spiel. Sie studierte in Stuttgart Landwirtschaft und hatte sich intensiv mit dem Thema Ressourcenschutz beschäftigt. „Anfangs wurde das abgelehnt“, sagt sie. Doch die 31-Jährige, die man meist mit Bluse, Jeans und festem Schuhwerk antrifft, erstellte detaillierte Rechnungen, wie sich die Preise im konventionellen Bereich und im Ökolandbau in den vergangenen Jahren entwickelt haben. „Meine Eltern haben 25 Jahre lang den Hof aufgebaut, um das zu sichern, mussten wir etwas ändern.“ Ihr Bruder nickt. Zudem gab es auch Zweifel, ob alle Entwicklungen im Betrieb so richtig waren. „Jeder Mensch muss an die frische Luft und an die Sonne, damit er gesund bleibt. Bei Kühen ist das nicht so viel anders“, sagt sie. Zwei Jahre sei intensiv debattiert worden. „Am 15. Mai 2016 haben wir dann den Antrag zur Förderung des Öko-Landbaus abgeschickt.“ Für den Betrieb begann eine neue Zeit - die jedoch kein Zurück auf Großvaters Bauernhof ist.
Automatischer Futterschieber: Staubsaug-Roboter im XXL-Format
Ein Blick in den Stall zeigt das: Einige schwarz-weiß gescheckte Kühe liegen in Boxen voll Stroh, andere stehen am Rand des Gitters und fressen langsam vor sich hin. Die Rinder halten, so sieht es aus, kollektiv Mittagsruhe. Die Stille wird nur von einem automatischen Futterschieber gestört. Das Gerät, das einem Staubsaug-Roboter im XXL-Format ähnelt, fährt durch die Gänge und häuft das Futtermittel zu den Kühen. „Dieser Apparat kostet so viel wie ein Kleinwagen“, sagt Landwirt Becker. Doch das autonome Gerät ist ein Ausdauerläufer - es kann 356 Tage im Jahr rund um die Uhr arbeiten.
Ab Frühjahr kommen die Tiere auf die Weide. „Sie laufen allein raus und kommen auch allein wieder zu den Melk-Robotern“, erklärt er. Anfangs befürchtete Becker, dass die Rinder auf der Weide zu wenig fressen und damit die Milchleistung drastisch sinkt. Die Sorge hat sich zerstreut. Wenn der Landwirt über die Fütterung spricht, wird schnell erkennbar, dass sein sportlicher Ehrgeiz geweckt ist. „Wir können kein Kraftfutter wie zugekauftes Soja mehr verwenden, doch mit dem eigenen Getreide haben wir in der Futterqualität nicht verloren.“
Technik hilft auch dabei, gegen Schädlinge vorzugehen
Die Arbeitsgeräte Striegel und Hacke haben auf dem Acker Mittel auf chemischer Basis ersetzt. „Der Arbeitsaufwand auf dem Feld ist dadurch um ein Drittel gestiegen“, sagt Linda Becker. So wird mit dem Striegel der Boden bearbeitet, um Unkraut zu begegnen. Technik hilft auch dabei, gegen Schädlinge vorzugehen. Um den Maiszünsler zu bekämpfen, sollen beispielsweise in diesem Jahr per Drohne Schlupfwespen als Nützlinge ausgebracht werden.
Tilmann Dreysse, Berater des Ökolandbau-Verbandes Naturland, sagt: „Viele Agrarfirmen haben die Sorge, bei einer Umstellung auf Bio große Ernteverluste zu erleiden.“ Doch das sei unbegründet. Es gebe für alle Standorte im Land inzwischen Erfahrungen, welcher ökologische Anbau möglich und rentabel ist. Nach seinen Worten schaffen fast alle Unternehmen den Wechsel des Systems. „In den vergangenen zwei Jahren gab es bei den Betrieben, die ich beraten habe, nur eine Rückumstellung.“ Laut Dreysse ist das Interesse am Öko-Landbau stark gestiegen. Verantwortlich dafür sei einerseits eine höhere Förderung durch das Land Sachsen-Anhalt, andererseits die gesunkenen Preise für Getreide und Milch im konventionellen Bereich. „Es sind vor allem wirtschaftliche Gründe, die die Betriebe bewegen, den Biolandbau aufzunehmen“, sagt er. „Bei der intensiven Beschäftigung mit dem Öko-Anbau kehrt bei vielen aber auch der Spaß an der Landwirtschaft zurück.“
Umstellung des Familienbetriebes war ein Kraftakt
Für die Umstellung musste der Familienbetrieb Becker zunächst einmal kräftig investieren. „Vor allem die zusätzliche Technik ist teuer“, sagt Linda Becker, die sich um die Finanzen kümmert. Auch wenn bereits auf chemische Dünge- und Pflanzenschutzmittel verzichtet wird, dürfen die Produkte erst nach zwei Jahren mit dem Label Bio verkauft werden. Das Land unterstützt die Landwirte zwar mit einer Prämie, doch auch diese wird erst rückwirkend ausgezahlt. „Finanziell ist das ein Kraftakt“, sagt Becker.
Die Milch wird nun nicht mehr an die Frischli-Werke nach Weißenfels (Burgenlandkreis) geliefert, sondern an eine Bio-Molkerei in Mecklenburg-Vorpommern. 42 Cent je Liter zahlt diese aktuell. „Auch im Bio-Bereich sind die Preise zuletzt gesunken, das Niveau ist aber insgesamt viel höher“, sagt die Landwirtin. Die Familie ist davon überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. „Beim Kauf der Milch spielt bei immer mehr Verbrauchern nicht nur Preis und Qualität, sondern auch das Tierwohl eine Rolle“, sagt Becker. „Das haben wir als Landwirte auch gefordert.“ Die Melk-Roboter und die Weidehaltung hätten auf ihrem Hof dazu geführt, dass die Tiere ruhiger geworden sind. Ein Zuchtprogramm soll zudem die Langlebigkeit fördern. Um es anschaulich zu sagen, zieht Linda Becker den Vergleich zur Autobranche: „Wenn Autobauer merken, dass sich die Nachfrage ändert, müssen sie reagieren. Sonst verschwinden sie irgendwann vom Markt.“ (mz)
