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Tödliche "Friederike" Tödliche "Friederike": Orkan fordert drei Menschenleben in Sachsen-Anhalt

Von Julius Lukas 20.01.2018, 07:00
Auf der Straße zwischen Stolberg und Auerberg geht auch am Freitagmorgen nichts mehr. Die Straße ist wegen rund 50 umgestürzter Bäume gesperrt. 
Auf der Straße zwischen Stolberg und Auerberg geht auch am Freitagmorgen nichts mehr. Die Straße ist wegen rund 50 umgestürzter Bäume gesperrt.  Schedwill

Benndorf - Die beiden Jugendlichen sitzen auf den Treppenstufen, die zum Unglückshaus am Rande von Benndorf (Mansfeld-Südharz) führen. Die Kapuzen ihrer schwarzen Pullover haben sie sich tief ins Gesicht gezogen, sie blicken ins Leere, ihre Augen sind gerötet.

Es sind Angehörige des Mannes, der am Donnerstag bei einem Sturz tödlich verunglückte. Während der Orkan „Friederike“ über Benndorf hinweg zog, stieg der 65-Jährige auf sein Haus, um das Dach zu sichern - eine fatale Entscheidung. Von einer Windböe erfasst, stürzte er mehrere Meter nach unten. Noch am Donnerstagabend erlag er seinen Verletzungen.

Der Mann aus Benndorf ist eines von drei Opfern, die im Süden Sachsen-Anhalts in Folge des heftigsten Sturms der vergangenen Jahre getötet worden sind. In Hohenmölsen wurde ein 35-Jähriger von einem Baum erschlagen. Ebenfalls im Burgenlandkreis starb am Freitag ein Mann in direkter Folge des Orkans. Als er heruntergefallene Äste vom Dach seines Hauses in Uichteritz räumen wollte, erlitt er einen Herzinfarkt. Die Feuerwehr konnte den bereits bewusstlosen Mann zwar mit einer Drehleiter vom Dach retten. Die Reanimationsversuche blieben jedoch ohne Erfolg.

Neben diesen drei Toten starben bundesweit noch sechs weitere Menschen in Folge des Orkans. Darüber hinaus verursachte „Friederike“ im Süden von Sachsen-Anhalt Schäden an zahlreichen Gebäuden und wichtiger Infrastruktur. Das Elektrizitätsnetz wurde beschädigt, so dass tausende Haushalte mitunter noch bis Freitag keinen Strom hatten. Zudem waren zahlreiche Autobahnen und Straßen nach Unfällen blockiert. Der Zugverkehr wurde am Nachmittag deutschlandweit komplett eingestellt.

Und wieder Benndorf: Mann stirbt bei Sturz

Auch in Benndorf sind am Tag eins nach „Friederike“ die Auswirkungen des Sturms an vielen Ecken zu sehen: Hausmeister sammeln heruntergefallenes Gehölz auf, die Straßen säumen umgefallene Bäume und auf den Wegen erblickt man immer wieder die Reste heruntergefallener Ziegel.

Vor dem Haus, von dem der 65-Jährige stürzte, haben sich Anwohner und Angehörige versammelt. Sie schauen immer wieder nach oben, zum Flachdach des zweigeschossigen, etwa acht Meter hohen Wohngebäudes. Dort hängt eine Plane nach unten, eine Dachlatte ragt über das Gebäude hinaus - es ist deutlich zu sehen, wie sehr der Orkan dem Haus zugesetzt hat. In der Spitze fegte „Friederike“ mit über 120 Kilometern pro Stunde über das Mansfelder Land hinweg. Damit erreichte der Sturm die höchste Stufe auf der Windgeschwindigkeiten-Skala. Sich bei solchen Bedingungen auf den Beinen zu halten, ist ausgesprochen schwer.

Die Angehörigen und Nachbarn, die sich vor dem Haus zusammengefunden haben, wollen sich nicht zu der Tragödie äußern. Wahrscheinlich sitzen Schock und Schmerz über das Geschehene noch zu tief. „Als ich von dem Todesfall gestern Abend zum ersten Mal gehört habe, hat mich das sehr betroffen gemacht“, sagt eine Frau, die unweit des Unglücksortes ihren Einkauf nach Hause trägt. „Man hofft ja immer, dass bei solchen Naturereignissen zumindest keine Menschen zu Schaden kommen - umso erschütternder ist es, wenn es dann doch passiert.“

Schwer fassbar ist der Tod des 65-Jährigen auch für Mario Zanirato. Der Bürgermeister von Benndorf spricht von einem weiteren Schock für seinen Ort. Erst Anfang Januar war das 2 000-Einwohern-Dorf bundesweit in die Schlagzeilen geraten. In der Kühltruhe einer 46-jährigen Krankenpflegehelferin waren die Leichen von zwei Säuglingen gefunden worden. Sie hatten dort bereits seit Jahren gelegen. Die mutmaßliche Mutter der Babys sitzt derzeit in Untersuchungshaft. „Es wirkt, als hätten wir in Benndorf das Pech gerade gepachtet“, meint Bürgermeister Zanirato.

Betroffenheit herrscht am Freitag auch in Hohenmölsen. Der junge Mann, der am frühen Nachmittag des Vortages von einem Baum erschlagen wurde, war von Anwohnern gefunden worden. „Ich werde die Bilder nicht los“, sagt einer der Ersthelfer. Mit einem Nachbarn half er, den schweren Baum beiseite zu schieben, unter dem der 34-Jährige eingeklemmt war. An der Unfallstelle lebte er noch. Er verstarb allerdings gegen Mitternacht im Krankenhaus in Folge seiner schweren Kopfverletzungen.

Chaos im Verkehr

Neben den drei Todesfällen gab es laut Innenministerium weitere 13 Verletzte im Land. Die Polizei habe insgesamt 399 Mal ausrücken müssen. Hinzu kommen Einsätze von Feuerwehr und Katastrophenschutz im mindestens dreistelligen Bereich. Die Rettungskräfte waren im Dauereinsatz, um das durch den Orkan ausgelöste Chaos zu begrenzen. Im Straßenverkehr hatte „Friederike“ auf fast allen Autobahnen zu Unfällen geführt. So blockierten umgewehte Lastwagen die Schnellstraßen, was zu kilometerlangen Staus und überlasteten Ausweichstrecken führte.

Bei der Deutschen Bahn und privaten Anbietern lief der Fahrplan am Freitagmorgen wieder an, wobei es auf einigen Strecken noch zu Einschränkungen kam. Etliche Reisende waren am Donnerstag auf Bahnhöfen gestrandet, nachdem der Zugverkehr gegen Nachmittag komplett eingestellt wurde. Die Deutschen Bahn zählte 200 Schäden am Schienennetz. Hunderte Mitarbeiter waren mit deren Beseitigung beschäftigt, weswegen einige Strecken auch den Tag über gesperrt blieben.

Alle verfügbaren Mitarbeiter schickte auch der Netzbetreiber Mitnetz in die vom Sturm verwüsteten Gebiete. Am Donnerstagabend hatten zeitweise über 140 000 Haushalten keinen Strom. Am stärksten betroffen waren in Sachsen-Anhalt die Kreise Harz, Anhalt-Bitterfeld und Mansfeld-Südharz. Noch am Freitagnachmittag gab es dort bei rund 2 000 Kunden keine Versorgung. In Sachsen waren es etwa 2 500 Kunden. Als Grund für die Verzögerungen bei den Reparaturarbeiten nannte Mitnetz die schwere Erreichbarkeit der Leitungen und Anlagen. Teilweise würden die sich in Gebieten befinden, deren Zufahrt noch blockiert oder gesperrt ist.

Besonders große Zerstörungen richtete der Orkan im Nationalpark Harz an. Die Leitung warnte am Freitag vor dem Besuch der eigenen Wälder. Noch sei das Ausmaß der Schäden nicht begutachtet und es bestehe durch herabfallende Äste oder umstürzende Bäume eine hohe Verletzungsrisiko. Auch andere Parks und Wälder sperrten am Freitag weiträumig ihre Gebiete. Im Harz wurden zudem die Langlauf-Loipen geschlossen.

In den kommenden Tagen sollen nun die Sturmschaden beseitigt werden. Für ihre Arbeit dankte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) bereits am Freitag den Einsatzkräften: „Sie alle haben Großes geleistet und umgehend geholfen. Unter teils schwierigsten Bedingungen wurde alles Menschenmögliche getan“, sagte er. Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU) hatte den Einsatz der Rettungskräfte in der Nacht via Twitter gewürdigt. (mz)

Eine Straße bei Elbingerode (Harzkreis) wird geräumt.
Eine Straße bei Elbingerode (Harzkreis) wird geräumt.
dpa