Spitzenforschung aus Halle Speichermedien: Stuart Parkin verschiebt mit "Science-Fiction" die Grenzen des Machbaren
Stuart Parkin revolutioniert mit seiner Forschung die Speichertechnologie. In Halle arbeitet der Max-Planck-Direktor dabei mit Hightech-Geräten, in denen Bedingungen wie im Weltraum herrschen.
Halle (Saale)/MZ - Die große Metalltür führt direkt in die Zukunft. „Was wir hier machen, ist schon ein wenig Science-Fiction“, sagt Stuart Parkin, als er sie öffnet, und deutet auf eine riesige Fläche mit glänzenden Metallgeräten und einem Geflecht aus Kabeln und Rohren.
In der 200 Quadratmeter großen Experimentierhalle des Max-Planck-Instituts (MPI) für Mikrostrukturphysik in Halle, die weltweit Standards setzt, arbeiten er und sein Team an der nächsten Generation von Hightech-Speichermedien. Es geht um nicht weniger, als die Grenzen des Machbaren zu verschieben: „Wir wollen die Welt verändern“, erklärt Parkin, einer der drei Direktoren am MPI auf dem Weinberg Campus, und lächelt.
Stuart Parkin will die Grenzen weiter verschieben
Dass es ihm damit völlig ernst ist, hat er schon mehr als einmal bewiesen. Bereits 2008, damals noch als Forscher in Diensten des Computerkonzerns IBM in den USA, hat Parkin mit seiner Arbeit die Speichertechnologie revolutioniert. Er schaffte es, die Datendichte auf Festplatten um das 1.000-Fache zu erhöhen – mithilfe der sogenannten Spintronik. Diese nutzt den Eigendrehimpuls von Elektronen aus. Dieser Impuls, der Spin, macht sie, vereinfacht gesagt, zu kleinen magnetischen Einheiten, in denen man Informationen speichern kann. Auch das klang für viele wie Science-Fiction, als er es vorschlug. „Man sagte mir damals, das sei unmöglich“, erinnert sich Parkin. Bis er das Gegenteil bewies, nach acht langen Jahren intensiver Arbeit.
Seither forscht er weiter daran, die Grenzen der Speicherkapazität auszudehnen. Mit der Entwicklung des magnetischen Racetrack-Speichers, ebenfalls basierend auf der Spintronik, ist das dem britische Physiker gelungen. Der 67-Jährige, der seit 2014 am MPI und auch als Professor an der Universität Halle tätig ist, arbeitet derzeit daran, einen solchen dreidimensionalen Speicher zu bauen, der ohne jede Mechanik auskommen kann. Damit unterscheidet sich dieser grundlegend von heutigen ladungsbasierten Speichern. Das könnte die Speicherdichte dann noch einmal um den Faktor 100 erhöhen. Dabei helfen ihm ein internationales Team von Wissenschaftlern – und einige Mangos. Was wie Obst klingt, steht tatsächlich für „Multi-source atomically engineered next generation alloys and compounds deposition system“. Hinter dieser langen Fachbezeichnung verbirgt sich wiederum ein Gerät, das es den Forschern ermöglicht, verschiedene Materialien in dünnen Schichten übereinanderzulegen, sprich aufzudampfen. „Fast wie ein Sandwich“, sagt Parkin augenzwinkernd.
In Wirklichkeit ist das, was im Inneren des brummenden Geräteparks in der Experimentierhalle vorgeht, natürlich deutlich komplizierter. Zwei Mangos sind hier miteinander gekoppelt und mit weiteren Spezialgeräten durch einen 15 Meter langen Tunnel verbunden. Vier Jahre hat es gedauert, die Anlage so zu konstruieren, rund zehn Millionen Euro hat sie gekostet. Das MPI hat sie selbst entwickelt, statt auf herkömmliche Industriegeräte zu setzen. Mitarbeiter der hauseigenen feinmechanischen Werkstatt können, wenn nötig, nach den Vorstellungen der Wissenschaftler weitere mechanische Teile anfertigen und auch im Problemfall direkt helfen.
Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle: Temperaturen von 1.000 Grad
Im Innern der Anlage herrscht ein Ultrahochvakuum – also ein Umfeld, in dem ähnlich wenige Teilchen vorkommen wie im Weltraum. Das ist wichtig, damit die Proben, die die Forscher entwickeln, nicht verunreinigt werden. Die Max-Planck-Wissenschaftler können auf der Suche nach dem künftigen Super-Speicher dabei mit ganz unterschiedlichen Mixturen experimentieren, 120 Materialien stehen zur Verfügung. Diese werden im Mango-Verbund auf kleinen Wafern (Englisch für „dünner Keks“) deponiert – flachen Scheiben mit rund 25 Millimetern Durchmesser, wie Parkin erläutert. Die Wafer werden dann zwischen den einzelnen Systemen mit Hilfe von kleinen Robotern transportiert, „wie bei einer kleinen Eisenbahn“, um jeweils mit unterschiedlichen Verfahren atomare Schichten aufzutragen.
Das Material kann beispielsweise auf 1.000 Grad erhitzt, mit Elektronen bombardiert oder intensiven Laser-Impulsen ausgesetzt werden. „Am Ende geht es darum, nicht einfach bestehende Materialien zu verbessern, sondern völlig neue Materialien zu entwickeln“, betont der Physiker. Diese könnten dann Eigenschaften besitzen, die bislang noch gar nicht entdeckt worden sind.
„Ich sage auch meinen Studenten immer: Wir müssen das Unmögliche tun“, so Parkin. Der Weg dahin sei lang und keineswegs einfach, wie bei einer Bergbesteigung, bei der der Gipfel unerreichbar scheine. Dann helfe nur Geduld und Beharrlichkeit. „Wenn eine Route nicht funktioniert, dann probiert man eine andere.“ Dass er und sein Team hier auf Weltniveau nach solchen Routen suchen können, sei auch einer umfangreichen Förderung zu verdanken, betont Stuart Parkin. „Wir haben hier sehr gute Bedingungen.“ Unterstützung gab und gibt es vom Land Sachsen-Anhalt, von der Humboldt-Gesellschaft, von der Max-Planck-Gesellschaft selbst, durch mehrere Wissenschaftspreise – und auch von Firmen, die an seiner Arbeit stark interessiert sind. „Wir werden von Samsung gefördert und hoffen, dass wir dieses Engagement verlängern können.“
Kein Wunder, dass der Weltmarktführer für Smartphones sein Augenmerk auf Halle richtet, verspricht die Grundlagenforschung am MPI doch künftig in der Praxis bessere und energieeffizientere Speicher für jedes Handy. Die Versuchsanlage dort ist so nah an der industriellen Fertigung konzipiert, dass der Prozess bei Erfolg zeitnah in die Großproduktion übertragen werden kann.
Stuart Parkin ist international gefragt
Doch wann könnte es so weit sein, in zehn Jahren? „Ja, womöglich“, sagt Stuart Parkin. „Dies wird dann Smartphones dramatisch verändern, die Batterie könnte zum Beispiel 100 Mal länger durchhalten.“ Er selbst will den Weg dorthin noch ein gutes Stück begleiten. „Mein Vertrag läuft noch sieben Jahre, dann bin ich 75“, erklärt Parkin, der in Halle ein Haus gebaut hat. „Und meine Arbeit macht wirklich viel Spaß.“
Und sie findet international Anerkennung und Interesse. Gerade erst war Parkin daher in Italien, China und den USA unterwegs. Und als einziger Forscher aus Deutschland und einer von 23 weltweit zählt er zu den „Clarivate Citation Laureates 2023“ – den meistzitierten Forschern. Ein elitärer Kreis, aus dem auch immer wieder Nobelpreisträger hervorgehen.
Zur Person Stuart Parkin: Mehr als 120 Patente und zahlreiche Auszeichnungen
Prof. Dr. Stuart Parkin wurde 1955 im englischen Watford geboren. Der britische Experimentalphysiker ist einer der Direktoren am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle. Dieses wurde 1992 als erstes Max-Planck-Institut in Ostdeutschland gegründet. Dort wird unter hochmodernen Bedingungen zu neuartigen Materialien geforscht. Parkin leitet dabei das Department „NISE – Nano-Systems from Ions, Spins and Electrons“ und ist Professor am Institut für Physik der Martin-Luther-Universität.
Der Spitzenphysiker promovierte an der englischen Universität Cambridge und wechselte nach mehreren beruflichen Stationen an renommierten Einrichtungen, unter anderem in den USA bei IBM und an der Stanford University, 2014 nach Halle als gemeinsamer Professor an MPI und MLU. Dies erfolgte im Rahmen einer Alexander von Humboldt-Professur, Deutschlands höchstdotiertem internationalen Forschungspreis, auch als „deutscher Nobelpreis“ bezeichnet. Parkins Forschung auf dem Gebiet der Spintronik hat dem Leopoldina-Mitglied viele Preise eingebracht, etwa den Millennium Technology Award der Technology Academy Finland und zwei Mal die hochdotierte europäische Forschungsförderung „ERC Advanced Grant“.
Auf mehr als 670 Veröffentlichungen sowie über 123 erteilte Patente und mehr als 825 Vorträge auf Einladung weltweit blickt Stuart Parkin mittlerweile zurück. Viermal wurde ihm eine Ehrendoktorwürde verliehen.