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Ausflüge in Sachsen-Anhalt Mit Video: Einst Ruine, heute Sehnsuchtsort: Die Geschichte von Schloss Hohenerxleben – und was es zu bieten hat

Nach der Wende verfiel der einstige Adelssitz, bis eine Gruppe junger Berliner das Schloss Hohenerxleben im Salzlandkreis kaufte und Stein für Stein sanierte. Heute lockt es mit Restaurant, Hotel und Theater – und dem Geist einer ungewöhnlichen Gemeinschaft. Was es so besonders macht und was Besucher hier erleben können.

Von Max Hunger Aktualisiert: 09.07.2024, 10:09
Vor 27 Jahren kaufte Heinrich-Dieter Funke gemeinsam mit Freunden das Schloss im Salzlandkreis, damals ein Trümmerhaufen. Heute erstrahlt es in neuem Glanz.
Vor 27 Jahren kaufte Heinrich-Dieter Funke gemeinsam mit Freunden das Schloss im Salzlandkreis, damals ein Trümmerhaufen. Heute erstrahlt es in neuem Glanz. (Foto: Max Hunger)

Hohenerxleben/MZ - Heinrich-Dieter Funkes Schritte führen durch einen hohen Gang. Holzvertäfelung, Deckengewölbe, Kronleuchter. Hier im ersten Stock versprüht das Schloss Hohenerxleben aristokratisches Flair. Der 62-Jährige erklimmt nun eine steinerne Wendeltreppe und öffnet eine unscheinbare Holztür zum Dachboden. Sein Blick fällt auf verfallene Bretterwände, Schutt bedeckt den Boden, Staub jeden Quadratzentimeter. So habe es damals in jedem der über 100 Zimmer des einstigen Adelssitzes ausgesehen, sagt Funke. Damals, das war 1997. Als der studierte Lehrer mit einer Handvoll Mitstreiter die Schlossruine kaufte. „Es war ein riesiges Abenteuer.“ Wer heute durch das Schloss streift und mit seinen Bewohnern spricht, spürt: Dieses Abenteuer ist noch längst nicht vorbei.

Besuchern zeigt sich das Bauwerk heute in charmanter Imperfektion. Das Schloss aus dem 13. Jahrhundert thront auf einer Anhöhe über der Bode am Rand des gleichnamigen 700-Einwohner-Ortes auf halber Strecke zwischen Halle und Magdeburg. Die A14 ist kaum fünf Autominuten entfernt. Im Schlossgarten werfen brusthohe Rosenbüsche ihren Schatten auf das Natursteinpflaster, über der groben Fassade rankt Efeu wie eine grüne Decke. Türme, Erker, Balkone – keine Wand gleicht der anderen.

 
Video: Nach der Wende verfiel das Schloss Hohenerxleben zur Ruine, bis eine Künstler-Truppe aus Berlin das Gemäuer in Handarbeit wieder aufbaute.(Bericht: Anna Lena Giesert)

Von Hotel bis Hochzeit: Schloss bietet Besuchern zahlreiche Angebote

Das von einer Stiftung getragene Gebäude bietet seinen Besuchern einen Strauß an Vergnügungen: Restaurant, Hotelzimmer von exklusiven Suiten bis Familienräumen, regelmäßige Theateraufführungen und Konzerte, eine Kinderwerkstatt mit Ferienprogramm, Standesamt und Hochzeitsplanung – wer möchte, kann sich hier ein paar Tage lang wie ein Schlossherr fühlen. Dabei ist das Gemäuer mehr Sozialprojekt als Wirtschaftsunternehmen, mehr Sehnsuchtsort als Luxusklotz, mehr Lebenswerk als Geldanlage. Das liegt vor allem an seinen Bewohnern und ihrer Geschichte.

Im Speisesaal lässt Heinrich-Dieter Funke sich auf einem Stuhl nieder. Über ihm erstreckt sich eine reich verzierte Holzdecke. Neben ihm: Schauspielerin Judith Kruder und Küchenchef Markus Vongries. Gemeinsam mit Künstlerin Nikoline Kruse bildet das Quartett eine ungewöhnliche Schicksalsgemeinschaft. Vor über einem viertel Jahrhundert zogen sie gemeinsam aus Berlin ins ländliche Sachsen-Anhalt, um eine Schlossruine wiederzubeleben.

Das Schloss thront auf einer Anhöhe, am Fuß fließt die Bode.
Das Schloss thront auf einer Anhöhe, am Fuß fließt die Bode.
(Foto: Gehrmann)

Er sei damals beruflich im Salzlandkreis unterwegs gewesen, erzählt Funke. Ihm und auch der inzwischen verstorbenen Mitstreiterin Ingrid von Krosigk fiel die Schlossruine ins Auge. Das zur DDR-Zeit als Bildungszentrum genutzte Gemäuer sei in einem miserablen Zustand gewesen. Die Wände eingestürzt, die Säle geplündert, ein Abenteuerspielplatz für Jugendliche. „Hitchcock hätte es nicht besser inszenieren können.“ Doch die Neuköllner in ihren 30ern sahen einen Ort, den sie gestalten können. Und kauften das Schloss samt 13.000 Quadratmetern Grundstück – für 260.000 Mark. „Wir wollten etwas aufbauen. Aber ich wusste damals nicht mal, wie viele Nullen 2.000 Mark haben. Es war total unrealistisch“, sagt Funke.

Mit zwei Dutzend Mitstreitern hauste die Gruppe hier, ohne Strom, ohne Wasser, schlief auf Matratzen auf dem Boden. Bei den Einwohnern stießen die Großstädter zunächst auf Ablehnung, wurden beschimpft, bespuckt, als esoterische Sekte abgestempelt. Doch die Berliner zeigten Einsatz: Mühsam räumten sie Schutt weg, trockneten Lehmziegel im Hof, um Mauern zu sanieren, kratzten den Lack von der Holzvertäfelung. Sie begannen mit Jugendarbeit, luden zu Theaterabenden ein – und erarbeiteten sich so Ansehen im Ort. „Das ganze lebt von der Bereitschaft zu geben.“

Theater in Hohenerxleben: Schloss mit eigenem Künstler-Team

Schauspielerin Judith Kruder schreitet nun durch haushohe Säle im Westflügel. Sie stoppt und breitet die Arme aus. Am Ende eines langen Saals reckt sich eine hölzerne Bühne empor. „Ich liebe den Theatersaal“, sagt Kruder. Regelmäßig inszeniert sie für das hauseigene Ensemble Theatrum hier Aufführungen – aktuell zur Schlossgeschichte. Der Erlös? „Das geht alles in den Schlossaufbau.“

Denn der Geist des Gemeinwohls hat sich bis in die Gegenwart getragen. Musiker und Schauspieler spielen hier ohne Gage, Besucher entscheiden meist selbst, wie viel sie für einen Abend bezahlen möchten – egal ob fünf oder hundert Euro. Einen Schlossherren? Gibt es nicht. Das Bauwerk gehört einer Stiftung. „Hier läuft alles auf Augenhöhe“, sagt Funke. Zur Sanierung nach Denkmalschutzauflagen hätten zudem viele ehrenamtliche Helfer und ABMler beigetragen. „Die hatten alle goldene Hände.“ Hinzu kamen Spenden, Fördergeld vom Staat. Knapp sieben Millionen Euro seien in den Wiederaufbau geflossen. Zähle man die unbezahlten Arbeitsstunden hinzu, sei es vermutlich das Doppelte, sagt der Stiftungspräsident. „Wir haben viel geschafft.“ Abgeschlossen ist die Sanierung allerdings noch nicht.

Schauspielerin Judith Kruder präsentiert die Hotel-Suite des Schlosses.
Schauspielerin Judith Kruder präsentiert die Hotel-Suite des Schlosses.
(Foto: Max Hunger)

Der Schlossrundgang führt nun hinaus über den gepflasterten Innenhof zu einem flachen Nebengebäude. Auf Werkbänken türmen sich Bretter, Scheren und Pinsel, dazwischen wuseln Kinder mit Farbklecksen auf den Schürzen umher. Aus dem quirligen Chaos ragt Nikoline Kruse hervor. In der schlosseigenen Ferienwerkstatt betreut die Künstlerin jeden Sommer Schulkinder, die sich ausprobieren wollen. Ob Murmelturm, Holzdampfer oder Tempelmodell – jeder darf bauen, was er möchte. „Wenn die Kinder entspannt sind, bin ich das auch“, sagt Kruse.

Es ist eines von vielen Angeboten, mit dem die Schlossgemeinschaft ihre Vision eines Begegnungsortes verwirklichen will – aber auch den Erhalt des Gebäudes finanzieren muss. Und das ist derzeit schwieriger denn je.

Weniger Besucher seit Corona: Schloss-Stiftung braucht Unterstützung

Im schattigen Innenhof verschränkt Heinrich-Dieter Funke die Arme vor der Brust. Hinter ihm schmiegt sich die Tür zur Außenstelle des Standesamtes in die verschnörkelte Fassade, vor ihm erstreckt sich ein Panorama aus Springbrunnen und Rosenbüschen. Ein idealer Ort für eine Familienfeier, eine Hochzeit? Nun, die gebe es seit Corona immer weniger, sagt der Geschäftsführer. „Die Leute kommen seltener.“ Gleichzeitig sitzen den Betreibern steigende Kosten für Strom, Heizung, Baumaterial und Personal im Nacken. „Wir brauchen Unterstützung.“

Neben dem Stiftungschef treten auch Schauspielerin Kruder und Küchenchef Vongries. Ihre Blicke ruhen auf der Fassade, ihrem Lebenswerk. Für wen ist eine Nacht in einer Schlosssuite, eine Hochzeit im Hof geeignet? Geschäftsleute? Romantiker? Das Trio legt die Stirn in Falten. Dann beginnt Heinrich-Dieter Funke zu sprechen. Hotel, Gaststätte, Kultur – es richte sich an alle, die eine gute Zeit haben wollten. Aber auch an die, die noch etwas anderes suchten. „An Menschen, die Sinnhaftigkeit suchen, Entschleunigung.“ Es scheint, dass die Schlossgemeinschaft all das hier, auf einem alten Adelssitz in der Mitte Sachsen-Anhalts, gefunden hat. Sie wollen das Leben mit dem alten Gemäuer, mit all seinen Höhen und Tiefen nicht missen, das beteuern alle drei. Judith Kruder sagt: „Das schweißt ordentlich zusammen.“

Burganlage mit bewegter Geschichte:

Die erste urkundliche Erwähnung des heutigen Schlosses Hohenerxleben stammt aus dem Jahr 1205. Nach mehreren Besitzerwechseln kaufte die Familie von Krosigk Anfang des 16. Jahrhunderts die auf einem Kalkfelsen gelegene Burganlage. Im laufe der Jahrhunderte wurde das Schloss mehrfach umgebaut. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Familie von Krosigk enteignet, das Schloss diente zur DDR-Zeit als Schulungsort. Von 1991 bis 1997 war es verwaist, verfiel, wurde zerstört und geplündert. Seit 1997 ist die gemeinnützige Schloss Theatrum Herberge Hohenerxleben Stiftung die Eigentümerin.

In diesem Sommer lockt das Schloss mit einem umfangreichen Kultur- und Freizeitangebot. Am 28. Juli spielt ein Streichquartett „Sommerimpressionen“, jeden Dienstag gibt es Yoga-Kurse, regelmäßig auch Malerseminare und bis Anfang August eine Ferienwerkstatt für Kinder. Informationen rund um das Kulturangebot, Hotel- und Gaststättenbetrieb sowie Spendenmöglichkeiten gibt es auf der Schloss-Webseite oder per Telefon unter 03925/ 98 90 66.