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Sachsen-Anhalts Regierung ohne Rückhalt Sachsen-Anhalts Regierung ohne Rückhalt: Haushalt bringt Koalition erneut in Krise

Von Hagen Eichler 26.09.2019, 08:00
Um die Vorschläge von Finanzminister Michael Richter tobt der Streit.
Um die Vorschläge von Finanzminister Michael Richter tobt der Streit. dpa

Magdeburg - Der Regierungschef hätte gewarnt sein müssen. Dienstagmittag in der Staatskanzlei: Gerade hat die Landesregierung die letzten Haushaltslücken gestopft, CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt gehört zu den ersten, die Details erfahren. Die schwarz-rot-grüne Regierung will für ihren letzten Haushalt die Rücklagen plündern, rettet sich in ungedeckte Kürzungsversprechen und erhöht zu guter Letzt auch noch die Grunderwerbssteuer. Borgwardt ist entsetzt. „Mit Verlaub, Herr Ministerpräsident, das wird meine Fraktion nicht mittragen“ – so schildert er am Tag danach seine Reaktion.

Doch Regierungschef Reiner Haseloff ignoriert das Stopp-Signal. „Alle wesentlichen Knackpunkte sind abgeräumt“, meldet er um 14 Uhr vor der Presse. Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung, wie sich wenig später zeigt. Die CDU-Fraktion reagiert empört auf die Steuererhöhung. Die SPD will sie ebenso wenig mittragen, auch nicht die Grünen. An eine Situation wie diese kann sich keiner der Beteiligten erinnern: Die regierungstragenden Fraktionen rebellieren geschlossen gegen ihre eigenen Minister.

Seit dem Frühjahr bereits arbeitet die Regierung am Doppelhaushalt 2020/21, dem letzten in dieser Legislaturperiode. Der damalige Finanzminister André Schröder (CDU) versuchte, die Kabinettskollegen auf politische Prioritäten festzulegen und damit die Ausgaben zu begrenzen. Er scheiterte. Im Juni wurde der Minister von der Fraktion gestürzt, der bisherige Staatssekretär Michael Richter (CDU) übernahm. Doch es wurde nicht besser.

Finanzsituation erzeugt Unzufriedenheit allerorten

Das Zeugnis, das die Regierungsfraktionen der Landesregierung in der Finanzpolitik ausstellen, ist desaströs. Das Setzen eines Schwerpunkts? „Das ist bis heute nicht erfolgt“, sagt SPD-Fraktionschefin Katja Pähle am Mittwoch. „Das ist nicht passiert“, rügt Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann fast wortgleich. CDU-Fraktionschef Borgwardt fordert unverblümt, dass die Regierung nacharbeitet.

An einen beschlossenen Haushalt noch in diesem Jahr glaubt kaum noch jemand. Doch neben dem Zeitverlust haben auch wichtige Personen der Koalition an Autorität eingebüßt: Ministerpräsident Haseloff und CDU-Landeschef Holger Stahlknecht.

Dem Regierungschef ist offenbar erst am Dienstagnachmittag klar, wie ernst die Lage ist. In der Fraktionssitzung gibt es Kabbeleien: Nach MZ-Informationen wirft Haseloff einigen per Landesliste gewählten Fraktionsmitgliedern vor, diese sollten doch erst mal einen eigenen Wahlkreis gewinnen. Aus der Fraktion wiederum kommt massiv Kritik an den Haushalts-Eckpunkten, vor allem an der Steuererhöhung.

Für diesen Schritt votieren am Ende nur die drei Regierungsmitglieder Haseloff, Stahlknecht und Tullner sowie Tobias Krull und Daniel Szarata. Die vom Kabinett erst wenige Stunden zuvor einstimmig beschlossenen Eckpunkte sind damit hinfällig. Im Zahlenwerk klafft eine Lücke.

Und es gibt noch mehr Kritik. Die SPD fordert mehr Geld für die freien Schulen. Zwar sollen deren Lehrer laut Kabinettsbeschluss künftig wie ihre Kollegen an öffentlichen Schulen nach Erfahrungsstufe 5 bezahlt werden. Das bedeutet einen Aufschlag von mehreren hundert Euro. Dieser soll aber nicht vollständig weitergegeben werden - statt derzeit 95 Prozent soll es nur noch 92 Prozent geben. Das sehen auch die Grünen kritisch.

Die SPD kämpft zusätzlich für ein Azubi-Ticket, mit dem Lehrlinge zum reduzierten Preis fahren können. Die vom Kabinett gefundene Idee einer Fahrkostenrückerstattung aus einem bereits bestehenden Programm fällt bei den Sozialdemokraten komplett durch. „Das ist kein Azubiticket“, sagt Fraktionschefin Pähle.

Mit einer Reihe von Krisensitzungen will die Koalition nun sehen, wie sie zu einem ausgeglichenen Haushalt kommt. An diesem Donnerstag, der mit einer Landtagssitzung von 9 bis 22.50 Uhr bereits überfrachtet ist, treffen sich früh um acht Uhr die drei Regierungspartner im Koalitionsausschuss, am Montag ein weiteres Mal. Dann berät sich auch die CDU-Fraktion in einer Sondersitzung. Es herrscht hektische Betriebsamkeit.

Vor allem bei den Christdemokraten geht es nicht nur um die Sache. Einige zielen auch auf Personen. Das Nein zur Steuererhöhung - „im Grunde war das ein Misstrauensvotum gegen den Ministerpräsidenten“, sagt ein CDU-Abgeordneter. Einen offenen Aufstand wagt allerdings keiner.

Angekratzt ist auch die Autorität von CDU-Landeschef Stahlknecht. Genau wie alle anderen Minister hat er der Steuererklärung am Kabinettstisch zugestimmt - trotz Bauchschmerzen, wie man hört.

CDU-Landeschef Holger Stahlknecht schlingert

Auf das Nein der Fraktion am Dienstag reagiert er sofort, noch für den gleichen Abend beruft er den CDU-Landesvorstand ein. Am Mittwoch versichert er, dass die Ministerrunde nachgibt. „Die Regierung darf keinen Haushaltsentwurf beschließen, den die Regierungsfraktionen in wesentlichen Punkten ablehnen. Das bedeutet, dass die Regierung jetzt nacharbeiten muss.“

Stahlknecht war es aber auch, der im März das Antasten von Notgroschen ausgeschlossen hatte und das vom CDU-Landesvorstand absegnen ließ. Als Minister stimmte er dem Griff in die Reserven dennoch zu - und forderte wiederum am Mittwoch, die Finanzpolster nicht anzutasten. Mehr als eine halbe Milliarde Euro an Ausgabewünschen müsse eingespart werden. Wie erklärt er den Schlingerkurs? „Ich bin loyal gegenüber dem Ministerpräsidenten. Im Kabinett gilt Kabinettsdisziplin“, sagte er der MZ. Jetzt aber gebe es eine neue Lage.

Unter CDU-Abgeordneten wird Stahlknechts Kurswechsel genau beobachtet. „Er hat sich auf die Seite der Fraktion geschlagen, nachdem ihm die Tragweite deutlich geworden ist“, sagt Fraktionschef Borgwardt am Mittwoch. Schwer auszumachen, ob das ein Lob ist. (mz)