Richtungsstreit Richtungsstreit : Die zerrissene Union

Magdeburg - Jetzt wird es emotional im Sitzungssaal der CDU im Landtag. Über eines sind sich die Abgeordneten hier weitgehend einig: Wer der Lieblingsfeind ist. Mal wieder haben sie sich Claudia Dalbert ausgeguckt, die Umweltministerin soll sich bei der CDU entschuldigen. Ihre Sünde: Die Grünen-Politikerin im Kabinett Haseloff hat auf Facebook eine Pressemitteilung ihrer Partei verbreitet: „Wie viele Hakenkreuze haben Platz in der CDU?“ Es ist eine derartige Kränkung für die Christdemokraten, dass die Fraktion jetzt schwarz auf weiß einen Beschluss fasst: Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) soll Dalbert dazu bringen, ihren Facebook-Eintrag zu löschen und sich öffentlich zu entschuldigen.
In einer anderen Frage tut sich die CDU hingegen sehr viel schwerer, findet keine gemeinsame Antwort: Wo verläuft aktuell die Trennlinie zum rechten Rand, die die Christdemokraten auf keinen Fall übertreten wollen? Wie in einem Brennglas zeigt sich die tiefe Zerrissenheit der Partei jetzt im Fall des CDU-Kommunalpolitikers Robert Möritz. Der Mann, der trotz schwerer Nazi-Vorwürfe weiter CDU-Funktionär im Kreisvorstand Anhalt-Bitterfeld bleibt. Der Mann, der die Grünen zu ihrer Frage nach den Hakenkreuzen veranlasste.
Einige sind bereit für den Exit
Der Fall Möritz erschüttert den CDU-Landesverband in Sachsen-Anhalt nachhaltig. Der 29-Jährige steht unter Extremismusverdacht, weil er 2011 Ordner auf einer Nazidemo war, mit der Schwarzen Sonne ein bei Rechtsextremisten beliebtes Tattoo-Motiv trägt und bis Sonntag Mitglied des hoch umstrittenen Vereins Uniter war.
Trotz allem sprach ihm seine Kreisspitze aber einstimmig das Vertrauen aus - zum Entsetzen der Koalitionspartner von Grünen und SPD sowie Christdemokraten in ganz Deutschland. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) fordert am Dienstag von seiner Partei eine klare Abgrenzung gegen Rechtsextreme. „Mit Neonazis können demokratische Parteien und insbesondere die Partei, der ich angehöre, nichts zu tun haben“, sagte er. Viel expliziter kritisierten andere ranghohe CDU-Mitglieder die Kollegen in Sachsen-Anhalt. Trotzdem: Der Kreisvorstand Anhalt-Bitterfeld glaubt Möritz, der seine Abkehr von der Szene beteuert, und steht demonstrativ zu ihm.
Die nationalkonservativen Kräfte in Sachsen-Anhalts CDU sind es, die die Debatte jetzt in eine andere Richtung lenken. Nämlich Richtung Dalbert - „Sie muss sich entschuldigen!“ - und vor allem Richtung Austritt aus der ungeliebten schwarz-rot-grünen Koalition. Vize-Fraktionschef Ulrich Thomas, ein Wortführer in der Fraktion, sieht ohne eine öffentliche Entschuldigung die Koalition am Ende. Das sagt er am Dienstag auch in der Fraktionssitzung.
Etwa ein Drittel der 31 CDU-Mitglieder soll es so sehen wie er. Der konservative Kreis um Thomas nimmt nun Neuwahlen in den Blick - und unter Umständen auch eine Minderheitsregierung der CDU unter Tolerierung der AfD. Sollte die Rechtsaußen-Partei in Sachsen-Anhalt in diese neue Machtstellung gelangen, es wäre für viele ein Tabubruch. Die CDU im Bund verbietet eigentlich eine Zusammenarbeit.
Mehrheit der CDU-Fraktion lehnt Austritt aus Koalition ab
Doch die Konservativen sind stark, laut, unzufrieden - und sie ließen seit 2016 im Landtag immer wieder die Muskeln spielen. Etwa als die AfD eine Enquete-Kommission „Linksextremismus“ beantragte, und einige CDUler mitstimmten. Oder als die Vize-Fraktionschefs Thomas und Lars-Jörn Zimmer eine „Denkschrift“ lancierten, laut der das „Soziale mit dem Nationalen“ versöhnt werden müsse. Viele lasen das Papier als Theoriehandbuch für eine AfD-Koalition.
Die Mehrheit in der CDU-Fraktion lehnt den Austritt aus der Koalition ab - doch die Rebellen trommeln laut. „Wir werden in einer Minderheitsregierung nichts reißen“, warnt einer, der das Agieren der Konservativen kritisch sieht. Platzt die Koalition wegen Möritz, dem Beisitzer im Kreisvorstand Anhalt-Bitterfeld? „Das ist es nicht wert.“ Und über den erbitterten Konflikt mit den Grünen: „Wir müssen uns auch nach der nächsten Landtagswahl noch in die Augen schauen können.“ Denn womöglich sei man dann wieder aufeinander angewiesen. „Da geht es nicht, dass wir jetzt alle Brücken abreißen.“
Entstanden ist die Affäre um Möritz ironischerweise aus einem Erfolg des rechten Parteiflügels. Beim jüngsten Parteitag der Landes-CDU in Magdeburg war es ihm gelungen, einen Satz in das Grundsatzpapier zu schreiben: Der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Der Hallenser Igor Matviyets, Jude und SPD-Mitglied, kritisierte das bei Twitter als „Rechtsruck“. Antwort bekam er von einem CDU-Funktionär aus Bitterfeld, der auf Landesebene bislang unbekannt war. Der Beschluss zum Islam sei ein Schritt „hin zur Seele der CDU“, schrieb ein gewisser Robert Möritz.
Führung der Bundes-CDU schweigt zum Thema Möritz
Aufmerksamen Beobachtern fiel auf: In seinem Profilbild steckte winzig klein das Logo des Vereins Uniter. Weil dieser personelle Überschneidungen mit Rechtsextremisten hat, die Todeslisten angefertigt haben sollen, war Matviyets alarmiert. „Tragen Sie Menschen wie mich eigenhändig in Todeslisten ein oder melden Sie mich nur weiter an die zuständigen Mitglieder bei #uniter?“, fragte er bei Twitter.
Antifa-Aktivisten nahmen Möritz’ Einträge in sozialen Netzwerken unter die Lupe und wurden fündig. Der Uniter-Mann hatte auch Musik rechtsextremer Bands empfohlen und stolz sein Tattoo präsentiert, die Schwarze Sonne. Das Symbol lässt sich als kreisförmige Anordnung von zwölf Sig-Runen ebenso deuten wie als Kombination dreier übereinander liegender Hakenkreuze. Alles Vergangenheit, beteuert der 29-Jährige gegenüber seinem Kreisverband.
Und die CDU-Bundesführung? Seit Tagen wird das Thema Möritz immer größer, auch internationale Medien wie der britische Guardian berichten – doch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr Generalsekretär schweigen. Das war bei früheren Skandalen anders. Als CDU und AfD in einem Börde-Gemeinderat eine Fraktion bildeten, schaltete sich Berlin ein. Ironie der Geschichte: Das Problem läuft direkt auf die CDU-Spitze zu. Im Februar lädt die CDU Anhalt-Bitterfeld nach Köthen zum Neujahrsempfang, Gastrednerin: Kramp-Karrenbauer. Nach jetzigem Stand würde also der Mann mit der schwarzen Sonne auf der Haut der CDU-Chefin und Verteidigungsministerin die Hand schütteln.
Dalberst Posting steht noch
Vielen in der CDU macht das weniger Kopfschmerzen als die Kritik der Grünen. Auch besonnene Gemüter fühlen sich vom Koalitionspartner zu Unrecht attackiert und beleidigt. Man müsse doch Menschen eine zweite Chance geben, lautet in der Fraktionssitzung das Motto vieler. Wenn die CDU nicht Menschen ins demokratische Spektrum zurückholen kann, heißt es - wer dann? Voraussetzung sei natürlich, dass der Szeneausstieg von Möritz authentisch sei, dass der Mann kein rechtes „U-Boot“ sei. Doch wie lässt sich das überprüfen, wenn nur der Kreisvorstand Anhalt-Bitterfeld mit Möritz gesprochen hat?
Von einer ziellosen, chaotischen Debatte sprechen einige. Niemand habe eine Linie vorgegeben, keine Strategie. Am Ende bleibt der Beschluss, dass Dalbert ihren Facebook-Post löschen müsse - und dass der Ministerpräsident das bewirken soll. Hat Haseloff diesen Auftrag ausgeführt? Regierungssprecher Matthias Schuppe und Dalberst Sprecherin schweigen dazu. Am Dienstagabend ist der Post noch immer da. (mz)