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Konkurrenz im Kirschbaum Konkurrenz im Kirschbaum: So wehren sich Sachsen-Anhalts Obstbauern gegen den Star

Von Ralf Böhme 22.06.2018, 08:00
Auch mit Tröten sollen die Stare abgeschreckt werden.
Auch mit Tröten sollen die Stare abgeschreckt werden. Maik Schumann

Halle (Saale) - Ein ganzer Landkreis tanzt nach ihrer Pfeife. Doch gegen fresslustige Vögel ist Angelika Klein (Die Linke), Landrätin von Mansfeld-Südharz, machtlos.

Eigentlich habe sie die Baumkrone noch mit einer Gardine abdecken wollen. „Aber es war schon zu spät. Mein Kirschbaum im Garten war bereits restlos geplündert“, erinnert sich die Kommunalpolitikerin. Grund ihres Ungemachs: der Star.

Obstbauern testen neue Methoden gegen den Star

Wie man solche Angriffe auf den insgesamt 185 Hektar Anbaufläche in Sachsen-Anhalt verhindern kann, das versuchen die Obstbauern rund um den Süßen See herauszufinden.

In diesem Jahr sind sie damit offenbar ziemlich erfolgreich. Auch deshalb fällt die Kirschernte zwischen Halle und Eisleben ungewöhnlich gut aus. Im Vergleich zum vergangenen Sommer liegen die Erträge mit 2200 Tonnen doppelt so hoch.

Philipp Moser, der für 27 Obsthöfe in Sachsen-Anhalt spricht, erklärt: „Wer nichts gegen die Stare unternimmt, kann bis zu 50 Prozent der Ernte abschreiben.“ Damit wendet er sich zugleich gegen das Sparen am falschen Ende, wie er sagt.

Bauern: Ist der Star einmal da, ist es zu spät

Seine Warnung: Setze sich ein großer Schwarm erst einmal in einer Plantage fest, sei es zu spät. Der Warnung von Vogelschützern, dass der Star deutschlandweit auf dem Rückzug sei und mittlerweile sogar zu den gefährdeten Arten gehöre, will der Mann noch nicht trauen.

Das Umweltschutzministerium gibt seinem Zweifel teilweise recht. Danach ist der Star zumindest in Sachsen-Anhalt noch nicht in Gefahr. Der Bestand des Stars werde auf ungefähr 100.000 bis 200.000 Brutpaare geschätzt. Trotzdem habe der Bestand langfristig abgenommen, um mehr als 20 Prozent.

Um unerwünschte gefiederte Gäste fernzuhalten, setzen Moser und Co. auf einen raffinierten Mix der Gegenmittel. Die Zeit der althergebrachten Vogelscheuche ist freilich vorbei. Aufgeblasene Ballons, Glitzerstreifen oder Vogelattrappen, alles von gestern.

Lautsprecher sollen Vögel von Kirschen fernhalten

Heute gehören ins Arsenal beispielsweise Lautsprecher, die in den Bäumen hängen. Die Geräusche, die damit verstärkt werden, sollen die Vögel im Anflug zum raschen Abdrehen veranlassen. Auch für menschliche Ohren sind die Töne aus der Konserve alles andere als Balsam. Schließlich handelt es sich um kreischende Angstschreie von Staren.

Wie auf einem Schießplatz rumst es dagegen in anderen Obstbauanlagen. Obwohl einem dabei zwar keine Geschosse um die Ohren fliegen, zieht der Uneingeweihte unwillkürlich den Kopf ein. Soviel steht fest, versichert Moser, das explosionsartige Geräusch der Knallkanonen gefällt den Staren überhaupt nicht.

Erlaubt ist diese Technik aber nur tagsüber und nur in ausreichender Entfernung von Siedlungen. „Sonst müsste ich wohl mit einer Anzeige wegen Lärmbelästigung rechnen.“

Vuvuzelas sind Geheimwaffen gegen Stare

Was die Stare am meisten nervt und in die Flucht schlägt, ist selbst den Obstbauern nicht ganz klar. Konkurrenzlos dürften aber ihre Fußball-Tröten aus Plastik sein. Mit diesen „Vuvuzelas“ ausgerüstet, stapfen von früh bis spät drei polnische Erntehelfer durch die Baumreihen und scheuchen Vögel auf.

Es ertönt ein Blaskonzert des Schreckens. „Da haut jeder Star ab“, meint verschmitzt lachend Marek aus der Gegend von Poznan.

Obstbauern hoffen auf Rekordernte bei Kirschen

Seine Kollegen bringen derweil die früheste Kirschenernte seit langem ein. Gerd Kalbitz, Vorsitzender des Landesverbandes „Sächsisches Obst“: „Die Sonne meinte es sehr gut, die Pflücke hat 14 Tage vor der Zeit begonnen.“ Nach großer Blütenpracht, intensiver Bestäubungsphase und frost- und hagelfreiem Früchtewachstum stehe möglicherweise sogar eine Rekordernte ins Haus.

Die Prognose für die Obstbauern in Sachsen-Anhalt, die sich seinem Verband weitgehend angeschlossen haben: „2 200 Tonnen an Süßkirschen sollten drin sein.“

Anders als im Ackerbau, wo die Getreidebauern nach der langen Trockenheit nun mit massiven Verlusten rechnen müssen, zeigen sich die meisten Obstbäume und ihre Früchte bislang noch in bester Verfassung.

Trockenheit hat den Kirschen bisher nicht geschadet

Andreas Ehm von der Obstproduktion Höhnstedt (Saalekreis): „Kirschen wachsen bei uns auf elfeinhalb Hektar, alle Bäume werden bewässert. Anders wären die Qualitäten, die der europäische Handel verlangt, nicht zu erreichen.“

Nicht umsonst kommen die Früchtekörbe aus Sachsen-Anhalt auch in Großbritannien, Frankreich und Schweden auf den Ladentisch. Segen und Fluch zugleich: 28-Millimeter-Kirsche.

Das ist hierzulande die Norm. Und knackig muss sie sein, die Kirsche. Saftig und frisch sowieso. Einziges Problem: Stare sind überall zuerst, wo Kirschen sich langsam dunkel färben.

Staren gehen die natürlichen Nahrungsquellen aus

„Das ist vor allem eine Frage des Nahrungsangebotes“, meint Christiane Geibel vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern, der gemeinsam mit dem Naturschutzbund Deutschland (Nabu) den Star zum „Vogel des Jahres 2018“ erklärt hat.

So seltsam es klinge, trotz toller Kirschernte seien es nicht die besten Zeiten, die der fliegende Allesfresser gerade erlebe. Das Insektensterben infolge der überaus intensiven Landnutzung bleibe auf ihn nicht ohne Auswirkungen. „Auch wenn es im Alltag nicht augenfällig ist, die Zahl der Stare wächst schon lange nicht mehr, sie nimmt ab.“

In seiner Not zieht es den hungrigen Star, so Nabu-Vogel-Experte Eric Neuling, vermehrt in die Städte. In Berlin ist ihm zufolge der Bestand groß und vital. In Halle werde das kaum anders sein, solange es sich ausreichend Futter finden lässt.

Stare zieht es vermehrt in die Städte

Das könne im Einzelfall auch der einzelne Kirschbaum im Garten sein. Vor allem aber seien Parks, Gärten und Friedhöfe günstige Rückzugsgebiete. Zur Überraschung der Stadtmenschen genügten manchmal Baumgruppen, die dann als Sammelplätze für Tausende von Vögeln dienen könnten.

Ornithologen zufolge sind die Schwärme nicht mehr so groß wie früher. Nach den Beobachtungen der vergangenen 20 Jahre sind sie auf die Hälfte geschrumpft: 50.000 Vögel, die fressen wollen, sind dennoch keine Seltenheit.

So eine Ansammlung kann für Obstbauern existenzgefährdend werden. Sich dagegen zu schützen, gilt als legitimes Mittel. Nur der Abschuss von Vögeln ist verboten.

Obstbauern verhängen Kirschbäume mit Netzen

Obstbauer Tilo Jünger aus Aseleben am Süßen See will trotzdem ganz sicher gehen. Eine seiner beiden Kirschplantagen ist bereits komplett „vernetzt“. Der Schutz gegen Stare erstreckt sich nicht nur auf die Kronen. Die Netze reichen bis zum Boden und sind an Stangen fest verankert wie Zelte.

„Die Konstruktion ist für Vögel nicht sexy. Die Stare fliegen einfach weiter. Und ich habe keinerlei Verluste.“ Dank täglichem Nachschub kann er im Hofladen ein Kilogramm Kirschen aktuell für fünf Euro anbieten. Statistisch umgerechnet verspeist jeder Einwohner Sachsen-Anhalts etwa zwei Kilogramm jährlich. (mz)

Knackig, saftig und frisch - Blütenkönigin Laura I. mit einem Eimer Kirschen höchster Qualität wie sie jetzt auf den Plantagen rund um den Süßen See gepflückt werden. Fotos: .
Knackig, saftig und frisch - Blütenkönigin Laura I. mit einem Eimer Kirschen höchster Qualität wie sie jetzt auf den Plantagen rund um den Süßen See gepflückt werden. Fotos: .
Maik Schumann