Offene Rechnungen mit Kliniken Kliniken in Sachsen-Anhalt: Krankenkassen treten wegen offenen Rechnungen Klagewelle los

Halle (Saale) - Sachsen-Anhalts Krankenhäuser stehen unerwartet vor Rückforderungen in Millionenhöhe. Unter höchstem Zeitdruck haben Krankenkassen bis zum vergangenen Freitag Hunderte von Sammelklagen eingereicht.
Auslöser der Hektik ist eine Gesetzesänderung, durch die ältere Forderungen ansonsten verfallen wären. Allein beim Sozialgericht Halle sind auf einen Schlag 7.000 Streitigkeiten anhängig.
Haben Krankenhäuser bei Schlaganfall- und Geriatrie-Patienten falsch abgerechnet?
Es geht um bestimmte Behandlungen von Schlaganfall- und Geriatrie-Patienten innerhalb der vergangenen vier Jahre. Die Kassen vermuten, dass die Krankenhäuser mehr abgerechnet haben, als sie es nach dem Tenor von zwei jüngeren Gerichtsurteilen hätten tun dürfen. Ob das tatsächlich so ist, wissen sie nicht - sie haben rein vorsorglich geklagt.
„Wir wollen diese Gerichtsprozesse nicht und hätten die Fälle gern in Ruhe mit den Krankenhäusern besprochen“, sagte Sachsen-Anhalts AOK-Sprecher Sascha Kirmeß. „Durch eine Gesetzesänderung war eine Klage jedoch der einzige Weg, die Ansprüche im Namen unserer Versicherten geltend zu machen.“
Allein die AOK hat nach MZ-Informationen Sammelklagen gegen 60 Krankenhäuser eingereicht, bei denen es um rund 21.000 Abrechnungsfälle geht. Bestätigen will die Kasse lediglich, dass es um einen achtstelligen Betrag geht. Um die Schriftsätze rechtzeitig einzureichen, mussten die AOK-Juristen Sonderschichten einlegen. Die AOK hat in Sachsen-Anhalt die meisten Versicherten. Geklagt haben aber auch andere Kassen, darunter die IKK gesund plus.
Gerichte stehen durch Klageflut der Krankenkassen vor Problemen
Die Klageflut stellt die Gerichte vor Probleme. Allein beim Sozialgericht Halle sind seit Monatsbeginn rund 200 Sammelklagen eingegangen. „Wir gehen davon aus, dass es um deutlich über 7 000 einzelne Abrechnungsstreitigkeiten geht“, sagte Gerichtssprecher Alexander Landeck. Das Sozialgericht Magdeburg hat in der vergangenen Woche von Kassen 227 Sammelklagen angenommen.
„Sonst haben wir etwa 80 im Monat“, sagte Sprecher Nico Julius. Teilweise gehe es um Millionenbeträge. Für das Gericht sei das zusätzlich zu den vielen offenen Hartz-IV-Klagen eine enorme Mehrbelastung.
Der Bundestag hat am Freitag das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verabschiedet. Mitbeschlossen wurde auch ein Passus, der mit Pflege gar nichts zu tun hat, sondern Krankenhäuser gegen Kassen-Rückforderungen schützen soll. Anlass waren zwei Gerichtsurteile: Das Bundessozialgericht hatte 2017 und 2018 neu definiert, was Krankenhäuser leisten müssen, um zwei bestimmte Behandlungspauschalen zu erhalten.
Krankenhausgesellschaft Sachsen-Anhalt: „Das ist ein Angriff auf die eigenen Versicherten“
Union und SPD wollten nun verhindern, dass die Kassen unter Berufung auf die Urteile für längst abgerechnete Leistungen Geld zurückfordern. Der Bundestag kürzte daraufhin die Verjährungsfrist von vier auf zwei Jahre. Die Kassen konterten nun, indem sie Klagen für Altfälle bis zum Tag der Gesetzesänderung, dem vergangenen Freitag, einreichten.
Die Krankenhäuser im Land reagieren mit Empörung. Gösta Heelemann, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Sachsen-Anhalt, nannte das Vorgehen unverständlich „und vollkommen inakzeptabel“. Wer um längst abgewickelte Zahlungen streite, torpediere damit die flächendeckende Schlaganfallversorgung, sagte Heelemann der MZ. „Das ist ein Angriff auf die eigenen Versicherten“, sagte er. Zudem verschwendeten die Krankenkassen Millionen „für absolut unnötige und aussichtslose Rechtsstreitigkeiten“. (mz)
