Justizskandal Justizskandal: Richter beschweren sich über Ministerin

Magdeburg - Der Konflikt um einen umstrittenen Anruf von Justizstaatssekretär Hubert Böning (CDU) zieht immer weitere Kreise. Jetzt hat er die höchste Ebene erreicht. Der fünfköpfige Richterrat am Landgericht Magdeburg hat eine Beschwerde bei Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) eingereicht.
Auslöser der Affäre ist ein Anruf des Staatssekretärs bei einer Richterin. Am 24. Mai bat Böning die Frau, die Berufungsverhandlung gegen den verurteilten Gewalttäter Paul G. aus Quedlinburg vorzuverlegen.
Laut Bundesgerichtshof ist eine solche Einflussnahme auf die konkrete Terminplanung eines Gerichts jedoch unzulässig. Der Richterrat schickte deshalb eine Dienstaufsichtsbeschwerde an Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU). Die Juristin weigert sich allerdings, auf den schweren Vorwurf einzugehen.
Justizskandal um Hubert Böning: Anne-Marie Keding schreibt den Beschwerdeführern
In einem Schreiben vom 28. Juni, das der MZ vorliegt, verweist Keding vielmehr auf die Möglichkeit eines Gerichtsverfahrens. Wenn sich ein Richter in seiner Unabhängigkeit beeinträchtigt sehe, könne er den Dienstgerichtshof beim Oberlandesgericht Naumburg anrufen, schreibt Keding den Beschwerdeführern.
„Bitte haben Sie Verständnis, dass ich vor diesem Hintergrund in einem außerordentlichen (nichtförmlichen) Verfahren wie dem Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahren keine rechtliche Bewertung des von Ihnen beanstandeten Verhaltens von Herrn Staatssekretär vornehmen werde“, heißt es wörtlich.
Keding vermeidet es damit, sich schützend vor Böning zu stellen oder aber sein Verhalten zu rügen. Auf MZ-Nachfrage hatte das Ministerium vor zwei Wochen bestätigt, dass Keding den Vorschlag Bönings, bei Gericht anzurufen, gebilligt hatte.
Die Vertretung der Richter am Landgericht Magdeburg reagiert indes empört auf die ausweichende Antwort. Der Richterrat beruft sich auf das im Grundgesetz verankerte Petitionsrecht - und hat mittlerweile die nächste Beschwerde formuliert, dieses Mal direkt an den Regierungschef.
Das am Dienstag abgesandte Schreiben wirft Keding vor, sie verweigere eine sachliche Prüfung. Die Ministerin gebe durch ihre Antwort zu verstehen, dass sie die Eingabe für unzulässig halte, weil der Klageweg Vorrang habe.
Eva von Angern: „Es gibt einen erheblichen Vertrauensbruch“
Laut Richterrat ist diese Einschätzung jedoch „rechtsfehlerhaft“ - ein harscher Vorwurf für die oberste Repräsentantin der Justiz im Land. Robert Glinski, der dem Richterrat angehört, sieht den Konflikt um Bönings Einflussnahme als beispiellos in Sachsen-Anhalt. „Von so einem Fall habe ich in meiner Dienstzeit noch nie gehört. Ich hätte so etwas auch in der heutigen Zeit nicht für möglich gehalten.“
Die Rechtspolitikerin Eva von Angern (Linke) teilt die Einschätzung. Die an den Ministerpräsidenten gerichtete Beschwerde zeige Handlungsbedarf, mahnt sie: „Es gibt einen erheblichen Vertrauensbruch zwischen der Spitze des Justizministeriums und Teilen der Richterschaft.“
Von Angern will nun erreichen, dass der Rechtsausschuss des Landtages außerplanmäßig im August zusammenkommt, um den Vorgang weiter aufzuklären. Auch Richterin Andrea L., die an jenem 24. Mai den Anruf von Böning entgegengenommen hat, soll dann befragt werden. Laut Aussage von drei Richterkollegen bezeichnete die Frau den Ton des Staatssekretärs als „unfreundlich“.
Sie habe verstört gewirkt und soll sich anschließend bemüht haben, die für den 8. August vorgesehene Verhandlung im Sinne Bönings vorzuverlegen. Da der zuständige Richter im Urlaub war, sprach sie Kollegen an, die möglicherweise hätten einspringen können.
Gerichtsverfahren gegen Angeklagten: Wird Paul G. zu einer Haftstrafe verurteilt?
Auch dieses Verhalten gilt unter Juristen als heikel, da jeder Angeklagte das Recht hat, dem nach Geschäftsverteilungsplan zuständigen Richter gegenüberzusitzen. So soll vermieden werden, dass Verfahren gezielt ganz bestimmten Richtern zugeschoben werden.
Unterdessen ist es fraglich, ob das strittige Gerichtsverfahren den Angeklagten Paul G. tatsächlich hinter Gitter bringen wird. Nicht ausgeschlossen ist, dass das Landgericht weniger hart urteilt als die Vorinstanz. G. hat Strafen wegen schwerer Gewaltdelikte abgesessen, darunter wegen versuchten Mordes und Vergewaltigung.
Am 14. Februar wurde er wegen Körperverletzung an einem elfjährigen Mädchen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Manche Strafrechtsexperten halten das Urteil für unangemessen, da der Angriff auf das Mädchen keine schweren Folgen gehabt habe.
Denkbar ist daher, dass eine Strafe von weniger als zwei Jahren verhängt wird - dann könnte sie auch auf Bewährung ausgesetzt werden. (mz)