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Bundesvorstand prüft Im Intrigantenstadl: Bundesvorstand prüft der AfD untersucht Extremismus-Vorwürfe gegen Sachsen-Anhalter

Von Hagen Eichler 15.10.2018, 10:30
Lächeln, auch wenn es wehtut: Die Veröffentlichung intimer Nachrichten haben Ex-Landeschef André Poggenburg (M., hier mit  Hans-Thomas Tillschneider) die Beziehung zu Lisa Lehmann (r.) gekostet. Neue Enthüllungen drehen sich um  rechtsextreme Verbindungen in der Partei.
Lächeln, auch wenn es wehtut: Die Veröffentlichung intimer Nachrichten haben Ex-Landeschef André Poggenburg (M., hier mit  Hans-Thomas Tillschneider) die Beziehung zu Lisa Lehmann (r.) gekostet. Neue Enthüllungen drehen sich um  rechtsextreme Verbindungen in der Partei. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Ein Jubeln zerreißt die angespannte Stille, eben noch erschöpfte Wahlkämpfer reißen ekstatisch Bierkrüge und Deutschlandfahnen hoch. Es ist der Abend des 13. März 2016, auf der AfD-Wahlparty in Magdeburg ist eben die Prognose für die Landtagswahl über die Leinwand geflimmert. Sie ist eine Sensation: Die AfD springt aus dem Nichts heraus in den Landtag, als zweitstärkste Fraktion.

Thüringens AfD-Chef Björn Höcke ist es, der den Moment in Worte fasst. „Wir haben eine neue Epoche in der Parteiengeschichte“, ruft er von der Bühne. Und wagt gleich noch einen Blick in die Zukunft: „Ich prophezeie, dass diese neue, seriöse, bürgerlich-patriotische Partei zur stärksten Fraktion wird!“

Satte 24,3 Prozent holt die AfD an jenem Abend, für sie ist es ein Meilenstein. Seit einem Jahr ist die Partei auch im Bundestag vertreten. Vom Versprechen einer seriösen, bürgerlich-patriotischen Alternative aber ist die AfD so weit entfernt wie damals - gerade in Sachsen-Anhalt.

Ein Mann hofft auf Hitler

Beim AfD-Bundesvorstand liegt in diesen Tagen ein 79-seitiges Papier, das Nazi-Umtriebe im Kreisverband Börde belegen soll. SS-Uniformen, Hitlergruß, Aufruf zu Gewalt gegen „Kanaken“: All das wird seitenlang aufgelistet - wie immer, wenn die AfD Machtkämpfe austrägt. Rechtsextreme Äußerungen von Mitgliedern und das Durchstechen brisanten Materials begleiten die Partei von Anfang an.

Aktuell steht ein Politiker im Kreuzfeuer, der sich selbst als Bollwerk gemäßigter Positionen in der AfD präsentiert: Steffen Schroeder, bis vor kurzem Sprecher der „Alternativen Mitte“ in Sachsen-Anhalt und noch immer AfD-Kreischef in der Börde. Schroeder soll Rechtsextremisten mit offenen Armen aufgenommen haben - etwa Rolf-Peter Hoppe. Laut dem Dossier ist der Frührentner ein überzeugter Judenhasser und Hitler-Verehrer.

„Ein Mann wie A.H.“ sei die einzige Hoffnung, die er noch habe, soll Hoppe bei Facebook verbreitet haben. Stimmt es, was das Papier zusammenträgt, empfindet Hoppe selbst die NPD als zu harmlos. Gegen Merkels Politik helfe nur noch Gewalt, soll er auf der Facebookseite der Rechtsex-tremisten hinterlassen haben.

Als Reaktion hat der AfD-Bundesvorstand ein Ausschlussverfahren eingeleitet. Das Gleiche gilt für Andreas Kühn. Der Schatzmeister der Börde-AfD hat seiner Begeisterung für hakenkreuzgeschmückte Wehrmachts-Fahrzeuge, NS-Größen wie Hitler und Göring sowie SS-Soldaten in Facebook-Likes Ausdruck verliehen. Er soll auch eine Sprachnachricht verbreitet haben, in der ein Mann gegen „Kanaken“ und „Kanaken-Läden“ in Hannover hetzt. Es sei Zeit, „ein paar Bomben zu bauen“, heißt es in der Nachricht.

Mehrheit durch Führerprinzip

Fünf weitere Namen mit Verbindung zur Börde-AfD nennt das Dossier, stets sind es die gleichen Vorwürfe: Nazi-Symbole, Gewaltfantasien, Hetze gegen „Drecks Neger“ (Originalschreibweise). Die Spitze der Börde-AfD baue gezielt auf Rechtsextremisten, erzählt ein Gegner von Kreischef Schroeder. „Der weiß, dass solche Leute nach dem Führerprinzip funktionieren. Bei Parteitagen stimmen die immer loyal mit dem, der sie aufgenommen hat.“

Insider-Informationen werden in der Partei immer wieder durchgestochen. Zuletzt traf es André Poggenburg: Auf der linksradikalen Plattform Indymedia wurden intime Chatnachrichten veröffentlicht, die der frühere Landeschef mit einer Frau ausgetauscht hatte. Poggenburg kostete das die Beziehung zu seiner Lebenspartnerin Lisa Lehmann, Tochter eines Fraktionskollegen.

Im vergangenen Jahr hingegen war es Poggenburg, der parteiinterne Gegner anhand einer Chat-gruppe als „Verschwörer“ enttarnte und attackierte. Kritiker des damaligen Landesvorstands hatten sich in der WhatsApp-Gruppe „Die Verbündeten“ vernetzt und in ihrer Wut aufgestachelt. Man werde die Widersacher „wie Unkraut bekämpfen“, hieß es, von „Bürgerkrieg“ war die Rede. Ein unmittelbar folgender Parteitag im Vorharz-Dorf Badeborn geriet zum Tribunal, die Teilnehmer der Chatgruppe standen mit dem Rücken zur Wand.

950 Mitglieder hat der AfD-Landesverband mittlerweile, die Partei ist schnell gewachsen. Und sie ist weiter im Umbruch: Gestern noch wichtige Personen werden von neuen Mehrheiten hinweggeschoben. Ex-Landeschef Poggenburg, bis heute das bekannteste Gesicht des Landesverbands, musste im Frühjahr gehen. Mit einer Aschermittwochs-Hetzrede gegen „Kameltreiber“ und „Kümmelhändler“ hatte er eine Debatte ausgelöst, ob die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden müsse. Die Fraktion sprach Poggenburg daraufhin das Misstrauen aus.

Es droht die Beobachtung

Im Landtag sitzt er seither in der zweiten Reihe, als Fraktionschef folgte ihm der Magdeburger Oliver Kirchner. „Wir haben jetzt weniger interne Querelen und Debatten um bestimmte Wortmeldungen im Landtag“, findet Kirchner. Poggenburg hatte etwa linke Studenten als „Wucherung am deutschen Volkskörper“ bezeichnet. Den Sinn solcher Provokationen habe er nie verstanden, sagt Kirchner. In der Sache freilich ändert sich die Politik der Fraktion nicht: Es geht gegen Flüchtlinge, gegen Muslime, gegen alles, was sich dem AfD-Weltbild entgegenstellt.

Im November kommen die Innenminister von Bund und Ländern in Magdeburg zusammen und beraten über eine Verfassungsschutz-Beobachtung der AfD. Unter diesem Druck hat der Rechtsaußen Hans-Thomas Tillschneider aus dem Saalekreis angekündigt, die Patriotische Plattform aufzulösen. Auch sein Büro im Haus der rechtsextremen Identitären in Halle soll Geschichte sein. Wenig später erklärte auch die „Alternative Mitte“, sie beende ihre Arbeit.

Die Pressemitteilung war kaum verschickt, da widersprach die Bundesspitze der Vereinigung: Die Sprecher in Sachsen-Anhalt hätten dazu kein Recht. Im übrigen sei Landessprecher Schroeder bereits abgesetzt. Auf Nachfrage verweist AM-Bundessprecher Uwe Witt auf den Verdacht rechtsextremer Unterwanderung in Schroeders Kreisverband. „Sollte sich nur ein einziger dieser Punkte bewahrheiten, ist fraglich, ob Schroeder überhaupt in der Partei bleiben kann“, sagt Witt.

Der Angegriffene sieht in den Vorwürfen eine Intrige des abgesetzten Landesschatzmeisters Frank Pasemann. Dieser arbeite „mit falschen Tatsachenbehauptungen und Lügen“, heißt es in einer neunseitigen Stellungnahme für den AfD-Bundesvorstand. In Wahrheit sei der Kreisvorstand Börde konsequent gegen Extremisten vorgegangen, beteuert Schroeder. Pasemann will sich auf MZ-Anfrage nicht äußern.

Es sind die gleichen Kontrahenten wie in früheren Schlachten: Die „Alternative Mitte“ gilt mit Schroeder, dem Wittenberger Dirk Hoffmann und Kay-Uwe Ziegler aus Anhalt-Bitterfeld als Fortführung der Chatgruppe „Die Verbündeten“. Auf der anderen Seite stehen Männer wie Pasemann oder der Chef der Jungen Alternative, Jan Wenzel Schmidt. Im Landesvorstand gibt es ein Patt: Jede Seite kann das Gremium lahmlegen, indem sie aufsteht und den Raum verlässt.
Einige glauben, dass der abgesetzte Chef Poggenburg genau das mit herbeigeführt hat. „Das wollte der so“, sagt ein führender AfDler. „Wenn der Vorstand gegen die Wand gefahren ist, kann er sich als Retter in der Not präsentieren.“ (mz)