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Gesundheit in Sachsen-Anhalt Folgen der Pandemie: Jugendliche leiden unter Depressionen und Adipositas

Die gesundheitlichen Auswirkungen nach über zwei Jahren Corona werden deutlicher: Vor allem Jugendliche leiden. Eine Studie zeigt jetzt das Ausmaß.

Von Lisa Garn Aktualisiert: 18.10.2022, 12:40
Jugendliche leiden in der Pandemie nach Einschätzung der DAK-Gesundheit besonders.
Jugendliche leiden in der Pandemie nach Einschätzung der DAK-Gesundheit besonders. Foto: dpa

Halle/MZ - - Das Bild zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie wird immer deutlicher: Jugendliche leiden in der Pandemie nach Einschätzung der DAK-Gesundheit besonders. Im Vergleich zu anderen Altersgruppen seien bei ihnen häufiger erstmals psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen festgestellt worden als vor der Pandemie, teilte die Krankenkasse mit. Auch Neuerkrankungen wie Adipositas hätten zugenommen, wie der aktuelle Kinder- und Jugendreport für Sachsen-Anhalt zeigt. In die Analyse seien Behandlungsdaten von rund 18.500 ambulant und stationär behandelten Kindern und Jugendlichen eingeflossen.

Demnach hat die Zahl der Neuerkrankungen bei psychischen Störungen unter jüngeren Kindern zwar im zweiten Coronajahr 2021 abgenommen. Aber bei Jugendlichen im Alter von 15 bis 17 Jahren gab es im Vergleich zu 2019 teils erhebliche Steigerungen. Anpassungsstörungen etwa sind um 29 Prozent auf 31 Fälle je 1.000 Versicherte gestiegen, emotionale Störungen um 41 Prozent auf 17 Fälle je 1.000 Versicherte. Bei Depressionen liegt der Anstieg bei 35 Prozent.

Mehr Schulschwänzer

Auch Annegret Brauer, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Halle, stellt Verschiebungen in den Krankheitsbildern fest. „Schwere Störungen haben zugenommen: Das gilt für Fälle von Schulangst und Schulphobie, sozialen Ängsten“, sagt Brauer, die auch Vize-Vorsitzende im Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie ist. Viele würden nicht mehr zur Schule gehen. „Ich habe Jugendliche hier, die seit Monaten nicht gegangen sind und bei denen ich nicht weiß, wie wir sie dort wieder hinbekommen.“ Das Problem habe sich durch die Pandemie und Schulschließungen verstärkt. „Kinder, die schon vorher unsicher waren, mussten plötzlich nicht mehr in die Schule. Als es wieder ging, konnten sie nicht. Das ist ein Folgeschaden von Corona.“

Brauer sieht die Kinder durch hohen Leistungsanforderungen bereits in der Grundschule unter Druck. „Aber auch die Bewertung, teilweise Entwertung im sozialen Raum spielt eine Rolle. Und dass Jugendliche ihre Schwächen schwer akzeptieren. Die Pubertät ist sowieso eine so schwierige Zeit“, so die Psychiaterin. „Und dann kommt Corona und sie saßen monatelang allein im Zimmer, waren nicht im Sportverein, trafen keine Freunde. Die Unsicherheiten manifestierten sich.“

Die Unsicherheiten manifestierten sich.

Annegret Brauer, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Laut Analyse der Krankenkasse sind bei Grundschulkindern Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache am häufigsten festgestellt worden. Die Neuerkrankungen in diesem Bereich seien aber mit 50 Fällen je 1.000 Kindern um zwei Prozent zurückgegangen im Vergleich zum Vor-Coronajahr 2019. Andere Verhaltensstörungen sowie emotionale Störungen mit Beginn der Kindheit und Jugend stiegen um zwei Prozent und seien 2021 erstmals bei mehr als 36 Kindern je 1.000 festgestellt worden.

Insgesamt waren im vergangenen Jahr weniger Kinder und Jugendliche in Arztpraxen und Krankenhäuser. Im Vergleich zu 2019 nahm die Zahl der Arztbesuche um zwei Prozent ab, in den Kliniken sank sie um 18 Prozent. Insbesondere Infektionskrankheiten und Atemwegserkrankungen spielten laut DAK-Report eine geringere Rolle. So verschrieben Ärzte auch elf Prozent weniger Arzneimittel an Kinder und Jugendliche. Bei Antibiotika sank die Zahl um 39 Prozent.

Die DAK-Gesundheit hat auch mehr Adipositas-Neuerkrankungen festgestellt. Bei Jungen im Grundschulalter hätten die Behandlungen um 93 Prozent im Vergleich zum Vor-Coronajahr zugenommen - je 1.000 Kinder sind 28 betroffen. Mädchen seien in diesem Alter weit weniger betroffen. Bei ihnen habe es einen Rückgang um sechs Prozent gegeben. Auch bei älteren Schulkindern bis 14 Jahren sanken die Zahlen. Anders ist der Trend aber bei den 15- bis 17-jährigen männlichen Jugendlichen. 64 Prozent mehr erstmalig behandelter Adipositasfälle gab es im vergangenen Jahr. Es habe nun 24 Fälle je 1.000 Einwohner gegeben. Bei weiblichen Jugendlichen gab es einen Anstieg um 27 Prozent.

Im Internet abgetaucht

Psychiaterin Brauer bestätigt eine Zunahme von Essstörungen, allerdings bei den Fällen von Magersucht. Übergewichtige Kinder würden eher beim Kinderarzt behandelt. „Ich sehe vor allem Mädchen, die extrem abnehmen. Während der Pandemie waren sie in ihrer Bubble, sehr auf sich selbst zurück geworfen und vor allem in Social Media Kanälen abgetaucht, in denen es ums Vergleichen und Optimieren geht.“ Es habe der Abgleich mit der Realität gefehlt.

Dennoch teilt Brauer das viel zitierte Bild von der verlorenen Generation nicht. „Kinder sind sehr anpassungsfähig, sie können schneller mit neuen Situationen umgehen. Es gibt nun Einzelfälle, die massive Probleme haben. Es ist aber nicht die Mehrheit. Viele schöpfen aus der Situation neue Handlungsansätze. Ganz wichtig ist die Rolle der Eltern: Wir müssen auch sie stärken, damit die Kinder resilient in Krisen sind.“