Ein Stück Ostalgie Ein Stück Ostalgie: In diesem Ort lebt die Friedensfahrt weiter

Kleinmühlingen - Wenn Besucher das Fiedensfahrtmuseum betreten, schaltet Horst Schäfer einen uralten Kassettenrecorder an. Dann schmettert die Fanfare los, die ein gelernter DDR-Bürger wohl auf ewig in seinem Gedächtnis hat: dada, dadadada, dada ....Komponiert hat sie der 1902 geborene Paul Noack-Ihlenfeld, ein Operetten-Mann. Der DDR-Rundfunk kündigte damit jahrzehntelang seine Live-Übertragungen von der Friedensfahrt - dem größten und bedeutendsten Amateur-Radrennen der Welt - an. „Was für eine Fanfare“, sagt Schäfer und seine Augen leuchten, „Gänsehaut pur!“ Die Fanfare habe Besuchern schon die Tränen in die Augen getrieben, behauptet er.
Radsportgeschichte im Museum: In Horst Schäfers Museum kommt Friedensfahrt-Nostalgie auf
Schäfers Museum in Kleinmühlingen lebt von liebevoll kultivierter Friedensfahrt-Nostalgie. Auf zwei Etagen gibt es Rennräder, Trikots, Schuhe, Abzeichen, Streckenpläne, Winkelemente, Tücher, Tassen, Pokale, Siegerkränze, Siegerschärpen, Briefe, Medaillen, Abzeichen, Helme, Handschuhe, Urkunden. Schäfer sammelt mit dem Verein „Radfreizeit, Radsportgeschichte und Friedensfahrt e.V.“ alles, was noch an Friedensfahrt-Nachlass im Umlauf ist.
Sein wertvollstes Exponat? Da wird Schäfer pathetisch: „Das Vertrauen der Rennfahrer, Techniker, Masseure, Radsportfreunde, die mir ihre Erinnerungsstücke überlassen.“ So ist in dem weithin unbekannten Kleinmühlingen bei Schönebeck in den vergangenen zehn Jahren ein Museum gewachsen, das es so nicht noch mal in Europa gibt. Erste Reisebusse fahren vor, um die 2.000 Besucher finden pro Jahr den Weg hierher, „da ist noch Luft nach oben“, sagt Horst Schäfer.
„Tour de France des Ostens“: Wie aus Horst Schäfer ein Friedensfahrtfanatiker wurde
Tarek Aboul Zahab ist schuld am Museum. Er beeindruckt den Neunjährigen Schäfer ungemein, wie er da am 2. Mai 1962 so ganz allein in Berlin zur Eröffnung der XV. Friedensfahrt einfährt. Als einziger Starter seines Landes nimmt der Libanese die 2.407 km in Angriff. Er wird am Ende 41. Das findet Horst Schäfer toll. Ein Jahr später sitzt Schüler Schäfer auf einem Apfelbaum bei Biere. Die Friedensfahrer kommen! Und er sieht ihn, seinen Tarek Aboul Zahab, und auch seinen neuen Helden: Klaus Ampler.
Der gewinnt die Tour, die DDR-Mannschaft mit Kapitän Gustav-Adolf Schur holt den Mannschaftssieg. Von da an sitzt der Friedensfahrtvirus tief drin in Horst Schäfer. Der 1,62 Meter große Friedensfahrtfanatiker ist selbst nie Radrennen gefahren. Aber wann immer es geht, ist Schäfer an der Strecke, wenn beim größten und härtesten Amateurrennen der Welt für den Frieden gefahren wird, jahrzehntelang.
Friedensfahrt-Erinnerungen im Museum: Wie Kleinmühlingen in die deutsche Radsportgeschichte einging
1991 rollt die Friedensfahrt erstmals nicht durch Deutschland. Ein Schock für den 38-jährigen Schäfer. Er will die Friedensfahrt retten. Das wollen andere auch. Täve Schur aus Heyrothsberge etwa. Der gewann 1955 und 1958 die Friedensfahrt und wurde auf wundersame Weise zum Idol einer ganzen Generation, obwohl andere nach ihm noch erfolgreicher fuhren.
Also hin zu Täve. Beide kennen sich nicht. Schur ist etwas irritiert, als der forsche junge Mann in seinem Arbeitszimmer steht. „Herr Schur, habe ich gesagt, Herr Schur, wir müssen die Friedensfahrt retten!“ Wie, war noch unklar. Dass es einzig ums Geld geht, hat Schäfer schnell gelernt. Was tun? Herr Schur ist da schon einen Schritt weiter, er arbeite schon an „etwas“, wie Schäfer erfährt. Das bringt beide schnell zusammen. Wenig später setzt Herr Schur dann seine Unterschrift unter das Gründungsdokument des „Kuratoriums Friedensfahrt/Course de la Paix e. V.“ Da steht drin, dass sich das Kuratoriumsmitglied Horst Schäfer bereit erklärt, „eine Dokumentation der Friedensfahrt, beginnend 1948 bis zur Gegenwart “ zu erarbeiten. Und: „Die Räumlichkeiten stellt Herr Horst Schäfer auf seinem Grundstück zur Verfügung.“
Damit tritt der 600-Seelen Ort Kleinmühlingen in die deutsche Radsportgeschichte ein, in der 2006 ein großes Kapitel geschlossen wird: Die letzte Friedensfahrt findet statt. Da ist der studierte Landwirt Horst Schäfer bereits sechs Jahre arbeitslos, das bleibt er, bis er mit 63 in Rente geht.
Horst Schäfer opfert sich seit vielen Jahren für sein Friedensfahrt-Museum auf
Was dann folgt, ist der Gründungsklassiker: Garage, Dachboden, Schuppen, sammeln, sammeln. Manchmal, sagt er schmunzelnd, glaube er, dass er wegen des Museums gar keine Zeit zum Arbeiten gehabt hätte. Immer mehr Helfer schart er im Friedensfahrt-Verein um sich. Geld ist knapp. Schäfer und die Vereinsmitglieder gehen Klinken putzen, bei Handwerkern, Radsportfreunden, Banken, Kommunen, Sponsoren. Jede noch so kleine Spende ist willkommen, bis heute.
Mit Herrn Schur ist er bald per Du. Wenn es mal nicht weitergeht mit der Museums-Idee, ruft er ihn an. „Justav, sage ich dann, Justav, wir müssen was machen“. Als das provisorische Museum aus allen Nähten platzt, machen sie was. Ein Neubau wird beschlossen. Viele Spender spenden, Firmen der Region bauen und am 24. November 2007 wird eröffnet.
Vor der Grundsteinlegung macht der Justav kurz Sperenzien. Ortspfarrer Thomas Lütgert soll den Grundstein segnen, hat sich Schäfer ausgedacht. Das findet Täve nicht so toll. Ein Pope soll meine Friedensfahrt segnen? Das hat Täve nie so gesagt. Aber die Stirn habe er mächtig in Falten gelegt, wird berichtet. Doch der Kommunist Täve segnet schließlich den kirchlichen Beistand ab. Zu einem runden Geburtstag gibt Schur später die Parole aus: Schenkt mir nichts, spendet für Schäfers Museum! Zehntausende Euro sind allein auf diesem Weg über die Jahre zusammengekommen.
Horst Schäfer ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Einmal in Fahrt, ist er schwer zu bremsen. Er fuchtelt wild mit den Armen, rollt mit den Augen, wackelt mit dem Kopf, der Oberkörper wogt hin und her, wenn er Besucher führt. Sein Episodenvorrat zu Friedensfahrt und Museum scheint unerschöpflich. Schäfer kann den Weg des Museums ins Grundbuch so spannend erzählen, als ginge es um ein Sprintfinale bei der Friedensfahrt.
Nur ein Theme spielt im Friedensfahrtmuseum keine Rolle: Doping
Nur bei einem Thema wird seine Stimme ganz leise und der Blick besorgt: Doping. Darauf gibt es keinen Hinweis im Museum, gleichwohl mancher späte Friedensfahrer in diesen Sumpf geriet. Er habe mal versucht, so Schäfer, einen Wissenschaftler zu gewinnen, der das Thema wenigstens kurz und knapp fürs Museum aufbereitet. Aber irgendwie verlief das dann im Sande. Das sei „schwieriges Terrain“. Einer der nie Friedensfahrt fuhr und später tief fiel, ist vertreten in Kleinmühlingen: Jan Ullrich. Sein Hometrainer ist zu sehen, auf dem er als Schüler bei der SG Dynamo Rostock trainiert hat, hergestellt von einer Firma aus Lützen.
Langsam wird nun auch im Neubau der Platz für all die Friedensfahrt-Devotionalien knapp, die immer noch eintreffen. Das Museum bräuchte bald mal eine ordnende Hand, die der Schau zeitgerechte Struktur verpasst. Die große Idee hat ein Konzept verdient, das das Haus fit macht für den Weg durch das digitale Zeitalter. Darauf angesprochen, verleiert Schäfer die Augen und verkneift es sich wahrscheinlich, den Frager Klugscheißer zu nennen: „Wer soll das bezahlen?“ Noch funktioniert das Friedensfahrtmuseum über die Emotionen der Alten. Aber irgendwann verdrückt keiner mehr eine Träne, wenn am Eingang die Friedensfahrtfanfare ertönt, und die Jungen werden fragen: Who the fuck is Täve?
An diesem Wochenende besteht die Gefahr nicht. Mr. Friedensfahrt, nun schon 86, hat Freitag mit den Rennfahrern von einst im Kleinmühlingener „Sportzentrum am Mühlberg“ das Museum und den Course de la Paix hochleben lassen. Alles, was Rang und Namen in den Friedensfahrtstartlisten hatte, sei angerückt, behauptet Schäfer. An dem Abend gibt der 64-jährige Museumschef beim Klassentreffen der früheren Rad-Elite den Regisseur. „Erstmal hol ich meine Bauarbeiter auf die Bühne, die Sponsoren, die Helfer. Die Stars müssen warten.“ (mz)
››Friedensfahrt-Museum Kleinmühlingen, Grabenstraße 20. Dienstag, Donnerstag, Sonnabend, Sonntag 13 - 17 Uhr. Mehr Informationen unter: www.friedensfahrt-museum.de
