Ausflugsziel zur Weihnachtszeit Dinosaurier-Parkplatz für Dampfloks: Rettung für rostige Riesen
Im Städtchen Falkenberg versteckt sich Deutschlands größte private Eisenbahnsammlung. Der leidenschaftliche Bastler Enrico Forker hat seine erste Liebe hierher geholt.

Es war Liebe auf den ersten Blick, ein einziger Moment, der für ein ganzes Leben blieb. Enrico Forker war zehn Jahre alt, als es passierte. „Ich war mit meinen Eltern unterwegs bei einem Bahnhofsfest“, erzählt er, „und da stand sie.“ Eine Dampflok mit der Nummer 52 81 20, groß, schwarz, ein Riese von beeindruckender Statur und unheimlicher Kraft. Forker bittet und bettelt, bis er mitfahren darf, sogar ganz vorn im Leitstand, wo Kohle verfeuert wird, um Dampf zu erzeugen. Der kleine Junge ist fasziniert davon, wie aus Feuer und Wasser genug Kraft wird, den Giganten anzutreiben. „Ich habe zu meinem Vater gesagt, die Lokomotive, die will ich haben.“

Der Unterschied zu anderen Jungen in diesem Alter: Enrico Forker meint keine kleine HO-Kopie für seine Eisenbahnplatte. Er meint es ernst. Es ist Liebe auf die erste Fahrt, die den Dreikäsehoch aus dem brandenburgischen Falkenberg gleich hinter der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt die nächsten Jahre immer wieder auf allerlei Lokfriedhöfen und in Bahnschuppen nach der 52 81 20 suchen lässt. Doch Forkers Traum - 75 Tonnen schwer, 4,40 Meter hoch und 23 Meter lang - ist wie vom Erdboden verschwunden.
Vom Erdboden verschwunden
Was Forker damals nicht weiß: Der aus Westdeutschland stammende Eisenbahnfan und Loksammler Bernd Falz hat der DDR-Reichsbahn Anfang der 90er Jahre viele historische Fahrzeuge abgenommen, die zur Verschrottung vorgesehen waren. 140 altehrwürdige Dampfloks fahren zum Teil in langen Geleit-Zügen Richtung Westen. In einem davon hängt auch Forkers 52 81 20, vor dem Schrottplatz gerettet, aber weit weg von daheim.

Doch die Welt der Eisenbahnfreaks ist klein. Mit 15 trifft Enrico Forker Bernd Falz das erste Mal. Nun erfährt er auch, dass seine Lok längst im Rheinland steht. „Ich habe danach immer wieder angeboten, dass ich sie ihm abkaufe, aber jahrelang wollte er nicht.“ Forker aber lässt nicht locker. Und das Glück spielt mit: Als Bernd Falz einen neuen Standort für einen Teil seiner gewaltigen Sammlung sucht, die zwischenzeitlich in Berlin untergebracht ist, dort aber wegen neuer Bebauungspläne nicht bleiben kann, spielt der Zufall den Ball in die richtige Richtung. Falz erwirbt das Bahnbetriebswerk oberer Güterbahnhof im früheren Bahnknotenpunkt Falkenberg/Elster, nur wenige Autominuten entfernt von Herzberg an der Annaburger Heide, wo Enrico Forker inzwischen in die Reifenhandelsfirma seines Vaters eingestiegen ist. „Die 52 81 20, die muss jetzt aber nach Hause“, habe er immer wieder gesagt. „Aber der Bernd wollte sie mir einfach nicht verkaufen.“
Stattdessen schenkt er sie dem jungen Mann, der im alten Bahnbetriebswerk gemeinsam mit einer Handvoll anderer Eisenbahn-Enthusiasten begonnen hat, einige der rostigen Dinosaurier der Dampflok-Ära auf Vordermann zu bringen. Jeden Abend ab 18 Uhr, „immer so bis 22 Uhr“, und natürlich an jedem Wochenende schleifen und hämmern, kratzen, schweißen und schrauben die Männer an den fünfzig, sechzig oder siebzig Jahre alten Riesen herum. Bleche müssen raus, kiloweise Rost muss runter, handgroße Schrauben müssen ab, Kessel geflickt und fehlende Teile ersetzt werden.

Eine Übung in Vergeblichkeit, denn „du siehst wochenlang gar nicht, was du geschafft hast“, sagt Forker. Alles gehe unendlich langsam, alles sei unglaublich schwer. Der 40-Jährige, Rost unter den Fingernägeln, Ruß im Gesicht, hat seinen Spaß. „Wir machen das ja nicht, weil wir was dafür bekommen“, erklärt er, „es geht nur darum, diese fantastischen Maschinen für die Nachwelt zu bewahren.“ Die Deutsche Bahn selbst interessiere sich nicht für ihre Geschichte. „Also müssen wir sehen, was wir erhalten können.“
Als frischgebackener Besitzer seiner 52 81 20 lernt Forker diese Lektion noch einmal auf ganz besondere Art. Denn seine geliebte Lok steht im Rheinland, schon lange nicht mehr fahrbereit und nicht einmal mehr auf einem Gleis mit Netzanschluss, über das sie Richtung Heimat dampfen könnte. „Ich habe dann eine Spedition gesucht, die sie nach Hause bringt.“
Ein fast unmögliches Unterfangen, das am Ende Enrico Forkers gesamtes Gespartes kosten wird. Die 52 81 20 ist einfach zu groß und zu schwer. „Wir mussten immer wieder rüberfahren, um sie klein zu kriegen.“ Das Gewicht der beiden Teile, in denen die Lok nach Falkenberg gefahren werden soll, bestimmen die Männer nach den Bauplänen. Alles, was mehr wiegt, muss ab, muss raus, wird weggeschnitten. „Wir haben wochenlang gebuckelt“, sagt Forker. Dann aber hängt der eine Teil am Kran - und ist immer noch viel zu schwer. Fast platzt der große Plan im allerletzten Augenblick. „Bis dem Fahrer auffiel, dass er sein Krangehänge und den Haken mitgewogen hatte.“

2017, 15 Jahre nach ihrer Fahrt ins Exil und mehr als ein Vierteljahrhundert nach Enrico Forkers erster Begegnung mit der Lok, trifft die 52 81 20 wieder auf ihrem Heimatbahnhof ein. 20.000 Euro kostet die Rettungsaktion den inzwischen 36-Jährigen. „Jeder Cent hat sich gelohnt“, sagt Forker bis heute.
Die Rückkehr der 52 81 20
Sein Kindertraum hat ihn nicht enttäuscht. Stunden, Tage, Wochen und Monate hat er mit den fünf anderen Männern, die zur Kerntruppe der Lokschrauber gehören, an seinem Baby herumgeschliffen, gehämmert und geschweißt, er hat die 52 81 20 geschlagen und gestreichelt, ihr gut zugeredet und sie verflucht, wenn sie sich bockig anstellte. Vier Jahre nach ihrer Rückkehr sieht sie nun wieder halbwegs manierlich aus. „Das Fahrwerk ist okay, die Bleche sind fertig“, sagt Enrico Forker. Die Zeit, die es bis hierhin gebraucht habe, rechne keiner von ihnen nach. „Normal darfst du nicht sein, wenn du sowas anfängst“, gibt er zu, „Du musst schon einen an der Waffel haben.“

Aber ganz oder gar nicht, selbst wenn die 200 alten Autos, die Forker daheim außerdem noch stehen hat, manchmal liegen bleiben. Und selbst wenn klar ist, dass keine der alten Loks jemals wieder fahren wird. „Dazu hat die Bahn ihre Preise zu sehr in die Höhe geschossen.“ Einmal Dampflok-Tüv habe mal 200.000 Euro gekostet. „Jetzt sind wir bei einer Million.“
Enrico Forker hat sich damit abgefunden, dass auch seine Lok eines Tages bestenfalls wieder aussehen wird wie früher. Auf Strecke gehen aber wird sie nicht. „Nur wenn jemand kommt, der ein paar Millionen hat“, sagt er, „der bekommt dann auch eine Freifahrt.“ Bis dahin aber wird weitergeschraubt, gehämmert und geschweißt. Forkers Liebling ist bald fertig, ganz bestimmt, auch wenn es keinen Plan gibt, wann das sein wird. Danach geht es dann sowieso weiter. An einem Dutzend anderer Loks werkeln sie schon, 70 weitere stehen draußen verteilt im Außengelände. Im bisherigen Tempo ist das Arbeit für das nächste halbe Jahrhundert. Enrico Forker freut sich schon.
Besichtigungen sind auf Anfrage möglich: www.dampflokmuseum-hermeskeil.de
