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Computer intelligenter als Menschen  Computer intelligenter als Menschen : Wenn der Kühlschrank die Polizei alarmiert

09.01.2018, 08:58
Der Technologieforscher Magnus Kalkuhl warnt davor, die Digitalisiserung der Gesellschaft zu verschlafen.
Der Technologieforscher Magnus Kalkuhl warnt davor, die Digitalisiserung der Gesellschaft zu verschlafen. dpa

Magdeburg - Kühlschränke, die die Polizei alarmieren und Brillen, die bei der Diät helfen - diese Visionen werden für Magnus Kalkuhl schneller Realität werden, als viele Menschen glauben. Im Rahmen der FutureNow-Konferenz der Techniker Krankenkasse sprach MZ-Redakteur Julius Lukas mit dem Zukunftsforscher.

Herr Kalkuhl, Sie sagen, die Gesellschaft wird immer digitaler. Wie sind Sie persönlich zuletzt digitaler geworden?
Magnus Kalkuhl: Das passiert bei mir eigentlich fortlaufend. Aber ich habe gerade begonnen, meine Bahn-Tickets nicht mehr auszudrucken. Die speichere ich jetzt auf meinem Smartphone.

Das klingt nicht sehr revolutionär.
Magnus Kalkuhl: Ist es auch nicht. Aber das Beispiel zeigt gut, wie uns Gewohnheiten bestimmen. Es ist ja viel einfacher, die Tickets gleich auf dem Telefon zu haben. Aber ich hatte mich an das Ausdrucken gewöhnt. Solche Hemmnisse muss man bewusst durchbrechen.

Wird das in Deutschland zu selten gemacht?
Magnus Kalkuhl: Nach meinem Eindruck: Ja. Ich erlebe bei neuen Technologien oft einen Abwehr-Reflex. Das geschieht aus Angst vor Veränderung, aber auch, weil man der neuen Technologie nicht traut und sie für bloße Spielerei hält. Als der Computer für den Privatgebrauch auf den Markt kam, sagten vor allem Ältere: Ach, das brauche ich nicht. Die haben es heute deutlich schwerer, dem technischen Fortschritt zu folgen.

Aber ist eine Grundskepsis nicht angebracht?
Magnus Kalkuhl: Sicher, man darf nicht blauäugig sein. Fatal ist jedoch auch, wenn man Zukunftstechnologien verschläft. Durch die Digitalisierung stehen uns so massive Veränderungen bevor - nicht nur bei den technischen Geräten, unsere gesamte Gesellschaft wird sich wandeln. Wenn man da sagt: Ich mache nicht mit, dann wird man abgehängt.

Wie werden diese Veränderungen aussehen?
Magnus Kalkuhl: Nur ein paar Beispiele: Mit hoher Wahrscheinlichkeit müssen die Kinder, die heute zur Welt kommen, keinen Führerschein mehr machen - weil Autos dann autonom fahren. Wenn man auf Diät ist, könnte es Brillen geben, die im Supermarkt alle Produkte ausblenden, die man nicht essen darf. Und zu Hause wird vielleicht der Kühlschrank die Polizei alarmieren, weil der Toaster - mit dem der Kühlschrank kommunizieren kann - am Fenster eine auffällige Person entdeckt hat, die dem Toaster vom Nachbarn auch schon komisch vorkam.

Das klingt gruselig.
Magnus Kalkuhl: Mag sein, aber wenn Sie in 15 Jahren dieses Interview noch einmal lesen, werden Sie sagen: Die Realität ist ja noch viel verrückter.

Können Sie nachvollziehen, dass das vielen Menschen Angst macht?
Magnus Kalkuhl: Natürlich gibt es Gefahren. In einer komplett vernetzten Wohnung der Zukunft könnte sich jemand von außen einhacken, den Besitzer in der Toilette einschließen und nur gegen die Herausgabe der Kreditkartendaten wieder frei lassen. Das ist ein vorstellbares Szenario. Aber mir wird die Debatte in Deutschland oft zu sehr von solchen Ängsten bestimmt. Das ist, wie wenn ich jemandem mit Flugangst die ganze Zeit erzähle, was bei einem Flug alles passieren kann.

Ist das typisch deutsch?
Magnus Kalkuhl: Es gibt ja diesen Ausdruck: „German Angst“. Ich würde sagen, es ist eher „European Angst“. In den USA und vielen asiatischen Ländern werden neue Technologien einfach ausprobiert, wo in Europa noch überlegt wird: Wie mache ich das umfassend richtig? Bei neuen Technologien ist es aber klüger, klein anzufangen und sich in mehreren Durchläufen zu verbessern.

Andere Länder sind Neuerungen gegenüber also offener?
Magnus Kalkuhl: Ein gutes Beispiel ist Südkorea. Dort hat ein intelligenter Computer im vergangenen Jahr einen der besten Go-Spieler geschlagen. Go ist ein Strategie-Spiel, das in Asien sehr beliebt, im Vergleich zu Schach aber schwerer zu berechnen ist. Deswegen war man sicher, dass Computer eigentlich kein Go spielen können. Als es doch gelang, war der Schock so groß, dass die südkoreanische Regierung 760 Millionen US-Dollar für die Erforschung künstlicher Intelligenz frei gemacht hat.

Um neue Technologien entsteht aber oft auch ein Hype, der sie bedeutender macht, als sie sind. Muss man denn jeden Trend gleich mitmachen?
Magnus Kalkuhl: Es gibt da ein altes Sprichwort: Wenn auf dem Zeltplatz ein Bär kommt, dann muss man nicht schneller sein als der Bär. Es reicht, wenn man schneller als der langsamste Camper ist. So ist es bei den Trends auch. Man muss nicht vornweg rennen, aber die großen Technologieschritte sollte man mitmachen. Nehmen wir das Beispiel künstliche Intelligenz. Manche Experten gehen davon aus, dass es in 20, 30 Jahren Computer geben wird, die einen höheren IQ haben als Menschen. Nun kann man sagen: Das finde ich nicht gut, da mache ich nicht mit. Aber das wird nichts bringen, weil diese Entwicklung auch ohne uns vorangetrieben wird - von anderen Staaten und der Wirtschaft. Wir müssen mitspielen, sonst haben wir von vornherein verloren.

Intelligente Computer werden viele Arbeitsplätze überflüssig machen

Aber sollte das gegen alle Bedenken geschehen? In Deutschland wird etwa dem Datenschutz eine hohe Bedeutung zugemessen.
Magnus Kalkuhl: Gerade auf diesem Feld ist das Verhalten doch sehr ambivalent. Wir geben heute schon sehr viele Daten an große Konzerne. Im Gegenzug bekommen wir Zugang zu deren Anwendungen: Ein soziales Netzwerk zum Beispiel oder mit Google Maps ein kostenloses Navigationssystem. Für die meisten ist das ein fairer Deal. Im Hinblick auf unsere Souveränität wäre es aber gut, wenn wir selbst mal damit anfangen würden, solche Dienstleistungen anzubieten.

Aber was wäre der Nachteil, wenn man sich den Veränderungen verweigert um den eigenen Prinzipien treuzubleiben?
Magnus Kalkuhl: Dann müsste man bald mit einem Wandel umgehen, auf den man nicht vorbereitet ist. Intelligente Computer werden viele Arbeitsplätze überflüssig machen, weil sie bestimmte Aufgaben einfach deutlich besser erledigen als Menschen. Die Frage ist dann: Was machen wir mit den Menschen, die nichts mehr zu tun haben. Da sehe ich keine Initiativen, die sich in Deutschland damit befassen. Wie gesagt: Die größten noch zu lösenden Herausforderungen sind nicht technischer Natur, sondern betreffen unser Selbstbild als Gesellschaft. (mz)