Belastung durch Feinstaub Belastung durch Feinstaub: Warum ein Forscher nichts von Schadstoffgrenzwerten hält

Halle (Saale) - Trotz des Corona-Lockdowns ist die Luft in den Städten kaum sauberer geworden. Ist der Straßenverkehr also doch nicht das große Problem? MZ-Reporter Alexander Schierholz sprach mit Matthias Klingner, dem Leiter des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme, über Schadstoffgrenzwerte, Fahrverbote und die Rolle des Dieselantriebs.
Herr Klinger, Sie halten den geltenden Feinstaubgrenzwert für paradox. Warum?
Matthias Klingner: Weil die Feinstaubbelastung viel stärker von meteorologischen Faktoren abhängig ist als vom Straßenverkehr. Deshalb nützt der Grenzwert so nichts, man sollte ihn abschaffen. Genau das hat der Lockdown gezeigt: Der Verkehr ist bis auf ein Drittel zurückgegangen, aber die Feinstaubwerte sind trotzdem gestiegen.
Welche meteorologischen Faktoren meinen Sie?
Klingner: Zum Beispiel eine Inversionswetterlage, bei der die Luft am Boden und in unserer Umgebung kälter ist als in höheren Schichten. Normalerweise ist es umgekehrt. Eine solche Konstellation schränkt de Luftaustausch ein. Der Feinstaub wird dann nicht vom Wind verteilt, sondern reichert sich in unserer Umgebungsluft an.
Welchen Anteil hat denn der Straßenverkehr dann überhaupt an der Feinstaubbelastung?
Klingner: Wir haben die Daten verschiedener deutscher Messstationen ausgewertet. Das Ergebnis ist, dass vier bis fünf Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter auf den Straßenverkehr zurückzuführen sind. Der Grenzwert liegt bei 50 Mikrogramm, also dem Zehnfachen.
Dennoch hält das Umweltbundesamt an den bestehenden Fahrverboten fest. Zu Recht?
Klingner: Aus meiner Sicht nicht. Wir sehen ja jetzt, dass es mit der Luftqualität keinen Zusammenhang gibt.
Mit Fahrverboten werden Städte auch von Verkehr entlastet. Was empfehlen Sie stattdessen, um dieses Ziel zu erreichen?
Klingner: Der Verkehr muss generell besser gesteuert werden, damit es flüssiger vorangeht. Eine Möglichkeit ist nach wie vor die bewährte grüne Welle, um Abbremsen und Anfahren möglichst zu vermeiden. Wirkungsvoll ist es auch, Straßen und Radwege räumlich zu entkoppeln. So wird der Autoverkehr nicht gebremst und Radfahrer werden besser geschützt. Und schließlich sollten Städte stärker begrünt werden, auch indem man versiegelte Flächen wieder öffnet. Das schafft eine bessere Belüftung und kann zu höherer Lebensqualität beitragen. Aber das sind alles politische Entscheidungen: Die Politik muss das wollen.
Bei Stickstoffdioxid ist der Straßenverkehr, anders als beim Feinstaub, Hauptverursacher. Halten Sie den geltenden Grenzwert dort auch für paradox?
Klingner: Er ist zumindest zu hinterfragen. Aus meiner Sicht werden die gesundheitlichen Folgen der Stickstoffdioxidbelastung überschätzt. Jede offene Kerze erzeugt Stickstoffdioxid.
Das Umweltbundesamt spricht in einer Studie von 6.000 vorzeitigen Todesfällen infolge von Stickstoffdioxid allein für das Jahr 2014...
Klingner: Bezüglich der Todesfälle müssten Sie Mediziner befragen. Aber aufgrund der Tatsache, dass die Luft in Innenräumen viel schlechter als draußen ist und die hohen Stickoxidkonzentrationen an Straßen nur im unmittelbaren Kreuzungsbereich erreicht werden, also dort, wo sich keine Person über eine längere Zeit aufhält, kann der Verkehr nicht die Ursache für die Todesfälle sein
Gerade der Dieselantrieb und schwere SUVs sind durch die Klimadebatte und den Skandal um Schadstoffwerte in Verruf geraten. Ändert sich das gerade, weil viele Menschen in der Coronakrise den öffentlichen Personennahverkehr meiden und stattdessen ins Auto steigen?
Klingner: Nein, irgendwann werden die Menschen auch wieder normal Bus und Bahn fahren. Dennoch sollte der Diesel rehabilitiert werden, er ist völlig zu Unrecht verkannt. Das ist eine sehr effiziente Antriebsart, etwas Besseres haben wir derzeit nicht.
Was ist mit Elektroautos?
Klingner: Die sehe ich aus heutiger Sicht als Zweitwagen für die Stadt oder als Dienstwagen. Für eine flächendeckende Verbreitung sind die Anschaffungskosten noch viel zu hoch. Die Ladeinfrastruktur hinkt hinterher, auch das Speichervermögen der Batterien. Bei der Energieeffizienz schneidet ein Dieselantrieb noch deutlich besser ab. (mz)