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Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Müllskandal wird nur im Schneckentempo aufgeklärt

Von HENDRIK KRANERT-RYDZY 14.11.2010, 17:13

MAGDEBURG/MZ. - Heike Geyer blickt entnervt auf ihren Bildschirm und schüttelt dann nur noch den Kopf: "Diese Strukturen öffnen doch der illegalen Müllentsorgung geradezu Tür und Tor." Das Organigramm, welches die Oberstaatsanwältin aus Halle auf ihren Computer geladen hat, zeigt Firmenverflechtungen und Geschäftsbeziehungen. Nicht etwa eines international agierenden Großkonzerns, sondern einer eher betulich wirkenden Anstalt öffentlichen Rechts - der Abfallwirtschaft Sachsen-Anhalt Süd, einer Gesellschaft des Burgenlandkreises.

360 000 Tonnen Müll hat die Gesellschaft illegal auf ihrer inzwischen geschlossenen Deponie in Freyburg-Zeuchfeld gebunkert, und 110 000 Tonnen davon stammen ganz offensichtlich aus Italien. Zeuchfeld und Nißma, Riestedt, Vehlitz und Möckern - es sind die Schlagworte einer der bundesweit größten Müllskandale seit der Wiedervereinigung. Bis zu zwei Millionen Tonnen Haus- und Gewerbemüll wurden dabei aus der ganzen Republik und aus dem Ausland nach Sachsen-Anhalt gekarrt und illegal auf stillgelegten Deponien, in Tontagebauen und Kiesgruben verbuddelt.

Der Skandal - begünstigt durch Personalnot und mangelnde Kontrollen der Behörden, schwammige Vorschriften und Inkompetenz - wurde im Februar 2008 ruchbar. Seitdem gab es Kontrollen zuhauf, wurden Anlagen geschlossen, auf Kosten des Steuerzahlers Notprogramme zur Gefahrenabwehr aufgelegt, hat ein Landtagsausschuss das Versagen von Behörden konstatiert und sollen illegale Kippen in ordentliche Deponien umgewandelt werden. Doch die strafrechtliche Aufarbeitung des Skandals tritt auf der Stelle.

Viele Durchsuchungen

Dabei ist es eine ganze Menge, was Polizei und Staatsanwaltschaften in Halle, Magdeburg, Naumburg und Stendal in den vergangenen zweieinhalb Jahren zusammengetragen haben. In Vehlitz und Möckern wurden für zehntausende Euro Bohrungen in Tongruben niedergebracht, in denen der Müll verschwunden war. Man weiß inzwischen amtlich, dass dort eben kein mineralischer Abfall lagert, sondern Hausmüll. Man weiß das auch von den Deponien Zeuchfeld und Nißma. Es gab ein gutes Dutzend Durchsuchungen bundesweit, es wurden haufenweise Computer und andere Datenträger sichergestellt und ganze Lkw-Ladungen Akten beschlagnahmt.

Landesweit wird in mindestens 13 Verfahren gegen mehr als 20 Beschuldigte ermittelt. Und doch sei man "von Anklageerhebungen noch weit entfernt", sagt die hallesche Oberstaatsanwältin Geyer und wirkt resigniert. In Stendal bittet ihr Kollege Thomas Kramer inzwischen leicht genervt von weiteren Anfragen vorerst abzusehen: "Es gibt keinen neuen Sachstand." Denn trotz der zahlreichen Unterlagen ist die Beweislage schlecht, sind die Behörden mit der Auswertung der Aktenberge offensichtlich überfordert, weil es an Personal mangelt. Erschwerend kommt das deutsche Umweltstrafrecht hinzu - es gilt vielen Ermittlern als zahnloser Tiger.

Davon will der Umweltstrafrechts-Experte Michael Marty beim Umweltbundesamt in Dessau zwar nicht sprechen: "Richtig ist aber auch, dass das Umweltstrafrecht relativ selten zur Anwendung kommt." Denn das greift etwa nur, wenn den Tätern ein unerlaubter Umgang mit bestimmten Stoffen nachgewiesen wird - doch in der Regel haben die beteiligten Recyclingfirmen solch eine Erlaubnis. Damit ihre Taten nicht nur als Ordnungswidrigkeiten enden, müssen die Ermittler ihnen Verstöße gegen das Verwaltungsrecht nachweisen. Diese schmerzhaften Erfahrungen musste etwa das Landesbergamt machen, als es den Betreibern der Vehlitzer Tongrube einen Einlagerungsstopp aufbrummte und damit vor Gericht scheiterte.

Als einer der Hauptverdächtigen im Müllskandal gilt inzwischen auch der Geschäftsführer der Sortierungs- und Vermarktungsgesellschaft mbH Deuben bei Zeitz (Burgenlandkreis), Andreas B. Dem 49-Jährigen versucht die Staatsanwaltschaft nun auch nicht mehr nur mit dem Umweltstrafrecht beizukommen, sondern mit schwereren Geschützen: Im Zusammenhang mit dem Transport von Müll aus Italien nach Deutschland wird wegen Steuerhinterziehung, Bestechung und Bestechlichkeit ermittelt. Inzwischen kümmert sich auch das Landeskriminalamt (LKA) um Andreas B.

Insolvenz angemeldet

Den Verdacht, dass die im Müllskandal beteiligten Akteure sich nicht nur "alle persönlich kennen", wie es Geyer formulierte, sondern auch eng miteinander zusammenarbeiteten, gibt es bereits seit längerem. So gab es etwa Geschäftsbeziehungen zwischen der SVG und dem Zeitzer Entsorger Cortek, der wiederum eine Zeit lang an der Abfallwirtschaft Sachsen-Anhalt Süd beteiligt war und in Zeuchfeld 100 000 Müll entsorgt haben soll. Alle Beteiligten bestreiten jedoch, Illegales getan zu haben. Das tat auch die vierte Firma im Bunde, die Braunsbedraer LBR. Inzwischen hat das Unternehmen Insolvenz angemeldet.

Zudem gestalten sich die Ermittlungen als äußerst zäh: Rechtshilfe-Ersuchen nach Italien sind langwierig. Der Schriftverkehr kann zudem nur von Mitarbeitern des Bundeskriminalamts übersetzt werden - und das dauert. "Und jede noch so kleine Nachfrage muss auf dem Dienstweg geklärt werden, damit sie auch gerichtsfest ist", klagt Geyer. Die Zeit arbeitet nicht für die Ankläger.