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Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Aufregung um «Delfin 4»

Von MICHAEL FALGOWSKI 12.08.2009, 17:20

HALLE/MZ. - Gar kein Problem, Mechthild lacht. Und ihrem Nachbarn Jakob kommt wenig später ein so schwieriger Satz wie: "Der dumme Stuhl klettert aus der Woche" korrekt über die Lippen. Wobei das scheinbar Sinnleere durchaus Sinn hat - so kann sich Jakob beim Wiederholen nicht am Inhalt entlanghangeln, sondern zeigt sein rein grammatikalisches Wissen.

Ab 2010 müssen alle 17 000 Vierjährigen in Sachsen-Anhalt zu diesem Sprachtest. Wörter und Sätze nachsprechen, etwas nacherzählen, beschreiben oder einfache Anweisungen ausführen - diese Kompetenz wird bei der nicht unumstrittenen so genannten Sprachstandserhebung bewertet. Ein zweiter Test und eine einjährige Förderung der Knirpse durch die Erzieherinnen schließen sich bei Bedarf an. Auch die Kinder, die zu Hause oder von einer Tagesmutter betreut werden, müssen den 25 Minuten dauernden spielerischen Zoo-Bummel in einem Kindergarten durchlaufen. Auch an einer Förderung müssten sie teilnehmen.

"Zehn bis 15 Prozent der Vorschulkinder - bei Migrationshintergrund 20 bis 30 Prozent - haben mit Problemen bei der Sprachentwicklung zu kämpfen", sagt die Dortmunder Professorin Lilian Fried. Sie hat für Nordrhein-Westfalen die Sprachtest Delfin 4 erarbeitet, den Sachsen-Anhalt übernimmt. Nur in Thüringen gibt es bisher keine Sprachstandserhebung.

Als einen wichtigen Beitrag zum Kinderschutz bewertet Sachsen-Anhalts Sozialministerin Gerlinde Kuppe (SPD) den Test und die sich bei Bedarf anschließende pädagogische Sprachförderung. "Unser Ziel ist es, zu verhindern, dass durch die mangelnde Sprachkompetenz die gesamte Bildungsbiographie und damit die soziale Integration eines Kindes beeinträchtigt ist", so Kuppe. "Es geht um größere Chancengleichheit bei der Bildung", ergänzt Ministeriumssprecher Holger Paech.

Das Land zahlt für Delfin 4 künftig jährlich 2,4 Millionen Euro an die Kindergartenträger. 1,3 Millionen kostet in diesem Jahr die Anschaffung der Materialien und die je zweitägige Weiterbildung von rund 1 400 Erzieherinnen. "Die Förderung soll später ganz normal in den Kindergartenalltag integriert sein", erläutert Paech.

Indes stößt der Test auch auf große Skepsis. "Die Politik hat sich etwas ausgedacht, und wir müssen nun sehen, wie wir das umsetzen. Gerade hinter der einjährigen Förderung stehen noch viele Fragezeichen", sagt die Mitarbeiterin eines großen Kindergarten-Trägers. Sie bezweifelt, dass in vielen, vor allem kleineren Einrichtungen die Förderungen zeitlich und personell zu stemmen seien. Die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände Sachsen-Anhalt kritisierte zudem, dass die Kindertagesstätten als "verlängerter Arm der Schul- und Ordnungsbehörde" zwischen Eltern und Schulträgern stünden und zudem den Verwaltungsaufwand hätten.

Die Erzieherinnen Kathrin Efger und Kerstin Schulze im "Wunderpferdchen", die mit Mechthild, Jakob und den beiden anderen Kleinen den Zoo-Besuch absolvieren, sehen indes auch Vorteile: "Natürlich beobachten und fördern wir die Kinder auch jetzt schon. Aber der Test zwingt uns, ganz gezielt auf die Sprachentwicklung zu achten", so Schulze. Sie glaubt zudem, dass die Sprachförderung in der Kita möglich ist. "Nach den Tests bleiben vielleicht um die 20 Prozent der Vierjährigen übrig. Da bekommt man gemeinsam mit den Kollegen die Förderung hin."

Harsch fällt die Kritik vom Bundesverband der Logopäden aus. "Das Geld hätte man sich sparen können. Die Erzieherinnen sind ohne die geplante Pflicht-Untersuchung in der Lage, mit bestehenden, längerfristig geführten Beobachtungsbögen die Sprachkompetenz der Kinder zu bewerten", sagt Dietlinde Schrey-Dern, Referatsleiterin Sprachförderung. Zudem verlaufe die Förderung unabgestimmt, da mache im Grunde jeder, was er wolle, kritisiert die Interessenvertreterin ihres Berufsstandes. Den treibt auch die Sorge um, dass sich vor allem die Eltern verstärkt auf die Sprachförderung in den Kitas verlassen und so therapiebedürftige Kinder zu lange in einer "Förderfalle" sitzen könnten.

Dem hält Franziska Kreutzer vom Kindergarten-Eigenbetrieb der Stadt Halle entgegen: "Der Test kann nicht feststellen, ob eine medizinisch überprüfbare sprachtherapeutische Förderung nötig ist. Die Sprachtherapie bleibt somit weiter bei den Logopäden." Kreutzer hat gerade 88 Erzieherinnen der 44 städtischen Kindertagesstätten für die Arbeit mit Delfin 4 weitergebildet. Schließlich sollen sie ja vom kommenden Jahr an die Kinder bei ihrem etwas anderen "Besuch im Zoo" begleiten.