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Zweiter Weltkrieg  Zweiter Weltkrieg: Schweres Wasser aus Leuna durch Naziregime

Von Nico Grünke 08.02.2017, 15:11
Die Leuna-Werke im Jahr 1927. In den letzten Kriegsjahren wurde in Leuna eine Anlage zur Herstellung schweren Wassers errichtet und auch kurzzeitig betrieben.
Die Leuna-Werke im Jahr 1927. In den letzten Kriegsjahren wurde in Leuna eine Anlage zur Herstellung schweren Wassers errichtet und auch kurzzeitig betrieben. Repro/MZ

Leuna - Es ist wohl eines der erschreckendsten Beispiele dafür, dass menschlicher Forschungsdrang und Erfindungsreichtum in die falschen Bahnen gelenkt werden können: Mit einem Schlag wurden auf grausamste Weise die japanischen Großstädte Hiroshima und Nagasaki durch die ersten Atomwaffen in Schutt und Asche gelegt, weil frühzeitig das militärische Potenzial der Kernspaltung bzw. -fusion erkannt und leider auch genutzt wurde. Die erschütternde Nachricht ging um die Welt, der kollektive Schock wirkte lange nach.

Nationalsozialisten experimentierten mit Atomwaffenproduktion in Leuna

Doch derartige Horrorszenarien wären in jener Zeit wohl auch in Europa denkbar gewesen. Die Nationalsozialisten spekulierten zu Ende des Zweiten Weltkriegs ebenfalls auf den Bau der zerstörerischen Waffe. Zahlreiche Forschungseinrichtungen waren involviert.

Bekannte Wissenschaftler wie Otto Hahn oder auch Fritz Straßmann galten auf dem Gebiet als führend. Die Amerikaner fürchteten, dass ihnen Deutschland bei der Entwicklung zuvorkommen könnte. Eigene Programme wurden initiiert und vorangetrieben - beispielsweise das relativ bekannte Manhatten-Projekt.

Weniger bekannt ist in dem Zusammenhang, dass auch Leuna beim Wettlauf um die Herstellung einer Atomwaffe eine gewisse Rolle gespielt hat. Darüber gab jüngst Stadtarchivar Ralf Schade mit einem Vortrag ausgiebig Auskunft.

Die zu jener Zeit in Leuna ansässige IG Farben um Heinrich Bütefisch, Mitglied der Werksleitung, interessierte sich für das Thema. Bekannt ist Schade zufolge, dass sich der regimetreue Bütefisch (wurde als Kriegsverbrecher während der Nürnberger Prozesse verurteilt) bereits 1939 für die Schaffung von Kernwaffen aussprach.

Zweiter Weltkrieg: Reaktor wurde in Leuna errichtet

Er setzte sich offenbar dafür ein, dass der erste deutsche Reaktor in den Leuna-Werken aufgestellt wird. Zudem sollte hier das sogenannte schwere Wasser erzeugt werden. Es wurde für einen komplizierten sowie technisch aufwendigen Vorgang benötigt, durch den spaltbares Material gewonnen werden kann - die Basis für den Bau der Bombe.

Allerdings machte dem Werksleiter ironischerweise der Kriegsbeginn einen Strich durch die Rechnung: Der Wehrmacht wurde dadurch die gesamte deutsche Atomforschung unterstellt. Und durch die Besetzung Norwegens rückte Bütefischs Wunsch in weite Ferne, weil die Nationalsozialisten dadurch in den Besitz einer entsprechenden Anlage gelangten, die damals in Norwegen existierte.

Eine Investition in den Bau einer Anlage in Leuna wurde unnötig, vorerst zumindest. Außerdem schwand das Interesse auf deutscher Seite an der kostenintensiven sowie relativ unsicheren Entwicklung atomarer Waffen.

Die „Erfolge“ in den ersten Kriegsmonaten machten die dahingehende Forschung aus militärischer Sicht im Prinzip überflüssig. Erst nach dem misslungenen Russlandfeldzug und der damit verbundenen Wende im Kriegsverlauf kam die Führung auf das Programm zurück.

Anlage zur Herstellung schweren Wassers in Leuna-Werken während der Nazi-Zeit

In Leuna wurde in den letzten Kriegsjahren dann tatsächlich eine Anlage zur Erzeugung des schweren Wassers errichtet und auch für kurze Zeit in Betrieb genommen. „450.000 Reichsmark hatte das gekostet“, erklärte Archivar Schade. Fach- sowie auch Zwangsarbeiter wurden beim Bau eingesetzt. Allerdings war der Rückstand auf dem Forschungsgebiet nicht mehr aufholbar - zum Glück. Wo genau die Anlage in Leuna stand, vermag Schade nicht mehr zu sagen.

Die Information geben die archivierten Akten nicht her. Die entsprechenden Unterlagen dazu wurden von den Amerikanern nach der Besetzung der Leuna-Werke beiseitegeschafft. „Die Anlage war nicht sehr groß“, sagte der Archivar. In der Nähe des Haupttores könnte sie einst gestanden haben. Bei Luftangriffen war die Anlage beschädigt und später in die damalige Sowjetunion geschafft worden. (mz)