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Sorge in Leuna Sorge in Leuna: Warum ein überstürzter Kohle-Ausstieg den Chemiepark besonders trifft

17.07.2019, 08:00
Christof Günther führt die Chemiepark-Gesellschaft. Er sorgt auch dafür, dass die Produkte mit Kesselwagen abtransportiert werden.
Christof Günther führt die Chemiepark-Gesellschaft. Er sorgt auch dafür, dass die Produkte mit Kesselwagen abtransportiert werden. Andreas Stedtler

Leuna - 100.000 Jobs, 7.000 Einwohner: Die Arbeitsmarktbilanz von Leuna kann sich sehen lassen. Doch der Standort leidet bereits darunter, dass Deutschland Europas höchste Strompreise hat.

Der Chef des Chemiepark-Betreibers Infra-Leuna, Christof Günther, warnt daher vor einem überstürzten Kohle-Ausstieg. MZ-Redakteur Steffen Höhne sprach mit ihm über Klimaschutz-Diskussionen mit seinen Töchtern, scheue Investoren und Zukunftsbranchen am Standort.

Jede Woche gehen zehntausende Schüler auf die Straße und fordern mehr Klimaschutz in Deutschland. Können Sie das nachvollziehen?
Christof Günther: Ich habe vier Töchter im schulpflichtigen Alter, da diskutieren wir natürlich über Fridays for Future. Sie sind sehr am Thema Klimaschutz interessiert und wissen natürlich auch, dass ich mich mit den Themen Energiepolitik und Kohleausstieg beruflich befasse. Ich sage meinen Töchtern: Wir haben in Europa die ambitioniertesten Klimaschutzziele auf der ganzen Welt und Deutschland hat die Ziele sogar noch höher gesteckt. In der Kohlekommission wurde über Parteigrenzen hinweg beschlossen, dass Deutschland 2038 aus der Kohle zur Energiegewinnung aussteigt. Es gibt viele gute Gründe, das nicht überstürzt zu machen. Insbesondere vor dem Hintergrund drohender Versorgungsstörungen und Preissprünge kann ich nicht nachvollziehen, dass hier für einen Ausstieg 2030 demonstriert wird.

Können Sie Ihre Töchter mit den Argumenten überzeugen?
Das muss ich gar nicht. Sie informieren sich breit und haben dadurch schon ein differenziertes Bild - anders als manche Klimaschutz-Demonstranten.

Die Infra-Leuna betreibt zwei Gaskraftwerke, und eine Müllverbrennungsanlage erzeugt am Standort Strom und Dampf. Warum freuen Sie sich nicht über das Kohle-Aus?
Wir haben in der Tat das flexibelste Energiesystem, das es an einem deutschen Chemiestandort gibt. Das stärkt unsere Wettbewerbsfähigkeit - doch wir sind nicht autark. Die Braunkohle ist der günstigste fossile Energieträger, den es hierzulande gibt. Mit der Abschaltung der Kraftwerke werden die Strompreise steigen. Das ist absehbar und trifft besonders die Chemieindustrie.

Warum ist die Chemie besonders betroffen?
Im mitteldeutschen Chemiedreieck arbeiten viele Produzenten in der Basischemie. Ein Drittel der Produktionskosten entfallen bei diesen Betrieben auf die Energie. Wir haben in Deutschland schon jetzt bei den meisten Verbrauchergruppen die höchsten Strompreise in Europa.

In der Region gibt es viele Firmen mit ausländischen Muttergesellschaften. Wird dort die Diskussion verstanden?
Je weiter man von Deutschland entfernt ist, desto weniger wird das verstanden. Die Klimaschutzziele sind gar nicht das größte Problem. Doch unser Regelwerk mit Steuern, Umlagen, Abgaben, Förderungen und Ermäßigungen bei den Energiekosten ist so komplex geworden, dass das nur noch Experten durchdringen.

Sind bereits Unternehmen in Leuna wegen der Energiekosten abgewandert?
Nein, den Fall hatten wir bei uns glücklicherweise noch nicht. Die Infra-Leuna unterstützt die Unternehmen sehr stark bei allen Energiethemen. Jedoch konnten wir mit Blick auf das globale Investitionsgeschehen der vergangenen Jahre feststellen, dass neue Investitionen vor allem in den USA stattfinden, weil dort die Energie- und Rohstoffpreise erheblich niedriger sind.

Bietet der Klimaschutz auch Chancen für den Standort?
Ja, durchaus. In Leuna produzierte Epoxidharze werden beispielsweise zum Bau der Rotorblätter für Windkraftanlagen eingesetzt. Ob Leichtbau oder Dämmmaterialien, die Ausgangsstoffe kommen aus der Chemie. Ohne Chemie funktioniert Klimaschutz nicht. Wir bewegen uns allerdings im internationalen Kontext. Wenn unsere Industrie ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert, sind wir auch kein Vorbild für Klimaschutz oder Energiewende. Im Zweifel werden unsere Produkte dann mit höheren Emissionen, schlechteren Arbeitsstandards und weniger Umweltschutz in anderen Teilen der Welt produziert.

Was halten Sie vom bisherigen Konzept zum Kohle-Ausstieg? Hat Leuna, das zum Mitteldeutschen Revier gehört, Projekte in der Pipeline?
Eine grundlegende Festlegung der Kohlekommission war es, dass 40 Milliarden Euro zusätzliche Mittel für den Strukturwandel bereitgestellt werden. Damit könnte einiges erreicht werden. Der Standort Leuna ist derzeit mit zwei Projekten auf der Liste vertreten. Wenn ich mir jedoch den Schwerpunkt der angemeldeten Vorhaben anschaue, dann sind es in vielen Fällen Infrastrukturprojekte, die ohnehin schon in Bundesprogramme eingeplant waren. Das sind keine zusätzlichen Mittel und so war das nicht gedacht.

Was sollte aus Ihrer Sicht verbessert werden?
In der Kohlewirtschaft fallen Industriearbeitsplätze weg, von denen wir ohnehin zu wenig in Mitteldeutschland haben. Um diese Arbeitsplätze zu ersetzen, muss direkt in die Industrie investiert werden. Solche Projekte fehlen bisher jedoch auf den Listen. Der Hintergrund ist, dass Förderungen der Privatwirtschaft dem EU-Beihilferecht unterliegen. Derzeit dürfen Unternehmen, die investieren wollen, maximal mit zehn Prozent gefördert werden. Doch wenn wir substanziell neue Arbeitsplätze im Mitteldeutschen Revier schaffen wollen, dann reicht diese Förderung nicht aus.

Christof Günther ist seit Juli 2012 Geschäftsführer der Chemiepark-Gesellschaft Infra-Leuna. Er studierte Elektrotechnik und Betriebswirtschaftslehre an verschiedenen Universitäten, unter anderem in den USA. Anschließend war er in verschiedenen Führungspositionen in einem großen Energieunternehmen sowie in einer Unternehmensberatungsgesellschaft tätig.

Die Infra-Leuna versorgt die Firmen im 1 300 Hektar großen Chemiepark mit unterschiedlichen Medien wie Energie und Wasser. Sie betreibt die Infrastruktur, dazu gehört auch eine Bahn-Gesellschaft, und sucht Investoren für Ansiedlungen. Die Eigentümer der Gesellschaft sind die Firmen am Standort. Der Chemiepark-Betreiber beschäftigt 724 Mitarbeiter und erzielte 2018 einen Umsatz von 318 Millionen Euro.

Sie wollen höhere Subventionen für Firmenansiedlungen?
Wir hatten in der Vergangenheit Gespräche mit potenziellen Investoren, die unseren Chemiestandort großartig fanden. Angesiedelt haben sie sich aber in Polen, weil ihnen dort erhebliche Steuernachlässe gewährt werden. Wenn unsere Region einen besonderen Schub erhalten soll, dann müssen dafür auch die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Reint Gropp, spricht sich dafür aus, die Ballungszentren vorrangig zu fördern, weil dort das größte wirtschaftliche Potenzial besteht. Leuna würde dann leer ausgehen.
Ich halte die Argumentation für falsch. Am Beispiel der chemischen Industrie in Leuna wird deutlich, wie durch staatliche Unterstützung eine wettbewerbsfähige Industrie entstanden ist. Der Standort Leuna wächst inzwischen ohne Förderung aus sich heraus und ist zum Leuchtturm geworden. Die Kernstadt hat 7 000 Einwohner, im Industriepark arbeiten jedoch 10 000 Beschäftigte. Das ist eine gute Bilanz. Viele unserer Mitarbeiter wohnen in Halle oder Leipzig und kommen nach Leuna zur Arbeit. Hier profitieren die Ballungszentren vom ländlichen Raum.

Es gibt allerdings wenig eigenständige Chemiefirmen, die das Potenzial haben, mal in der ersten Liga mitzuspielen.
Wir haben an unserem Standort starke Mittelständler und Produktionsstätten international agierender Unternehmen. Überall dort, wo sich eine spezifische Expertise entwickelt, wachsen auch die Unternehmen - unabhängig davon ob sie eigenständig sind oder zu einem Konzern gehören. Der Mittelständler Leuna-Harze beispielsweise ist inzwischen ein führender Epoxidharz-Hersteller in Europa, die Katalysatoren-Fabrik von Shell zeigt, wie sich ein Betrieb innerhalb eines Weltkonzerns positiv entwickeln kann.

Leuna hat 2012 mit dem Fraunhofer CBP eine Forschungseinrichtung für nachwachsende Rohstoffe erhalten. Doch führt die Forschung am Ende auch zu Jobs?
Das CBP macht aus unserer Sicht eine gute Arbeit. Es gibt eine enge Kooperation zu zwei Biotech-Unternehmen an unserem Standort, zudem wird in einzelnen Projekten mit anderen Firmen im Industriepark zusammengearbeitet. Aus meiner Sicht wird sich das Potenzial aber erst in den kommenden Jahren zeigen. In der Chemie, die aktuell vor allem auf Erdöl und Erdgas basiert, wird es Verschiebungen zugunsten nachwachsender Rohstoffe geben. Durch das CBP haben wir die Chance, von dem wachsenden Markt zu profitieren. Wir hoffen, da schon bald positive Nachrichten zu liefern. (mz)