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Kaminzimmergespräch Kaminzimmergespräch: "Ich habe mit einer Viertelmillion Leichen zu tun gehabt"

23.01.2019, 15:00
Im Krematorium: Ein Sarg steht vor seiner Verbrennung vor der Luke eines Ofens.
Im Krematorium: Ein Sarg steht vor seiner Verbrennung vor der Luke eines Ofens. imago stock&people

Merseburg - „Ich habe schon mit einer Viertelmillion Leichen zu tun gehabt“, sagt Jörg Schaldach. Er ist der Gast beim ersten Kaminzimmergespräch des Jahres in Bad Lauchstädt. Hauptberuflich leitet er seit 1992 allerdings das Krematorium in Meißen. Mit Robert Briest sprach der studierte Verfahrenstechniker über den Wandel der Bestattungskultur und Goethes eigenartige Interessen.

Viele Leute meiden das Thema Tod. Sie beschäftigen sich gar über ihren Arbeitsalltag hinaus mit dem Thema. Warum?

Jörg Schaldach: Wenn man in einem Bereich arbeitet, muss man sich darin bilden. Das heißt auch: Guck in die Geschichte, dann hast du Ideen für die Zukunft. Es ist aber auch an sich interessant, denn die Gräber sind es, die von Archäologen ausgegraben werden. Nur die Gräber öffnen uns das Fenster in die Vergangenheit.

Wie haben sich denn diese „Fenster in die Vergangenheit“, also die Bestattungskultur, im Laufe der Geschichte verändert?

Schaldach: Trauer gibt es mehr oder weniger schon immer. Alle Völker haben, bis zurück in die tiefste Vergangenheit, ihre Toten betrauert. Bei uns in der Gegend, die schon seit mindestens 7.000 Jahren besiedelt ist, hatten wir die steinzeitliche Erd- und die Feuerbestattung. Die Erdbestattung sind die Hügelgräber. Der Fürst mit seinen Grabbeigaben sollte vor Tierfraß geschützt werden, deswegen wurden die Steine ringsherum aufgestellt.

Solche Riten gibt es heute noch bei Wüstenvölkern, auch der jüdische Brauch, Steine aufs Grab zu legen, kommt aus dieser Zeit. Die steinzeitliche Feuerbestattung war sehr interessant. Unsere Vorgänger, die steinzeitlichen Brandkeramiker, haben schon hohe Temperaturen beherrscht. Man braucht 1.000 Grad für eine ordentliche Feuerbestattung, sonst wird die Verbrennung nie vollständig.

Ziehen sich diese beiden Bestattungsformen konstant durch die Geschichte?

Schaldach: Mit der Christianisierung wurde die Feuerbestattung als heidnischer Brauch verboten. In die Erde durfte dann nur noch der getaufte Leib gelegt werden. Deshalb gab es im Mittelalter wenig Feuerbestattungen. Allerdings brannten natürlich Scheiterhaufen, wenn auch bei uns in der Region weniger als im Süden.

Scheiterhaufen für Hexen und Ketzer?

Schaldach: Ja. Es gab ja die zwei Wellen vor und nach dem Bauernkrieg. Meistens wurden die Hexen und Ketzer erst hingerichtet oder kamen bei der Folter um, bevor sie auf den Scheiterhaufen kamen. Denn auf dem Scheiterhaufen sollte

die Seele geläutert werden. Die höchste Form der Folter, die Verbrennung bei lebendigem Leib, war selten.

Heute dominieren wieder Einäscherungen. Wie kam es zu diesem Wandel?

Schaldach: Im Zuge der bürgerlichen Revolution gab es eine Rückbesinnung auf die Antike. Dabei wurde festgestellt, dass im alten Rom und Griechenland die reichen Bürger feuerbestattet wurden. Deswegen sollte es auch in Deutschland heimisch gemacht werden. 1878 wurde in Gotha das erste Krematorium der Neuzeit eröffnet. Seither hat sich die Feuerbestattung weiterverbreitet. Hier in Mitteldeutschland hat sie einen Anteil von 90 Prozent. Die Tendenz ist: Je städtischer der Raum, desto mehr Feuer-, je katholischer desto mehr Erdbestattungen.

Goethe soll sich den skelettierten Schädel von Schiller bringen lassen haben, heißt es in der Veranstaltungsankündigung. Ist das belegt?

Schaldach: Ob das wahr oder eine Geschichte ist, kann ich schlecht einschätzen. Aber ich traue es Goethe zu.

Warum?

Schaldach: Goethe war natürlich der Naturforscher. Das Verständnis von Natur und Tod spielt im Faust eine wichtige Rolle. Wie verändert sich der Mensch im Tod? Das ist noch heute unsere Frage.

››Kaminzimmergespräch, Montag, 28. Januar, 19 Uhr im Genschersaal, Kurpark Bad Lauchstädt. (mz)