Saale Saale: Verschlungen durch den Auenweg

Halle (Saale) - Zwei, drei Zentimeter noch, dann ist Schluss, sagt Fährmann Stefan Teubner. Das war Mittwoch. Bang blickt er den Rest der Woche auf den Elbe-Pegel kurz nach der Saalemündung bei Barby. Mittwoch steht er bei 47 cm. Zum Wochenende nun geht gar nichts mehr: 45 cm, Tendenz fallend. Teubners Fähre kann nicht mehr pendeln zwischen Barby am Westufer und Ronney am Ostufer, zu wenig Wasser, aber noch weit entfernt von den 29 cm vom August 2015.
Barby vielen ein Begriff
Kurz hinter der Eisenbahnbrücke, bei Elb-Kilometer 294,82, liegt der Barbyer Pegel. Das ist eine schräg auf der Uferböschung befestigte „Messlatte“, daneben eine Treppe, damit man korrekt ablesen kann. Wer mit dem DDR-Rundfunk groß geworden ist, wird sich erinnern, dass man den Namen Barby täglich nach den Mittagsnachrichten hören konnte, wenn die „Wasserstände und Tauchtiefen“ auch aus Barby verlesen wurden.
Große Schiffe, so Stefan Teubner, sind bei ihm schon seit Wochen nicht vorbeigekommen, schon gar nicht aus der Saale. Gut 200 m vor ihrer Mündung ist das Seil auf dem Elbegrund verankert, an dem seine Fähre hängt, eine Gierseilfähre. Sie nutzt die Strömung aus, wenn sie mit Motorkraft von einem Ufer zum anderen fährt.
Anmutung wie ein Kanal
Das Wasser, was die Saale heranschleppt, reicht nicht aus, um die Elbe aufzupeppen. Die Saale, nach der Moldau der zweitlängste Zufluss der Elbe, hat derzeit selbst nicht mehr viel zu bieten, wenn sie nach 413 km auf die Elbe trifft. Die Saale macht 500 m vor ihrem Ende einen geradezu langweiligen Eindruck. Schnurgerade, mit Tausenden gleichgroßen Steinen an den Ufern belegt, mutet sie an wie ein Kanal, auf dem sich jetzt kaum Strömung erkennen lässt. Die Elbe ist hier das ganze Gegenteil der Saalemündung, urwüchsig, mit ausgewaschenen, unregelmäßigen Ufern, Sandbuhnen, breit und kräftig fließend bei Niedrigwasser.
Markiert ist das Ende der Saale nirgendwo. Nur 200 m bevor die Elbe naht, steht schwarz auf weiß eine große „2“ auf einem Schild am rechten Saaleufer. Wer mal der Mündungsspitze ganz nah sein möchte, ist hier richtig. Von Teubners Fähre aus kann man rechts auf Barbyer Seite mit dem Auto bis auf Mündungshöhe fahren.
Spitz und schmal schiebt sich dort eine Landzunge zwischen beiden Flüssen gen Norden. Das brachte ihr auch den Namen Saalhorn ein und hat zudem zutun mit dem Salzhandel am Sülhorn, wie es 1494 genannt wurde - Sül gleich Salz. Kähne brachten viele Jahrhunderte lang das Halloren-Salz auf der Saale von Halle hierher, wo es auf größere Elbschiffe umgeladen wurde. 1847 wurde die Salzfaktorei am Saalhorn aufgegeben, weil nicht mehr genug Salz aus dem Süden kam.
Traum von Frachtschiffen
Doch der Traum von Frachtschiffen, die hier am Saalhorn in die Elbe einfahren, ist nicht tot zu kriegen und beschäftigte in Sachsen-Anhalt schon mehrere Landesregierungen. Weil die Saale sich auf den letzten 15 km ziemlich stark durch die Landschaft mäandert und so größere Schiffe ausbremst, wird immer wieder mal der Plan eines Elbe-Saale-Kanals zum Gegenstand parteipolitischer Scharmützel im Land. Bei Calbe soll der Kanal links die Saale fast schnurgerade verlassen und bei Barby, kurz nach dem Saalhorn, auf die Elbe stoßen. Nun scheint das Projekt einem Tod auf Raten entgegen zu gehen. Im neuen Bundesverkehrswegeplan rangiert es unter „Weiterer Bedarf“, das schließt praktisch einen Baubeginn bis 2030 aus, dann sind zwölf Jahre Bauzeit angesetzt, das alles für gut 134 Millionen Euro, so die derzeitige Planung. Aber momentan hat sich der Saale-Kanal aus der Landespolitik verflüchtigt. Wie viele im Elbe-Saale-Winkel zwischen Breitenhagen, Groß Rosenburg und Barby atmet auch Birgit Jacobsen auf, auch wenn das Projekt die hier liegenden Flächen des Unesco-Biosphärereservats Mittelelbe nicht direkt berührt.
Mit Gästen im Biosphärenreservat unterwegs
Birgit Jacobsen hat sich der Umweltbildung vor allem junger Menschen verschrieben. Vom Umweltzentrum Ronney aus, dem ersten Ort nach Teubners Fähranleger am Ostufer, ist sie ehrenamtlich mit Gästen im Biosphärenreservat unterwegs. Die suchen vor allem eins: Biber. Die gäbe es überall hier, man muss sie eben nur finden, abends, in der Dämmerung. Am Ostufer der Elbe, keine 200 m flussaufwärts von der Fähre entfernt, seien die Chancen groß, sie zu sehen.
1 200 Biber, 15 Prozent der Population in Deutschland, soll es geben im gesamten Reservat Mittelelbe, das sich über 303 km entlang des Flusses von Jessen bis hinter Havelberg erstreckt. Dort entlang machen 21 Auenpfade und 4 Besucherzentren Interessierte vertraut mit den Schätzen des Biosphärenreservats, zu dem auch die Saalemündung gehört. Bis zu 40 Fischarten lassen sich in den Reservatsgewässern der Elbe, Saale und Mulde zählen. Viele der 1 400 Farn- und Blütenpflanzenarten sind auch im Mündungsgebiet bei Barby beheimatet. Von 462 nachgewiesenen Vogelarten in Deutschland leben 310 im Bereich Mittelelbe, darunter viele Kormorane und Graureiher. Einzigartig sind die intakten Hartholzauenwälder im „Hasselbusch“ bei Groß Rosenburg, von wo aus auch ein zehn Kilometer langer Auen-Informationspfad startet. Der Grundstein für den sorgsamen Umgang mit Natur wurde hier schon zu DDR-Zeiten mit dem Naturschutzgebiet Steckby-Lödderitzer Forst gelegt. Als erstes Biosphärenreservat beider deutscher Staaten wurde es 1979 von der Unesco anerkannt.
Mini-Seen mit unglaublich vielfältiger Fauna und Flora
Links vom Saalhorn mündet die Alte Saale in die Saale, ein dünnes Bächlein nur, versandet, ein Rest vom alten Saalelauf, der 1934 begradigt wurde. Geblieben sind mittendrin kleine abgeschlossene Flussreste, Mini-Seen mit unglaublich vielfältiger Fauna und Flora - unantastbar für alle Zeiten. Was hier umfällt, bleibt für ewig liegen.
Wie das läuft, weiß Landwirt und Jäger Frank Stolze natürlich, der gerade die große Wiese vor der Saalhornspitze inspiziert. In der Kernzone werde die Natur hier sich selbst überlassen. In der Pflegezone gelten strenge Auflagen, in der Entwicklungszone des Biosphärenreservats sei eine Nutzung durch Wirtschaft, Tourismus und Landwirtschaft möglich. Hier am Saalhorn ist Kernzone.
Alles gut, sagt der Bauer, kann sich das „Aber“ dennoch nicht verkneifen. Früher konnte man hier jagen, jetzt nur mit Ausnahmegenehmigung, am 29. Dezember das nächste Mal. Die Wildschweine und Waschbären bekämen mit, dass man sie in Ruhe lasse, werden immer mehr und immer schlauer, immer dreister. Kommen raus auf die Äcker und in die Gehöfte, wenn sie sicher sind, dass keiner schießt, wühlen alles um, fressen sich durch. Und wenn der Wolf kommt - und er war schon da - dürfe er nicht schießen. Daran müsse man sich erstmal gewöhnen, sagt Stolze.
Vor bis zur Spitze? Stolze rät ab
Die Breitenhagener Fähre scheint - laut Karte - ein guter Startpunkt zu sein, um mal kurz direkt zur Mündungsspitze der Saale zu laufen, gut zwei Kilometer. Vom 40 m langen Restaurantschiff „Marie-Gerda“ - aufgebockt auf fünf Meter hohen Eisenträgern - kommt man einen Kilometer lang bis zur Wiese gut voran.
Vor bis zur Spitze? Stolze rät ab. Da kommen Sie niemals durch! Das glaubt der Zugereiste natürlich nicht. Vom Barbyer Ufer aus sieht die Spitze wie ein gepflegtes Stück Wiese aus, frei geschnitten, weil da Verkehrszeichen für die Schifffahrt stehen. Vorwärts!
Aber ach, der Bauer hat natürlich recht. Mannshoch ist alles zugewachsen mit stachligem Gestrüpp, mit Brennnesseln und Kletten in einer Höhe, die man nicht für möglich hält - eine grüne, widerborstige Wand. Zerkratzt, zerstochen, verbrannt kehrt der Eindringling schon nach zwanzig Minuten um. Bauer Stolze kann sich das Lachen nicht verkneifen. (mz)