Unfaire Regelung Rundfunkgebühr: Muss GEZ für die DDR-Datsche gezahlt werden

Berlin - Auf den ersten Blick scheint die Sache einfach. Das zumindest glaubt Bärbel Müller, als sie den ersten Brief bekommt. Der Beitragsservice des MDR mahnt darin ausstehende Beträge für eine Datsche in der Nähe von Hettstedt an.
Ein Irrtum, denkt Bärbel Müller. Ein Versehen, glaubt auch ihr Mann Lutz. Die beiden Rentner besitzen zwar die kleine Finnhütte - ein Zelt aus Holz, nennt es Bärbel Müller - schon seit den 70er Jahren. Rundfunkbeitrag war dafür aber noch nie fällig. „Wir bezahlen doch hier zu Hause“, sagt Lutz Müller. „Und in der Hütte zu wohnen, ist ja sowieso verboten“, ergänzt seine Frau Bärbel.
Bis vor fünf Jahren hatten Müllers, die ihren richtigen Namen lieber nicht gedruckt sehen wollen, auch nie Probleme mit der Gebühreneinzugszentrale (GEZ), die dafür sorgte, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die ihnen zustehenden Beträge bekamen. Müllers zahlten daheim, das Kofferradio im Holzzelt war damit angemeldet und ohne Zusatzkosten empfangsberechtigt.
Das allerdings änderte sich schlagartig, als aus der Rundfunkgebühr ein Rundfunkbeitrag wurde und die GEZ sich in den „ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice“ verwandelte. Nun musste nicht mehr jeder Haushalt eine Gebühr bezahlen - sondern für jede Wohnung im Sinne der Definition des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages (RBStV) wird ein gesonderter Beitrag fällig.
Eine Änderung, die Familie Müller anfangs nicht einmal bemerkte. „So lange wir die Hütte haben“, erzählt Bärbel Müller, „war es immer verboten, dort zu wohnen.“ Zwar liegen neben der Datsche auch ganz normale Wohnhäuser. Aber die Hütte selbst liegt nicht in einer Kleingartensiedlung. Und sie ist andererseits auch nicht nach dem Bundesmeldegesetz als Wohnsitz anmeldbar.
Im kantigen Amtsdeutsch wird das als „Sondergebiet“ definiert, in dem „eine dauerhafte Wohnnutzung nicht zugelassen ist“. Da die Finnhütte im sogenannten Außenbereich nach Paragraf 35 Baugesetzbuch liege, wäre eine Nutzung als Wohnung eine Ordnungswidrigkeit, die von der zuständigen Behörde geahndet werden könne.
GEZ: Rundfunkbeitrag wird für jede Wohnung erhoben, auch für eine Datsche kann das gelten
Klarer Fall. „Eine kleine Hütte mit schrägen Wänden, man kann da mal schlafen, aber mehr auch nicht“, sagt Bärbel Müller. Als eines Tages der Mahnbrief aus Leipzig kommt, halten Müllers, beide studiert und lebenserfahren, die Zahl auf der letzten Zeile dann auch für einen Fehler. 413,54 Euro sollen sie als vermeintliche Beitragsschuldner nachzahlen. „Wir haben nur mit dem Kopf geschüttelt.“
Und einen Brief geschrieben, der nur der erste von vielen sein wird, eine Etappe in einem schwer zu fassenden bürokratischen Hickhack. Die Auseinandersetzung ist bis heute nicht beendet: Müllers verweisen darauf, dass es sich bei ihrer Finnhütte nicht um eine Wohnung handeln kann, weil das Wohnen dort ja verboten ist.
Der Beitragsservice hingegen zieht sich auf die Position zurück, dass es sich trotzdem um eine Wohnung handele - und ein zweiter Beitrag für den Haushalt Müller fällig werde. „Bitte glauben Sie uns, dass die von Ihnen geschilderten Umstände von uns mit Verständnis aufgenommen wurden“, heißt es da ausnehmend höflich, „jedoch kann dies nicht Grundlage unserer Entscheidung sein“.
Der Rundfunkbeitrag wird vom „ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice“ zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhoben. Grundlage ist der von allen 16 Landesparlamenten ratifizierte Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV). Er legt fest, wie der Rundfunkbeitrag berechnet wird, wer ihn zu zahlen hat und für wen besondere Regelungen gelten.
Die Gebühr beträgt 17,50 Euro im Monat. Seit 2013 gilt die Regelung, dass die Abgabe pro Haushalt zu entrichten ist. Bis dahin hieß die Abgabe „Rundfunkgebühr“ und musste pro Gerät bezahlt werden. Im Jahr 2016 nahmen die öffentlich-rechtlichen Sender 7,98 Milliarden Euro durch den Rundfunkbeitrag ein.
Die Anzahl der einzahlenden Haushalte lag bei 44,8 Millionen. Die ARD erhielt vom Beitrag 12,37 Euro - das entspricht einem Anteil von etwa 71 Prozent der Einnahmen. Unter dem ZDF (4,32 Euro), dem Deutschlandradio (0,48 Euro) sowie den Landesmedienanstalten (0,33 Euro) wurden die restlichen 5,13 Euro aufgeteilt.
Eine Befreiung vom Rundfunkbeitrag gibt es lediglich für Studenten, Azubis oder Schüler, die zu Hause wohnen und deren Eltern bereits zahlen sowie in Ausnahmefällen für Empfänger von Sozialleistungen, Menschen mit Behinderung und Bewohnern von Pflegeeinrichtungen. Leben Menschen in einer Wohngemeinschaft zusammen, muss nur eine in dem Haushalt lebende Person den Rundfunkbeitrag bezahlen.
Eine Ader am Hals von Bärbel Müller pocht sacht, wenn sie über ihre Odyssee durch den Behördendschungel spricht. Mit der Zentrale des Beitragsservice in Bonn hat sie ein halbes Dutzend Mal gesprochen, dort sei sogar Einsehen signalisiert worden.
„Dann wurde ich nach Leipzig verwiesen, die würden mich zurückrufen.“ Geschieht nicht. Und als sie selbst nachfragt, heißt es wieder nein, das habe schon alles seine Richtigkeit. Denn auch wenn der RBStV ausdrücklich bestimme, dass „Raumeinheiten, die der vorübergehenden Unterbringung in Beherbergungsstätten dienen“, nicht als Wohnung gelten, sei aus der mit Familie Müller geführten Korrespondenz bekannt, „dass es sich bei dem als Finnhütte bezeichneten Gebäude um eine Wohnung im Sinne des RBStV handelt“.
GEZ für die Datsche: Rundfunkbeitrag wird nur mit vollständigem Wohnnutzungsverbot gestrichen
Weil Herr und Frau Müller ihre Datsche zudem weiterhin zur Erholung nutzen, seien sie Inhaber der „Wohnung“, auch wenn sie nach Angaben der zuständigen Kommune nicht zum Wohnen zugelassen ist. „Eine ganzjährige Freistellung vom Rundfunkbeitrag wäre in der vorliegenden Konstellation nur dann möglich, wenn für die Laube ein vollständiges Wohnnutzungsverbot besteht.“
Das wäre nun auch nicht im Sinne der Besitzer, die in den letzten drei Jahren an den Ministerpräsidenten und seinen zuständigen Staatssekretär geschrieben, Gesetzestexte studiert haben und bei der zuständigen Gemeinde im Vorharz vorstellig geworden sind.
Dort konnte ihnen zumindest geholfen werden, was den Ausgangspunkt der plötzlichen Zahlungsaufforderungen des Beitragsservice anbelangt: Ende der 70er Jahre, als es noch keine „Außenbereiche“ gab und keine bundesdeutschen Bauordnungsparagrafen galten, hatten Müllers ihr Holzzelt tatsächlich einmal als Meldeadresse angegeben. „Da war damals nur geschehen, weil man das tun musste, wollte man zum Beispiel mit einem kranken Kind dort hinfahren, statt im halleschen Industrienebel sitzen zu bleiben.“
Später wurde die Meldung vergessen, es spielte keine Rolle mehr, die Kinder waren längst groß und die DDR im Staub der Geschichte versunken. Nicht jedoch ihre Melderegister, die auf einmal wieder interessant wurden, als der Beitragsservice nach der Neuregelung der Rundfunkabgabe begann, im Datenbestand deutschlandweit nach Wohnungen zu fahnden, für die noch kein Beitrag abgeführt wird.
Ab März 2013 lieferten die Einwohnermeldeämter in Deutschland Angaben zu Namen, Adresse, Doktorgrad, Familienstand, Geburtsdatum und Einzugsdatum aller in Deutschland gemeldeten Bürgerinnen und Bürger an den Beitragsservice.
Dort wurden die rund 70 Millionen Datensätze mit den bestehenden Beitragskonten abgeglichen. „Volljährige Personen, die beim Einwohnermeldeamt gemeldet sind und für die kein Beitragskonto festgestellt werden konnte, wurden zur Sachverhaltsklärung vom Beitragsservice angeschrieben“, heißt es dazu bei der ARD.
Rundfunkgebühren und GEZ für die Datsche: „Man fühlt sich ohnmächtig und ausgeliefert“
Und volljährige Erwachsene wie die Müllers, die auf einmal zwei Meldeadressen hatten, bekamen eine zweite Rechnung zugeschickt. Für Bärbel Müller ein Unding.
Seit 2013 kämpft sie wie gegen Windmühlen, „weil das einfach ungerecht ist, was die mit uns machen“, schimpft sie. Es geht ums Prinzip, immer noch, auch wenn der Beitragsservice inzwischen ein wenig eingelenkt hat. „Erst kam gar nichts, dann die Zusicherung, dass wir nicht zahlen müssen, und zuletzt nun eine Mitteilung, dass nur für sechs Monate im Jahr ein Beitrag fällig wird.“
Ein Kompromiss, der Bärbel Müller erst recht richtig fuchsig macht, weil sie immer daran denken muss, dass der Beitragsservice anfangs behautet hatte, es sei rechtens, dass Müllers den ganzen Beitrag bezahlen, dann die Auskunft gab, es müsse gar nicht gezahlt werden. Und nun genau so sicher ist, dass der halbe Beitrag ganz genau der Rechtslage entspreche.
GEZ und Rundfiunkbeitrag: Rechtslage müsse eingehalten werden
„Man fühlt sich ohnmächtig und ausgeliefert“, sagt Bärbel Müller, die am liebsten weiter gegen das kämpfen würde, was Christian Greuel vom Beitragsservice auf keinen Fall einen „Kompromiss“ nennen will. „Aber ich sage immer, Bärbel, es hat keinen Sinn“, sagt ihr Mann Lutz dann.
Und eigentlich weiß es Bärbel Müller auch schon. Der Chef der Staatskanzlei hat sie auf die Rechtslage verwiesen, die eingehalten werden müsse. Der Ministerpräsident die Arme gehoben. Nur bei völlig klarem Rechtsbruch, bestätigt sein Sprecher, könne man da in einen Einzelfall eingreifen. „Aber die Verwaltungsgerichte haben bisher in ähnlichen Fällen die Auffassung des MDR bestätigt.“
Es ist ein verlorener Krieg, wegen dem Bärbel Müller innerlich kocht. „Ich kann nicht schlafen wegen der Sache, weil mich das so aufregt“, beschreibt sie, „und für irgendeinen Sachbearbeiter ist es nur ein Brief mehr, den er mit einem Formschreiben beantwortet.“ (mz)