Riesige Rechnung der Telekom Riesige Rechnung der Telekom: Vermeintlicher Anwalt gerät ins Zwielicht

Magdeburg/Berlin - An ihre erste Reaktion auf die Post in den gelben Umschlägen kann sich Stefanie P. gut erinnern. „Ich habe nichts gedacht, nur reagiert wie ein Roboter.“ Immerhin: Was ihr da im September 2014 ins Haus flatterte, war kein Pappenstiel. Es waren zwei Mahnbescheide des Amtsgerichts Euskirchen (Nordrhein-Westfalen) über insgesamt sage und schreibe 43 Millionen Euro. Angeblich kam die Forderung von der Deutschen Telekom.
Ende 2014 hat diese Nachricht Schlagzeilen gemacht - inklusive der Fortsetzung, dass der Mahnantrag beim Amtsgericht Euskirchen offensichtlich von einem Unbekannten gefälscht war und die Telekom gar keine Ansprüche an Stefanie P. hat. „Das hat das Unternehmen eidesstattlich versichert“, sagt Christian Löffler, Sprecher des Magdeburger Landgerichts. Dort sollte der Fall ursprünglich weiter verhandelt werden. Mittlerweile bekommt er, auch für Stefanie P., einen völlig neuen Aspekt. Im Mittelpunkt: ihr Rechtsvertreter Paul N. Er rückt ins Zwielicht, weil er sich als Anwalt ausgibt, aber offenbar keiner ist. Polizei und Staatsanwaltschaft Berlin haben ihn nach MZ-Recherchen bereits auf dem Schirm.
Stefanie P. hatte damals nicht angefangen zu rechnen, für wie viele Auslandstelefonate 43 Millionen Euro reichen würden. Sie hat auch nicht bei der Telekom angerufen, um zu fragen, was das soll. Schon aus gesundheitlichen Gründen, sagt die 38-Jährige, sei jede Aufregung schlecht für sie. Also übergab sie den Fall an N., einen Berliner, auf den sie im Frühjahr im Internet über das soziale Netzwerk Facebook gestoßen war und der die längere Zeit arbeitslose Frau seitdem in einigen Fällen - unter anderem im Sozialrecht - vertreten hat.
Ungewöhnliche Eile
Seine Schreiben wirken auf den ersten Blick professionell. Sein Agieren zumindest in diesem Fall warf aber Fragen auf. Üblicherweise, heißt es unter Juristen, legt ein Schuldner Widerspruch gegen einen unberechtigt geglaubten Mahnbescheid ein. Dann ist der Gläubiger zunächst erst einmal verpflichtet, seine Forderung zu begründen - was beim Mahnantrag selbst noch nicht erforderlich ist. In diesem Fall aber beantragt Paul N. im Namen seiner „Mandantin“ sofort eine Verhandlung vor dem Magdeburger Landgericht. Rechtlich ist das zulässig. Das sei in seiner „Kanzlei“ auch so üblich, sagt N. der MZ anfangs. Rechtfertigen müsse er als „Anwalt der Armen“ sich für einen solchen „Glücksfall“ nicht. Immerhin: Die Gebühr eines Anwaltes bemisst sich auch nach Streitwert - hier also nach 43 Millionen Euro.
Auch der Kanzleiinhaber selbst wirft Fragen auf. Lesen Sie mehr dazu auf der nächsten Seite.
Es ist aber nicht nur diese Eile, die Fragen aufwirft, sondern auch der Kanzleiinhaber selbst. Seine Kontaktdaten auf klassischem Weg zu finden, erweist sich als schwierig. Selbst im offiziellen Rechtsanwaltsregister der Bundesrechtsanwaltskammer wird er nicht gelistet. In seinen Briefen nutzt N. die Begriffe „Kanzlei“ und „Prozessbevollmächtigter“. Auf konkrete Nachfrage der MZ versichert er aber, Rechtsanwalt zu sein. Einen Tag später erklärt er plötzlich, seine Zulassung aus Gesundheitsgründen abgegeben zu haben. Aber: Nach Angaben der Rechtsanwaltskammer Berlin gegenüber der MZ gibt es in der Hauptstadt keinen zugelassenen Anwalt namens Paul N. - hat es auch nie gegeben. Unter der von ihm selbst bei Behörden angegebenen Berliner Kanzlei-Adresse ist im Handelsregister eine Energiefirma eingetragen. Gelistet wird dort zeitweise als Prokurist: Paul N., geboren 1993. Ein Rechtsanwalt mit 21 Jahren, bei neun Semestern Jura-Studium und zwei Jahren Referendariat?
Für Zweifel sorgt der vermeintliche Anwalt längst auch im Internet. Auf einer Plattform für sozial Schwache wird einer der Moderatoren stutzig. N. habe Werbung für seine Kanzlei gemacht, sich Vollmachten ausstellen lassen. „Sein Schreibstil wurde aber immer komischer“, sagt der Mann der MZ. Mitte Oktober habe er Anzeige erstattet. In dem Forum wurde N. gesperrt. Er soll allein von dieser Internet-Plattform mindestens fünf Menschen vertreten haben.
Inzwischen werden N.s Spuren im Netz immer weniger. Kurz nach Bekanntwerden des Telekom-Falls werden zwei Internetadressen seiner „Kanzlei“ bei der Registrierungsstelle Denic gelöscht. Auch sein Profil in der Internet-Karriereplattform Xing ist mittlerweile nicht mehr für jedermann sichtbar.
Staatsanwaltschaft ermittelt
Die Berliner Staatsanwaltschaft hat der MZ unterdessen bestätigt, dass es gegen einen Paul N. mit den genannten Adress- und Geburtsdaten „eine ganze Reihe von Ermittlungsverfahren“ gibt. Schwerpunktmäßig würden sie sich mit Betrugsvorwürfen befassen, so Sprecher Martin Steltner. Details nennt er nicht. MZ-Informationen, wonach N. bereits als 17-Jähriger wegen Betruges zu einer Haftstrafe verurteilt worden sein soll, kann Steltner weder bestätigen noch dementieren.
Und wie reagiert der Betreffende selbst? Erfahren Sie mehr dazu auf der nächsten Seite.
Und der Betreffende selbst? Von der MZ mit den Recherchen konfrontiert, sagt er am Telefon vor allem: „Dazu werde ich mich nicht äußern.“ Weder werde er Angaben zu seinem Alter machen noch zu Ermittlungsverfahren. Was seine Zulassung angehe, müsse „in der Recherche etwas falsch gelaufen sein“. Und von einer Firma, für die er im Handelsregister steht, „wüsste ich nichts“. N. redet auch nicht über Einnahmen. Nach Unterlagen seiner „Mandantin“ Stefanie P. hat er offenbar allein für den Widerspruch gegen die Mahnbescheide - zwei einseitige Din-A4-Blätter - schon Rechnungen über fast 80000 Euro an die Rechtsschutzversicherung geschickt. Ob die gezahlt hat, ist derzeit noch unklar.
Einige wollen der
Offen bleibt auch, wer die Telekom-Geschichte mit dem gefälschten Mahnantrag überhaupt in Gang gesetzt hat. Stefanie P. hat N. nicht zwingend unter Verdacht. Es gebe einige, die ihr schaden wollen, sagt sie. Die Staatsanwaltschaft Bonn hat ein Ermittlungsverfahren zum Mahnantrag inzwischen eingestellt - wegen fehlender Ermittlungsansätze. Nicht einmal Fingerabdrücke auf dem Papier würden etwas bringen, weil es durch zu viele Hände ging, sagt eine Sprecherin.
Für Stefanie P. bleibt die Suche nach einem neuen Anwalt, der Ärger über das, was sie in den vergangenen Tagen über Paul N. gehört hat, und die Angst, was das für Auswirkungen haben könnte - auch auf abgeschlossene Verfahren. „Ich habe ihm voll und ganz vertraut. Was ich jetzt alles erfahren habe, ist ein Schlag in die Magengrube“, sagt sie. Auch sie wolle sich jetzt an die Polizei wenden. (mz)
