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Richtfest in "Schnöggersburg" Richtfest in "Schnöggersburg": Teil der Übungsstadt an Bundeswehr übergeben

Von Ralf Böhme 27.10.2017, 08:00
Auch ein Gotteshaus steht in Schnöggersburg. Ob das eine Kirche, Moschee oder Synagoge darstellen soll, bleibt offen.
Auch ein Gotteshaus steht in Schnöggersburg. Ob das eine Kirche, Moschee oder Synagoge darstellen soll, bleibt offen. dpa

Gardelegen - Heckenschützen lassen sich hier in der Altmark mit modernster Technik erkennen und ausschalten. Soldaten der Bundeswehr können hier etwa trainieren, wie man zum Beispiel extrem befestigte Bastionen von Warlords  erobern kann - oder welche Szenarien sonst deutsche Soldaten im Auslands-Einsatz erwarten könnten.  In der Colbitz-Letzlinger Heide bei Gardelegen sind die ersten Abschnitte einer großen Übungsstadt für den Häuserkampf einsatzbereit. 200 Gebäude und Anlagen sind entstanden, weitere 300 sollen noch folgen. Der erreichte Stand war am Donnerstag der Anlass für ein symbolisches Richtfest nebst christlicher Weihe durch einen evangelischen Militärseelsorger.

Mehrere Hochhäuser prägen diesen Ort ohne Einwohner. Auch ein Penthouse gehört dazu. Das Dachgeschoss trägt als Merkmal eine blaue Bauchbinde. Von dort gibt es für Besucher einen perfekten Rundblick auf das urbane Manövergelände. Es könnte aber auch - zu Traingszwecken - der Platz sein, wo sich Terroristen verschanzt halten. „Wir müssen hier jedes nur denkbare Szenario durchspielen, um im Ernstfall nicht überrascht zu werden“, erklärt Oberst Uwe Becker, der Leiter des Truppenübungsplatzes.

Übungsstadt in der Altmark: 140 Millionen Euro investiert

Dafür investiert die Bundeswehr im altmärkischen Sand 140 Millionen Euro, bisher 30 Millionen mehr als ursprünglich geplant. Mit diesem Geld entsteht  ein universell nutzbares Kampfgebiet  für Übungszwecke, wie es das in Europa noch nicht gibt. Vergleichbares leisten sich nach  Auskunft der Militärs nur noch die Israelis und die Amerikaner.

Dass man in Schnöggersburg, so der Name der Geisterstadt im Wald,  mit sprichwörtlicher deutscher Gründlichkeit vorgeht, ist augenscheinlich. Ob Straßenbeleuchtung oder Installation in den Gebäuden, alles entspricht den Normen und ist so eingerichtet, dass es lange Nutzbarkeit garantieren soll. Ein Gebäude besitzt sechs Etagen und nicht sieben, weil ansonsten laut Vorschrift ein Lift hätte eingebaut werden müssen.

Die Segnung militärischer Objekte ist umstritten.  Auch innerhalb der Kirche gibt es Befürworter und Kritiker dieser Praxis. Die Weihe der  Übungsstadt Schnöggersburg vollzog  der Militärgeistliche Andreas Kölling aus  Burg. 

Der Pfarrer ging in seinen Worten auf das Problem ein. Seine Erklärung: Den Segen gibt es „im Gottvertrauen, dass alles gut wird“. Er verstehe die weihe auch als einen Moment des Innehaltens, in dem Soldaten, Politikern und Bürgern ihre Verantwortung erkennen können. In diesem Zusammenhang brachte er das Gottes-Wort: „Liebet eure Feinde.“

Auch am Tag der Übergabe hatten sich an der Zufahrt des Truppenübungsplatzes einige Gegner des Projektes versammelt und warnten, dass von hier aus im übertragenen Sinne ein Krieg ausgehen könne. Zu den Kritikern von Schnöggensburg hatten in der Vergangenheit vor allem Politiker der Linken und der Bündnisgrünen gezählt.

Die Grünen legten 2013 sogar bei der Europäischen Union eine Beschwerde ein -  ohne Erfolg. Auch Umwelt- und Naturschutzverbände sahen verbriefte Schutzrechte, beispielsweise der Vogelwelt, ernsthaft verletzt.  In der Altmark  hingegen sieht man den Einsatz der Bundeswehr weitgehend  freundlich. Unter anderem deshalb, weil  das Objekt 1 400  Jobs sichert.

Trotz des Hangs zur Perfektion müsse sparsam gebaut werden, so Oberleutnant Alexander Helle. Auf die Ausstattung der Gebäude hat man aus Kostengründen weitgehend verzichtet. Teuer genug ist es ohnehin, wenn sechs Brücken errichtet werden, die allesamt für 70 Tonnen Belastung und mehr ausgelegt sind und mit Panzern befahren werden können. Die Übergänge queren einen künstlich angelegten Flusslauf. Für eine simulierte „Trockenzeit“ kann es abgelassen werden.

„Es knallt wie im echten Gefecht, aber es fließt kein Blut.“

Einer der aufwendigsten Bestandteile von Schnöggersburg bleibt dem Laien dagegen verborgen. Es ist die elektronische Rüstung von Gebäuden, Fahrzeugen und Soldaten. Das Konzept stammt vom Hersteller Rheinmetall und nutzt die modernste Computer- und Lasertechnik, die weltweit am Markt verfügbar ist. Hunderte Kilometer Kabel sind dafür verlegt worden. Alles und jeder, der im Übungsgelände unterwegs ist, trägt Sensoren und Detektoren.

Oberleutnant Heller: „Hier knallt es wie im echten  Gefecht, aber es fließt kein Blut.“ Nur Platzpatronen und hochwirksame Pyrotechnik werde verwendet. Elektronische Bauteile registrierten dafür die Art und Schwere jedes Treffers, signalisieren einer Zentrale den aktuellen Kampfwert der eingesetzten Kräfte. Ab Januar 2018 soll alles erprobt und qualitativ weiter ausgebaut werden.

Wenn nach acht Jahren Bauzeit 2020 die letzten Arbeiter abziehen, bestimmen ausschließlich Soldaten das Geschehen in Schnöggersburg. Bis zu 1 500 Männer und Frauen können den Planungen zufolge ihre Angriffs- und Reaktionsfähigkeiten im Krisenfall testen. Bei Bedarf werden bis zu 500 Komparsen den jeweiligen Gegner darstellen. Platz ist dafür mehr als genug vorhanden. Wer genug Fantasie hat, kann sich vorstellen, wie beispielsweise ein besetzter Flugplatz erobert wird. Auch eine fiktive U-Bahn ist vorhanden, ihr unterirdischer Schacht misst 350 Meter. Vor der Schule,  die womöglich Geißelnehmer  besetzen könnten,  steht ein kleines Wartehäuschen aus Holz und daneben das Haltestellenschild für den Bus. In Sichtweite befindet sich die Residenz eines Botschafters, erklärt ein Soldat. Jeder der Gäste fühlt sich da an den verheerenden Bombenanschlag auf die deutsche Botschaft in Afghanistan erinnert.#

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Schnöggersburg ist zwar immer noch Baustelle. Doch gepanzerte Fahrzeuge oder Feldjäger sind in den Gassen dann und wann schon zu sehen. Die Gastgeber sprechen in diesem Zusammenhang von „Feintuning“ der Entwürfe. Schließlich muss mal ausprobiert werden, ob der Schützenpanzer überhaupt um die Kurve kommt. Die repräsentativsten Gebäude sind das Rathaus mit einer Kuppel und die Kirche, wertneutral Sakralbau genannt. Zwei Türme schmücken den architektonischen Mix verschiedener Religionen.

Schnöggersburg ist ideale Übungsstadt für Häuserkampf

Auf den Dächern sind Überwachungskameras zu erkennen, die Bilder des  Kampfgeschehens direkt in die Einsatzzentrale übermitteln können. 94 Firmen haben hier mitgewirkt. Und so findet sich in Schnöggersburg inzwischen so  ziemlich alles, was eine Stadt an Infrastruktur bieten kann. Der Einkaufsmarkt, in dem die simulierte Bombe hochgeht, heißt Brutto. Nicht einmal ein Gefängnis, gesichert mit sechs großen Wachtürmen fehlt. Anders als in Berlin ist der Flugplatz hier sogar pünktlich fertig geworden. Im Plan: ein Stadion und ebenso eine Art Elendsviertel, angenommenes Rückzugsareal für Freischärler.

Großen Anteil daran haben die Handwerker aus Stendal, die beim Richtfest nicht fehlen und den Richtspruch von Zimmermann Peter Michael mit viel Beifall unterstützen. Bauarbeiter Günther Lorenz  kann eine  Aussage von Markus Grübel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, nur bestätigen:  „Ich selbst arbeite hier schon vier bis fünf Jahre. In dieser Zeit sind wirklich sehr viele Aufträge an kleine und mittelständische Firmen aus der Region gegangen, das bringt Aufschwung in die Gegend.“ Und das will viel bedeuten in einem Landstrich, in dem sich ansonsten Fuchs und Hase gute Nacht sagen, sondern seit neuestem sogar drei Wolfsrudel heimisch sind. Wie sie sich mit den neuen Nachbarn vertragen, wird man sehen. ()

Blick auf die Übungsstadt Schnöggersburg.
Blick auf die Übungsstadt Schnöggersburg.
Ralf Böhme
Teilnehmer einer Besichtigungstour gehen über die Baustelle des Ausbildungsgeländes der Bundeswehr Übungsstadt «Schnöggersburg» auf dem Truppenübungsplatz Altmark bei Gardelegen.
Teilnehmer einer Besichtigungstour gehen über die Baustelle des Ausbildungsgeländes der Bundeswehr Übungsstadt «Schnöggersburg» auf dem Truppenübungsplatz Altmark bei Gardelegen.
dpa-Zentralbild