Rechtsrock-Konzerte Rechtsrock-Konzerte: Brauner Alptraum in Nienhagen

Halle (Saale)/MZ - Eine Million Neonazis zieht durch Halle, bewacht von 230.000 Polizisten – eine absurde Vorstellung. Es ist eine Hochrechnung, die verdeutlicht, was die Menschen in Nienhagen (Harzkreis) immer wieder mit Neonazikonzerten erleben. Zuletzt zogen im Mai 1.500 Rechtsextremisten aus ganz Europa durch das Dorf zum Veranstaltungsgelände. 2011 waren es sogar 1.800. Eine Art braunes Woodstock - und für die Anwohner ein Alptraum.
„Wenn wir nur 380 Einwohner sind und 1.800 Neonazis fallen bei uns ein, dann ist das belastend“, sagte gestern Hans-Christian Anders, Sprecher eines Bürgerbündnisses. Es schüchtere die Bewohner ein, wenn in Scharen „im Gesicht volltätowierte Hammer-Skins“ durch die acht Straßen des Ortes ziehen. Die Leute würden sich teilweise in ihren Häusern einschließen oder wegfahren. Er machte der Landespolitik Vorwürfe. „Es wäre schön, wenn es Unterstützung von der Landesregierung gäbe. Wir stehen und kämpfen allein“, sagte Anders gestern bei einer Anhörung des Landtags-Innenausschusses zu Neonazikonzerten.
Auf Antrag der Linken sollte über Erfahrungen mit Rechtsrock-Konzerten gesprochen werden. Als Expertin wurde auch Andrea Röpke gehört. Die freie Journalistin ist auf Rechtsextremismus spezialisiert. Der Rechtsrock ist ihrer Ansicht nach Teil einer Strategie der rechten Szene: Die Konzerte stabilisierten die Bewegung nach innen und die Einnahmen würden in die rechte Szene fließen. „Sachsen-Anhalt ist sehr wichtig für diese Strategie, weil es logistisch sehr gut liegt“, sagte Röpke. Sie war auch zum Konzert in Nienhagen gefahren und kritisierte, dass sich die Polizei zurückgehalten habe. „Das war eine national befreite Zone. Die Polizei hat nur am Rand gestanden“, sagte Röpke. Sie selbst sei beschimpft und bedroht, ihre Kamera demoliert worden. Sie habe die Polizei erst zum Einschreiten auffordern müssen.
Bei verbotenen Neonaziliedern müsste das Ordnungsamt einschreiten
Zuständig für Anmeldung, Genehmigung, Kontrolle und Absicherung des Konzerts waren gleich drei Behörden: Verbandsgemeinde, Landkreis und Polizei. „Die Zuständigkeiten behindern sich teilweise“, beklagte Knut Buschhüter, Leiter des Ordnungsamtes. So sei etwa der Kreis zuständig für die Einhaltung des Baurechts, er selbst für Auflagen des Konzerts - Verstöße hätte er in Absprache mit der Polizei ahnden müssen. Etwa, wenn verbotene Neonazilieder gespielt worden wären. Ob das der Fall war, konnte der Ordnungsamtschef nicht sagen. Weder er noch ein Mitarbeiter haben das Konzert verfolgt. „Wir müssen auch unsere Eigensicherung beachten.“
Verbotene Lieder wurden im August bei einem NPD-Fest mit 900 Teilnehmern, darunter Minderjährige, in Berga bei Sangerhausen gespielt - behauptete gestern Torsten Hahnel vom Verein Miteinander. Die Behörden hätten 18 Lieder genehmigt, die als jugendgefährdend auf dem Index stehen. Mindestens fünf davon seien verboten. Eingeschritten sei aber niemand.
732 Platzverweise nach verbotenen Liedern
In Brandenburg geht die Polizei rigide mit den Konzerten um. Olaf Fischer, Leiter der Polizeidirektion Ost, erklärte anhand eines Falles in Finowfurt das Vorgehen. Dort habe der Staatsschutz schon vor der Anmeldung durch „Aufklärung“ vom Konzert erfahren und das zuständige Ordnungsamt informiert – bevor dort der Veranstalter erschien. Zu strengen Auflagen gehörten das Konzertende um 22 Uhr und Kontrollpunkte der Polizei. Zudem habe man einen Spezialisten, der alle Rechtsrock-Lieder kennt. Der habe das Konzert verfolgt und verbotene Lieder sofort erkannt. Die Veranstaltung wurde abgebrochen, die Identität der Bandmitglieder festgestellt, Anzeigen erstattet und 732 Platzverweise erteilt – allen Teilnehmern des Konzerts. Das habe viel Frust bei den Rechtsextremisten ausgelöst.
Ob auch die hiesige Polizei so durchgreift, blieb unklar. Der Ausschuss hatte keinen heimischen Polizeiführer eingeladen. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU), der die Anhörung als Zuhörer verfolgte, sagte pauschal: „Ich bin der Meinung, dass unsere Polizei zusammen mit den Landkreisen und den Ordnungsämtern eine gute Arbeit leistet.“ Der nächste Praxistest dafür: Laut Miteinander findet am 12. Oktober ein Rechtsrock-Konzert mit 1.500 Teilnehmern in Kämmeritz bei Zerbst statt.