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Rarität im Harz: Museum für Kanarienvögel

18.06.2004, 10:05

Sankt Andreasberg/dpa. - Ein ungewöhnliches Museum gibt es imhistorischen Bergbaustädtchen Sankt Andreasberg im Harz. LauterGesang aus zahlreichen Vogelkehlen empfängt die Besucher in einemhölzernen Wohngebäude der früheren Silbergrube «Samson». Jochen Klähnlöst mit Stolz das Rätsel: «Diese Einrichtung ist dem Kanarienvogelund seiner Geschichte gewidmet.» Klähn ist Gründer und Direktor desHauses, das nicht zufällig im norddeutschen Mittelgebirge zu findenist. Der so genannte Harzer Roller, gefragt wegen seines besonderswohlklingenden Gesanges, wurde hier gezüchtet.

Der Kanarienvogel stammt, wie schon der Name sagt, ursprünglichvon den Kanarischen Inseln, wo spanische Mönche schon am Ende des 15.Jahrhunderts seine Vorzüge als zutraulicher Sänger erkannten.Irgendwie kam er dann nach Zentraleuropa. In Tirol fanden Bergleutespäter Gefallen an der Finkenart. Als sie die Tiere in den Stollenals Gesellschaft mitnahmen, merkten sie schnell, wie früh diese beigeringsten Spuren von Gasen warnten. «Kanarienvögel reagieren 16 Malempfindlicher auf Kohlendioxid als die Menschen. Sie werden unruhigund fangen an zu schmatzen», beschreibt Klähn die Signale dieser«gefiederten Alarmanlagen».

«Die Tiroler Bergleute kamen etwa 1730 nach Sankt Andreasberg, umhier in den Bergwerken zu arbeiten», erzählt Klähn. Die Grube«Samson», bis 1910 in Betrieb, war damals die größte und weltweittiefste Anlage. Ihre singenden Hausgenossen brachten die Tiroler mit.Wegen der Nachfrage unter den Kumpeln wurde mit der Zucht begonnen.

Ein Großhändler namens Reiche exportierte die Vögel 1882/83 inalle Welt: beispielsweise 120 000 Kanarienvögel nach New York.Transportiert wurden sie in jeweils eigenen kleinen Käfigen. 210wurden zu einem hölzernen Traggestell, dem Reef, gestapelt.

«Viele Familien hier ernährten sich teilweise vom Bau der kleinenKäfige in Heimarbeit», sagt Klähn. «Das Material - es waren genau 66Einzelteile - lieferten Tischlereien.» In dem Museum kann man einesolche Werkstatt sehen. Auch jede Menge Käfige sind ausgestellt. Alldie Schaustücke hat der Museumsleiter selbst zusammengetragen oderdurch Überlassungen erhalten. Und er sucht noch weiter, zum Beispielnach einem Wiederbelebungsgerät für Minenvögel, wie es in Südafrikavon Tierfreunden entwickelt wurde.

Klähn, selbst Harzer-Roller-Züchter, konnte 2001 seine Schaueröffnen. «Wir zählen etwa 48 000 Besucher pro Jahr», sagt er undöffnet die Tür zu einem weiteren Raum, in dem etwa zwei DutzendKäfige stehen. Die Vögel beäugen neugierig die Ankömmlinge. Wie einFremdkörper steht ein Grammophon auf einem Hocker mitten im Raum. DerMuseumsleiter zieht es per Handkurbel auf und legt den Abspielarm mitder Nadel auf die Schellackplatte. «Stammt aus dem Jahr 1908»,murmelt er. Es erklingt ein vor mehr als 90 Jahren aufgenommenesKanarienlied. «Für die Käfigvögel ist das eine Anregung zum Singen.Geeignet sind nur die Hähnchen, bei den Weibchen fällt der Gesangeher eintönig aus.»

Der Züchter, der den Kanarienvögeln diesen Gesang beibrachte, hießWilhelm Trute (1836 - 1889) und stammte aus Sankt Andreasberg. Einerst 1999 auf Initiative von Züchtern errichtetes Denkmal erinnert anihn. Längst ist das Harzstädtchen das «ideologische Zentrum» derweltweiten Züchtergemeinde.

Der Besuch im Kanarienvogel-Museum führt auch in die Geschichteder Jahrhunderte langen Bergbautradition dieses Ortes, der 1487erstmals erwähnt wurde. Die Grube «Samson» ging 1521 in Betrieb, dieFörderung lief bis 1910. Klähns Vater richtete hier nach dem ZweitenWeltkrieg das Schaubergwerk ein. Seit 25 Jahren leitet es der Sohn -und erweiterte es um die Gedächtnisstätte für die Vögel, die zurLebensversicherung für Bergleute wurden.

Informationen: www.Kanarienvogel-Museum.de