Quedlinburg Quedlinburg: Hilfe vor dem Abrutschen
Quedlinburg/MZ. - Ein kalter November-Wind pfeift durch den Brühlpark in Quedlinburg. Drei Jungs in Trainingsjacken, vielleicht 15, 16, hocken auf einer Bank, wärmen sich an der Glut ihrer Zigaretten. Eigentlich müssten sie im Unterricht sein. Reden, nein, reden wollen sie nicht. Also erzählt Fabian Trinks. Zwei- bis dreimal pro Woche vormittags absolviert der Sozialarbeiter das, was er die "Schulschwänzerrunde" nennt. Geht durch die Stadt, sucht Jugendliche auf, die jetzt eigentlich nicht im Park oder an der Kaufhalle sitzen, rauchen und Bier trinken sollten. Fragt, warum sie hier sind, wie sie sich das so denken mit einer Lehrstelle, mit ihrer Zukunft.
"Ich nehme sie ernst"
Erhobener Zeigefinger? Es klingt ein wenig so, und Trinks erreicht mit solcher Ansprache längst nicht jeden. Die meisten aber gehen doch irgendwann wieder zur Schule. "Die merken, dass ich sie ernst nehme", sagt Trinks. Direkt mit Eltern, mit der Schule oder der Polizei redet er nicht. "Es gibt ein Netzwerk", sagt er nur, "das dafür sorgt, dass die Eltern informiert werden. Die wissen häufig gar nicht, dass ihre Kinder schwänzen."
Deutlicher will er nicht werden. Fabian Trinks will das Vertrauen, das er zu seinen Schützlingen aufgebaut hat, nicht zerstören. Der 25-jährige Hallenser arbeitet als Streetworker beim Quedlinburger Altstadtprojekt. Zusammen mit seiner Kollegin Anja Hochhäuser kümmert er sich um bis zu 80 junge Leute aus sozial schwierigen Verhältnissen. Projekte wie dieses gibt es in vielen Städten. Aber das Altstadtprojekt hat eine besondere Geschichte. Es entstand 1997, als die sogenannte Wordbande in Quedlinburg ihr Unwesen trieb, benannt nach einer Grünanlage. Dort lungerten rund 20 Kinder und Jugendliche herum, tranken, belästigten Touristen und beklauten Einzelhändler. Stadt und Kreis reagierten, zwei Streetworker wurden eingestellt. Irgendwann war die Wordbande Geschichte. Das Altstadtprojekt aber blieb, getragen vom Verein "Kontiki".
Was auch blieb: jede Menge Kinder und Jugendliche vor dem Abrutschen in die Kriminalität - wenn sie nicht schon kriminell geworden sind. Und jede Menge Arbeit für Fabian Trinks und Anja Hochhäuser. "Wir kümmern uns um die, die sonst von keiner Instanz mehr erreicht werden", erzählt Trinks. Die in keinen Verein gehen, wenig Freunde haben, Ärger zu Hause und keine Lehrstelle. "Hartz IV ist in diesen Familien allgegenwärtig", sagt der Sozialarbeiter. Er und seine Kollegin haben zu einem harten Kern von rund 20 Jugendlichen fast täglich Kontakt. Viele von ihnen, die jüngsten sind zehn, die ältesten Mitte 20, trinken. "Und viele haben nie gelernt, Konflikte anders als mit Gewalt zu lösen", schildert Trinks, der bei seiner Klientel "Perspektivlosigkeit und eine ganz große Zukunftsangst" ausmacht.
An der Grenze
Manche der Jugendlichen sind rechts eingestellt oder auf dem Weg dorthin. "Zwei- bis dreimal die Woche", sagt Trinks, komme er an eine Grenze. "Wenn jemand rechtes Gedankengut äußert oder rechte Musik mitbringt, sagen wir stopp - aber wir machen immer klar: wir lehnen nicht dich als Menschen ab, sondern deine Einstellung." Das funktioniere, "weil da eine Vertrauensbasis ist". Die Jugendlichen, so der 25-Jährige, dürften sich nicht stigmatisiert fühlen. "Nichts fördert rechte Gesinnung so sehr wie Ausgrenzung."
Trinks sitzt jetzt im Kontaktladen, eine ehemalige Hausmeisterwohnung einer Turnhalle. Eine Küche, ein Raum mit Sofa, Fernseher, Kicker und Dartscheibe, ein Büro. Die Möbel sind gespendet. Hier können die Kinder und Jugendlichen kochen, basteln, reden. Hier finden sie in Trinks und Hochhäuser jemanden, der ihnen einfach mal zuhört. Oder Bewerbungen mit ihnen schreibt. Hier planen die beiden Sozialarbeiter Aktionen wie Kinobesuche, Kanu- oder Klettertouren. Und mindestens einmal pro Woche steht Fußball in der Halle auf dem Programm.
Am frühen Nachmittag füllt sich der Kontaktladen langsam. Drei Jugendliche liefern sich mit Anja Hochhäuser einen Kampf am Kicker. Fabian Trinks ist schon wieder unterwegs. Eine Runde machen, wie er es nennt. "Es geht einfach darum, den Leuten zu vermitteln, da ist jemand, der dir hilft, aber nicht nervt."