Promenaden im Leipziger Hauptbahnhof Promenaden im Leipziger Hauptbahnhof: Streik macht den Händlern zu schaffen

Leipzig - Es war eine geniale Idee, damals in den 1990er Jahren. Der Leipziger Hauptbahnhof musste dringend saniert werden, und weil man schon einmal dabei war, pflanzte man eine zweistöckige Ladenstraße in die alte Bausubstanz, die nächstes Jahr ihren 100. Geburtstag feiert. Ein Einkaufszentrum mit Gleisanschluss. Im November 1997 eröffneten die „Promenaden“. Wer mit dem Zug kommt, muss den Bahnhof seither nicht mehr verlassen, um den Kleiderschrank neu zu bestücken, die CD-Sammlung zu ergänzen oder einfach nur mit der Familie ein Eis essen zu gehen.
Der Laden brummt: 78 000 Kunden täglich. 140 Geschäfte. 1 300 Parkplätze. Es gibt nur ein Problem: Wenn kein Zug fährt, geht die Idee nicht auf.
Bis zu 50 Prozent weniger Kundschaft
Dazu noch ein paar Kennzahlen: 70 - 50 - 50. 70 Prozent der Züge sind an diesem Wochenende nicht gefahren, weil die Lokführergewerkschaft GDL vom frühen Samstagmorgen an bundesweit flächendeckend gestreikt hat. 50 Stunden lang. Für die „Promenaden“ bedeutet das bis zu 50 Prozent weniger Kundschaft, sagt das Center-Management. Denn 1 300 Parkplätze hin oder her: Viele kommen nun einmal mit der Bahn.
Nur nicht an diesem Wochenende. Am späten Samstagvormittag ist es deutlich leerer in den beiden Ladenstraßen als üblicherweise um diese Zeit. Deutlich leerer auch als in einem nahe gelegenen innerstädtischen Einkaufszentrum. Verkäuferinnen starren gelangweilt Löcher in die Luft oder rücken zum x-ten Mal die Waren in den Regalen zurecht. In den Cafés fänden noch ganze Reisegruppen Platz, so wenige Stühle sind besetzt.
Wichtig für die „Promenaden“ sind nicht nur die Kunden aus dem Umland, die für einen Ausflug nach Leipzig das Auto mal stehen lassen. Sondern auch die Umsteiger. Die eine halbe Stunde Zeit haben, bevor ihr Anschlusszug fährt. Wo ließe sich die besser überbrücken als im Einkaufszentrum?
Erste Adresse für Umsteiger
Markus Hurrask und seine Kollegen leben von solchen Umsteigern. Hurrask ist Verkäufer bei „frischBack“. Die Bäckerei mit Café befindet sich direkt unterhalb der Gleis-Ebene, gleich an einem Rollsteig. Man fällt quasi rein, wenn man von oben kommt. „Für viele, die umsteigen und etwas Zeit haben, sind wir die erste Adresse.“ Diese Kundschaft fehlt jetzt. Im Café verlieren sich die wenigen Gäste.
Wer aussteigt, ob er noch weiter muss oder am Ziel ist, schaut auch gerne mal bei Martina Tomeit herein. Schnell noch ein paar Blumen holen für die Lieben daheim. Bloß heute nicht. Die Frage nach den Folgen des Streiks beantwortet die Verkäuferin bei „Blume 2000“ mit einer resignierten Handbewegung und dem Satz: „Schauen sie doch mal raus.“ Gerade hat sie zwar eine Topfpflanze verkauft, doch nun ist ihr Laden wieder so gähnend leer wie die Einkaufspassage vor der Tür. Noch viereinhalb Stunden bis zum Feierabend.
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Nein, es läuft nicht so gut in diesem Jahr für die Händler im Leipziger Hauptbahnhof. Das ist schon der zweite Streik innerhalb weniger Tage, erst vergangenen Mittwoch hatten die Lokführer die Arbeit niedergelegt. Im September war der Bahnhof vier Tage lang gesperrt, um fit gemacht zu werden für das ICE-Zeitalter. Neue Gleise, Signale und Stellwerkstechnik mussten aufwendig getestet werden. Der Zugverkehr war lahmgelegt. „Schon das hat uns erhebliche Einbußen gebracht“, sagt Heidi S., Filialleiterin im „Halloren“-Laden, dem Werksverkauf der halleschen Schokoladen-Fabrik.
Vorbei an den Promenaden
Und am Jahresanfang ging auch noch der City-Tunnel in Betrieb. Seitdem müssen Zugreisende nicht mehr am Hauptbahnhof aussteigen, wenn sie in die Leipziger Innenstadt möchten. Sie können mit der S-Bahn gleich bis zum Marktplatz durchfahren - und die „Promenaden“ links liegen lassen. Was anfangs, heißt es bei den Händlern, viele auch taten, aus Neugier. Mittlerweile habe sich das aber gegeben, sagt eine Verkäuferin in einer Parfümerie. „Das war ein vorübergehendes Problem.“ Liegt vielleicht auch an einem Hinweis auf der Homepage der „Promenaden“: Dort wird darauf verwiesen, dass von der Tunnel-Station im Hauptbahnhof aus das Einkaufszentrum bequem erreichbar ist.
Freude für die wenigen Kunden
Welche Auswirkungen auf das Geschäft so ein Streiktag habe, sagt „Halloren“-Filialleiterin Stickelt, „das sieht man erst bei einem Blick auf die Zahlen“. So sei es am vergangenen Mittwoch fast die Hälfte weniger Kunden als üblich gewesen. „Was soll ich machen“, sie zuckt mit den Schultern, „ich bleibe immer optimistisch.“ Gerade hat sie schließlich doch drei Kunden bedient. Die, immerhin, können sich freuen, dass heute nicht so viel Gewühl herrscht in den Ladenstraßen.
Und schließlich fährt an diesem Sonnabend ja doch der eine oder andere Zug. Ab und an eine S-Bahn nach Halle, zum Beispiel. Oder die Züge privater Bahn-Konkurrenten, deren Lokführer nicht streiken. Ein paar Stunden später, am Abend, wird GDL-Chef Claus Weselsky im ZDF eine Streikpause von mindestens sieben Tagen ankündigen. Zeit zum Durchatmen. Für Händler und Pendler. (mz)
