Projekt Projekt: Busfahrt ohne Grenze
HELMSTEDT/MZ. - Östlich der Kreisstadt verlief der Todesstreifen zwischen Bundesrepublik und DDR. Am Grenzübergang Helmstedt-Marienborn an der A 2, dem größten an der innerdeutschen Grenze, wurde auch der Transitverkehr nach Westberlin abgewickelt. "Für mich war es ganz normal, dass irgendwo Schluss war. Da durfte man einfach nicht hin", so Raschke. Sie sei eben mit der Grenze aufgewachsen.
Schauplätze der Teilung
An diesem Samstag sitzt sie mit 38 anderen Interessierten in einem Reisebus, der ins nahe gelegene Hötensleben (Kreis Börde) fährt. Dort ist ein 350 Meter langes Stück des Grenzsystems im Original erhalten. "Man sieht heute keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West", sagt sie, als der Bus die Landesgrenze nach Sachsen-Anhalt passiert. "Grenzenlos-Tour" heißt die Rundfahrt zu Schauplätzen der deutschen Teilung: Helmstedt mit seinem Zonengrenz-Museum, das Grenzdenkmal Hötensleben und die frühere Grenzübergangsstelle Marienborn. Damit ist die Tour einzigartig in Deutschland, sagt Birgit Wippich vom Verein "Grenzenlos - Wege zum Nachbarn": "Sie zeigt sowohl die Ost- als auch die Westperspektive."
Relikte des Grenzterrors
Nachdem der Bus das einstige "Niemandsland" hinter sich gelassen hat, wo einst nur Soldaten patrouillierten, kommt Hötensleben. In der Sperrzone gelegen, mussten die Einwohner früher mit strengen Auflagen leben - etwa einem stark eingeschränkten Besuchsrecht. Zudem wurden hier jene, die sich gegen das System äußerten, in andere Orte in der DDR umgesiedelt, erzählt Gästeführerin Gabriele Laß.
Die Gruppe läuft an der früheren Grenzstelle den einstigen "Kolonnenweg" empor, während Laß berichtet, wie perfide die DDR-Führung ihren fast 1 400 Kilometer langen "Schutzstreifen" ausgetüftelt hatte: Da gab es nicht nur die 3,20 Meter hohe Mauer, sondern auch Metallzäune, deren Material Fingerkuppen abtrennen konnte - bei jedem, der versuchte, sich an ihnen hochzuziehen. "Wo heute Rasen ist, war früher Sand", erklärt Laß, "weil Sand die Energie beim Laufen bremst". Daneben: Panzersperren aus Eisenbahnschienen, deren Abstand untereinander so gewählt wurde, dass auch kein Trabi durchpasste. "Und die zwei hellen Stellen da im Wachturm", sagt sie, "das waren Schießöffnungen".
Die Gruppe ist betroffen, ja fassungslos. "Wenn man hier so steht, kann man sich das besser vorstellen, wie es gewesen sein muss", sagt die 16-jährige Sarah Sauer aus Warberg (Kreis Helmstedt). Und Gästeführerin Laß bemerkt: "Ja, auch das war die DDR." Im Helmstedter Zonengrenz-Museum hatte sie bereits Teile des Grenzsystems erläutert, etwa die Selbstschussanlagen, von denen immer zwei übereinander angebracht wurden.
Auf steilen Eisentreppen geht es hinauf auf den Wachturm. Zwei simple Doppelstockbetten stehen auf der ersten Plattform, im Schrank daneben liegt sogar noch die Originalbettwäsche in Blau-Weiß. Für Lothar Tittel wie ein Déjà-vu: Der 60-Jährige aus Annaburg (Kreis Wittenberg) musste ein Jahr seinen Wehrdienst auf einem solchen Turm ableisten. "Im Winter ging es noch, da war es kalt. Da wurde man nicht so müde", sagt er. Man habe seine Zeit allein mit Warten verbracht. Anderes war nicht erlaubt. Geredet wurde ohnehin nicht viel. Und die Betten, die waren nicht zum Schlafen da - darin sollten die Posten sich nur ganz kurz ausruhen.
"Schikane", "Willkür", "Angstpartie" - diese Worte fallen am ehemaligen Grenzübergang Marienborn. Jene in der Gruppe, die damals im Westen Deutschlands aufgewachsen sind - und das sind die meisten hier -, erinnern sich noch genau, mit welchen Methoden man den "Feind" an der Grenze einzuschüchtern versuchte.
"Man musste nur ein blödes Lächeln draufhaben", sagt Sabine Raschke, die Marienborn oft passierte - und schon wurde einem das Auto auseinander genommen. Zusammenbauen musste man es selbst. "Je nach politischer Wetterlage wurden von zwölf Transitspuren gerne einmal elf geschlossen", berichtet Laß. Stau war hier Alltag, erinnert man sich. Wie an all die anderen Dinge von damals, über die im Bus noch lange geredet wird.