Popkomm Popkomm: Exoten in der Weltmusikbox
Berlin/Halle/MZ. - Der Mann ist Rapper, er nennt sich Lyrical Eye und kommt aus Zypern. Die DJane Madame Mim wird aus Brasilien eingeflogen, um Berlin einzuheizen. Eine australische Band heißt "Architecture In Helsinki"; die Gruppe Skaff Links macht scharfe Reggaemusik, ist bisher aber nur zu Hause in Japan berühmt.
Die Welt ist ein Dorf und die Rockmesse Popkomm in Berlin ist ihre Musikbox, die seit Mittwoch die unendliche Krise der Tonwirtschaft beredet. Tagsüber streiten Experten wie Popstars-Juror und Fanta4-Manager Andreas "Bär" Läsker und Ex-Viva-Chef Dieter Gorny über die Zukunft eines Geschäfts, das für viele Beteiligte keines mehr ist. Und allabendlich versuchen die Kongressteilnehmer dann, die trüben Gedanken bei wilden Konzerten wegzutanzen. 450 Künstler drängen sich auf Dutzenden Bühnen, um ins Blickfeld der Branchenmächtigen zu geraten. Unter ihnen sind Legenden wie der Brite Paul Weller und Neulinge wie die Norwegerin Susanne Sundför, harte Rocker wie die Kamikaze Queens aus den USA und melodieverliebte Gruppen wie die kanadischen Stars. Auch Mitteldeutschland mischt lautstark mit: Aus Halle kommt die hochgelobte Band Gammalapagos, Magdeburg schickt die Teenierocker Dario, Sachsen lässt sich durch die Entdeckung Polarkreis 18 vertreten.
Die echten Exoten aber sitzen am Stand 21.930 im sogenannten Labelcamp. Matthias Golinski und Stefan Ebbers sind die Chefs der halleschen Plattenfirma Noise Deluxe und haben sich einen Namen als Entdecker großartiger skandinavischer Bands gemacht. Für Golinski ist der Abstecher aus der Pop-Provinz deshalb alles andere als ein Partyurlaub. "Wir sind nicht hier, weil alle hier sind", sagt er, "sondern weil hier richtig was passiert." Musiker und Branchenkollegen, mit denen er sonst nur per Mail im Kontakt stehe, lerne man so "endlich mal persönlich kennen". Man könne sich austauschen und Projekte anschieben: "Ein Vorteil ist es ja nicht, so ein Label von Halle aus zu machen."
Ein Nachteil andererseits auch nicht, glaubt der Labelchef, der mit seiner Band Liebejung auch als Musiker erfolgreich ist. "Wir leiden ja alle unter den selben Entwicklungen, egal, ob wir in München oder Halle sitzen." Der Verkauf von CDs bröckele stetig ab, digitale Downloads verkauften sich zwar besser, "aber die Verluste gleicht das nicht aus." Schon sieht Golinski die CD einen schnellen Tod sterben: "Die hat einfach keine Zukunft." Was dann kommt, weiß keiner. Die Rückkehr der guten alten Vinylschallplatte? Kombiniert mit einem Rubbelcode, der den Zugang zu digitalen Downloads öffnet? "Manche Bands machen das ja schon", beschreibt der Noise Deluxe-Chef. Aber ob es so kommt?
Andere halten denn auch noch ein bisschen fest am Tonträger der Vergangenheit. Christiane Hebold etwa, als Bobo ein Kultstar, veröffentlicht das lange erwartete neue Album ihrer alten Band Bobo In White Wooden Houses auf CD und parallel dazu im Internet-Shop iTunes. Auf der Popkomm ist die Pfarrerstochter aus dem Saalekreis-Ort Landsberg noch traditioneller unterwegs. Im Roten Salon der Volksbühne zelebriert sie am Samstagabend gemeinsam mit dem halleschen Multiinstrumentalisten Sebastian Herzfeld "Lieder von Liebe und Tod": Volkslieder wie "In einem Schneegebirge" statt finnischem Hardrock, gedämpftes Klavier statt zypriotischer Rapper-Zoten. Nachdenken statt Abtanzen.
Da ist die Stimme des größten Rammstein-Hits "Engel" dann plötzlich ganz weit weg von der Hetze der Hitparade. Und ganz nah bei den Plattenfirmenbossen aus der alten Heimat. "Musik ist ja bei uns mehr eine Herzblut-Geschichte", sagt Matthias Golinski von sich und seinem Kollegen Stefan Ebbers. "Wir wissen inzwischen schon, dass wir damit nicht mehr reich werden."