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Occupy Sachsen-Anhalt Occupy Sachsen-Anhalt: In der Villa Widerstand

Von Steffen Könau 17.02.2012, 17:51

Halle (Saale)/MZ. - Der Lack ist ab im Hauptquartier. Richard Schmid schaut zur Decke hoch, wo ein feuchter Fleck vom Angriff der Elemente auf die Zentrale des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac in Sachsen-Anhalt kündet. Hier in einem der Zimmer in der oberen Etage der Attac-Villa in Könnern war es der Regen, der durch die Decke drang. Auf dem Dachboden hat eine Birke durchs Dach gedrückt. Und in einem anderen Zimmer fegte ein Hurrikan letztes Jahr zwei große Fensterscheiben ins Haus.

Stürmische Zeiten für Schmid, der als eine Art Hausmeister in der einzigen außerparlamentarischen Jugendstilvilla Deutschlands lebt. "Mr. Attac", wie der 58-Jährige sich selbst scherzhaft nennt, hat das riesige Anwesen quasi vor sieben Jahren aus Aachen mitgebracht. "Damals bekam der Koordinierungskreis von Attac Deutschland das Angebot von einem Erben aus München, das Haus mietfrei zu nutzen." Von Frankfurt am Main aus, wo die Zentrale der Globalisierungskritiker sitzt, schien Könnern allerdings recht weit im Osten. Schmid, in Bayern aufgewachsen, zum Soziologiestudium nach Hamburg gewechselt und seit 40 Jahren quasi hauptberuflich politisch engagiert fand es schade, diese Chance nicht zu nutzen. Der Mitbegründer von Grünen und Ökobank fand bei der Attac-Gruppe in Halle offene Ohren. Aus dem Haus in der Bahnhofstraße wurde die Villa Widerstand, die sozialen Initiativen, Schülergruppen und Umweltvereinen als rustikales Gästehaus dient. Und aus dem bekennenden Anarchisten Schmid wurde ein Hausmeister.

"Ich habe schnell festgestellt, dass Attac im Osten etwas anderes ist als Attac im Westen", sagt der Mann mit dem Dreitagebart. Zwar zählt die hallesche Gruppe rund 200 Mitglieder, doch aktiv ist nur eine Handvoll, wie Solveig Feldmeier beschreibt. Die Lehrerin landete einst unter ihnen, als sie nach Gleichgesinnten suchte, um gegen den Irak-Krieg zu protestieren. "Wir haben damals viel geredet und mir ist klar geworden, wie wenig ich von den Zusammenhängen weiß, die unser Leben bestimmen."

Feldmeier ist dabei geblieben, um zu lernen, wie sie sagt. Sie hat gelesen. Diskutiert. Protestiert. Organisiert. Informiert. Und gemeinsam mit Richard Schmid und ein paar anderen erlebt, wie Leute mit denselben Fragen zu Attac kamen: Und später wieder gingen. "Die Karriere, die Familie", hat die Hallenserin beobachtet, "dann sind sie nicht mehr da." Der Glaube daran, dass eine andere Welt möglich ist, wie ein Attac-Slogan beschwört, mag noch vorhanden sein. Aber die Zeit, für die andere Welt zu kämpfen, die wird knapp.

Finanzkrise hin, Finanzkrise her. "Wir hatten über Jahre immer Zugänge", sagt Schmid. "Und gleichzeitig sind Leute nicht mehr gekommen", ergänzt Feldmeier. Das Aufbegehren gegen die Allmacht der Finanzmärkte, der Widerstand gegen Spekulanten und Banken, er war Sache eines überschaubaren Kreises von Überzeugungstätern. "Das war teilweise wirklich schon sehr familiär", sagt Solveig Feldmeier über den Kampf der Aktivisten gegen Hartz IV, Gentechnik und Atomkraftwerke und für Frieden und das bedingungslose Grundeinkommen.

Erst im letzten Jahr änderte sich die Luft in der Diaspora. "Als die Occupy-Bewegung losging", sagt Richard Schmid, "war zu spüren, dass eine ganz neue Generation von jungen Leuten zu uns stößt." Der Gegensatz, der üblicherweise zwischen dem etablierten Protest-Netzwerk Attac und der jungen, noch weniger auf feste Strukturen vertrauenden Widerstandsbewegung aus dem Internet gesehen wird, ist hier in der Protestprovinz weit weg von Wall Street und Frankfurter Bankenmeile keiner. Die erste Occupy-Demo in Halle meldete Richard Schmid an, der natürlich auch die Stammtische der Piratenpartei besucht. Neben ihm stand Solveig Feldmeier auf dem Markt, wie immer mit den üblichen Bauchschmerzen, "die man hat, wenn man Angst hat, sich zum Appel zu machen, weil man da vielleicht ganz allein stehenbleibt."

Das aber passierte nicht. Es war zwar wie immer in der ehemaligen DDR - "die Leute gucken und warten, dass das Programm anfängt", sagt Feldmeier. Aber bei Occupy hätten die Menschen dann doch sehr schnell verstanden, "dass sie selbst das Programm sind." Auch für einen altgedienten Rebellen wie Richard Schmid ist das immer noch ein erhebendes Gefühl. "Man hat ja manchmal den Eindruck, um sich selbst zu kreisen", sagt der sozial bewegte Mann, der gerade erst ein paar Anonymous-Masken für den sachsen-anhaltinischen Widerstand eingekauft hat.

Seit der ersten Occupy-Demo im Oktober ist die Villa in Könnern endlich ein kleines Mekka der regionalen Kapitalismuskritiker geworden. Eine andere Welt ist möglich! Es sind wieder junge Menschen da, "sehr aktiv, sehr kreativ", wie Solveig Feldmeier lobt. Im Seminarraum brüten die Kritiker über Leerverkäufen, Tobin-Steuer und Zinsabschaffung. Es kommen Schulklassen, um über alternative Schulformen zu sprechen. Und im Garten üben Aktionskletterer, wie sich Protestplakate am besten in größer Höhe anbringen lassen.

"Es läuft über Mundpropaganda", sagt Solveig Feldmeier, "aber es bleibt eben meistens in der Region." Während die Anonymous-Masken aus China eingeflogen werden, kommt die Globalisierung der Globalisierungsgegner noch nicht über die frühere deutsch-deutsche Grenze hinaus. "Wir sind zwar mitten in der Republik, aber die fahren eher nicht hierher", sagt Schmid über die Kollegen im Attac-Stammland, denen der Hunger im Süden näher ist als das Attac-Häuflein im nahen Osten.

So fehlt es immer noch an Einnahmen, um das imposante Bauwerk am Bahnhof zu sanieren. Eine reiche Erbin sei mal dagewesen und habe Hilfe angeboten, erinnert sich Richard Schmid. Damit hätte man zwar die Wasserflecken im ersten Stock überstreichen können. Aber der Villa-Hausmeister hat das Darlehen trotzdem abgelehnt. "Wir hätten das ja nur zurückzahlen können, wenn wir mehr Spenden von den Gästen verlangt hätten", sagt er. Das aber gehe natürlich nicht, weil Kapitalismuskritiker meist auch kein Geld haben. Eine bessere Welt ist möglich. Irgendwann. "Im Moment leben wir noch ein bisschen mit den Wasserflecken."

www.attac.de/halle

www.on.fb.me/occupyhalle