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MZ-Serie MZ-Serie: «Wir bleiben hier»

Von Bärbel Böttcher 18.10.2012, 17:07
Artikel vom 18.10.12 Die Familie Rotte hat Potsdam den Rücken gekehrt. In Elster baut die junge Familie ein Eigenheim in das Marc und Melanie Rotte mit ihren Kindern Rosalie und Ludwig bald einziehen wollen.
Artikel vom 18.10.12 Die Familie Rotte hat Potsdam den Rücken gekehrt. In Elster baut die junge Familie ein Eigenheim in das Marc und Melanie Rotte mit ihren Kindern Rosalie und Ludwig bald einziehen wollen. ANDREAS STEDTLER Lizenz

Elster /MZ. - Besonders der Anteil junger Menschen geht danach zurück. Worauf gründet sich der Optimismus von Peter Müller? Räumt er doch selbst ein, dass mehr als die Hälfte "seiner" jungen Leute ein Abitur anstreben und sich danach in allen Himmelsrichtungen nach Studienplätzen umsehen, dass es in der Umgebung von Zahna-Elster nicht genügend qualifizierte Arbeitsplätze gibt, die die jungen Leute nach dem Studium besetzen könnten.

Nun, er gründet sich auf Menschen wie Melanie Seifert, die wir im Ortsteil Elster (Elbe) treffen. "Schon als Kind hat für mich festgestanden: hier möchte ich nicht weg", sagt die heute 24-Jährige. Sie ist jung verheiratet und arbeitet in der neuen Kindertagesstätte von Elster. Dass sie diese Stelle erhalten hat, daran ist Peter Müller nicht ganz unschuldig. Er hat sich dafür eingesetzt, dass die junge Frau schon während ihrer Ausbildung in Dessau die notwendigen Praktika vor Ort absolvieren kann - obwohl Elster von der Berufsschule eigentlich viel zu weit weg liegt. Damit hat er ihr eine Perspektive gegeben.

"Wir bemühen uns schon", sagt der Bürgermeister, "dass die Jugendlichen, die nicht zum Studium gehen, hier im Ort Ausbildungsplätze bekommen." So sei die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Betrieben gut. Das bestätigt auch Carola Platz, kaufmännische Leiterin und Personalchefin des Empl Fahrzeugwerkes in Elster. "Es ist ja in unserem eigenen Interesse, dass junge Leute in der Region bleiben", sagt sie. Viele Mitarbeiter, auch in Führungspositionen, stünden kurz vor dem 60. Geburtstag. "Da ist es schon wichtig, dass man sich die Jugendlichen heranzieht." 14 Lehrlinge hat das Werk derzeit, das unter anderem Feuerwehrfahrzeuge ausrüstet. "Und alle haben bei entsprechender Leistung die Chance, zu bleiben", sagt Carola Platz.

"Doch", so fährt die Personalverantwortliche fort, "es ist ganz besonders in diesem Jahr zu merken gewesen, dass das Angebot an Lehrlingen kleiner wird." Noch vor nicht allzu langer Zeit habe sie jährlich 30 bis 40 Bewerbungen auf dem Tisch gehabt. Heute seien es nur noch 15 bis 20. Außerdem werde die Qualifikation der Bewerber schlechter. "Um alle Lehrstellen gut zu besetzen, müssen wir uns schon richtig bemühen."

Diese Situation kann Peter Müller nur indirekt beeinflussen. Nämlich dadurch, dass er versucht, den Ort für Jugendliche attraktiv zu machen. In Elster, so sagt er, gibt es 16 Vereine, in die die Jugendlichen stark integriert sind. Der besondere Stolz ist jedoch der Jugendklub, der 2006 bezogen wurde und den die jungen Leute nach ihren eigenen Vorstellungen gestaltet haben. Melanie Seifert gehört zu denen, die damals ganz aktiv waren. "Ursprünglich", so erinnert sie sich, "war der Klub mitten im Ort. Wenn abends gefeiert wurde, gab es Beschwerden über zu viel Lärm. Jugendliche mit Autos haben den Anwohnern die Parkplätze weggenommen." Ständig habe es Ärger gegeben.

Also wurde ein anderer Standort gesucht - und gefunden. Etwas außerhalb des Ortskerns. "Wir haben das Verwaltungsgebäude eines insolventen Betriebes gekauft und den Jugendlichen zur Verfügung gestellt", sagt das Stadtoberhaupt. "Und wir haben es selbstständig ausgebaut", ergänzt Melanie Seifert. 14-, 15-Jährige seien genau so dabei gewesen wie 30-Jährige. Niemand habe ihnen reingeredet. Und bis auf das Fliesenlegen sei alles selbst gemacht worden. Die Selbstverwaltung des Klubs durch die älteren Jugendlichen funktioniert noch immer gut. Schwieriger ist es schon, die Betreuung der Jüngeren sicherzustellen, wie Sabrina Lohmann, die Gemeindejugendpflegerin des Kreiskinder- und Jugendrings Wittenberg e. V. für die Einheitsgemeinde Zahna-Elster erzählt. Der 28-Jährigen obliegt die pädagogische Betreuung der sieben Jugendklubs beziehungsweise -treffs in Zahna-Elster. Sie leitet die Klubbetreuer, die täglich vor Ort sind, an. Vermittelt würden letztere in der Regel von der Arbeitsagentur. Doch es sei gar nicht so leicht, da immer jemanden zu finden.

Als der neue Jugendklub entstand, hatte Marc Rotte Elster längst verlassen. Nach dem Abitur, seinem Grundwehrdienst und einer Zimmermannslehre begann er 1998 in Potsdam ein Studium, das er 2003 als Bauingenieur abschloss. Arbeit fand er danach in einer Berliner Firma. Doch dort war 2006 Schluss. Der Chef ging in den Ruhestand. Genau zu dem Zeitpunkt, als Marc Rotte heiratete. Was also tun? Der junge Mann kehrte nach Elster zurück. Nun, der Ehrlichkeit halber muss gesagt werden, dass der Vater des heute 36-Jährigen in Elster Inhaber einer Baufirma ist und seit langem geplant war, dass der Sohn dort eines Tages einsteigt. "Doch das war erst für einen späteren Zeitpunkt geplant", erzählt Marc Rotte. Und so ganz zurück kam er zunächst auch nicht. Vielmehr pendelte er drei Jahre zwischen Potsdam und Elster. Denn da war ja auch noch die Ehefrau, die in Potsdam als Juristin arbeitete. Er wusste zunächst nicht, wo er wirklich hinwollte. Die berufliche Perspektive habe letztlich den Ausschlag gegeben - auch für seine Frau, die heute in einer Anwaltskanzlei in Wittenberg arbeitet. 2009 wurde umgezogen. Derzeit baut die Familie, zu der inzwischen auch zwei Kinder gehören, ein Haus in Elster. "Das hat es endgültig gemacht - wir bleiben hier", unterstreicht er.

Marc Rotte ein Einzelfall? "Nein", sagt der Bürgermeister. "Bei mir klopfen viele junge Familien an, die eine Wohnung oder Bauland suchen." In den 90er Jahren sei am Rand von Elster ein neues Wohngebiet entstanden, das fast vollständig bebaut sei. Danach sei auf einem ehemaligen Betriebsgelände ein innerörtliches Wohngebiet erschlossen worden, in dem fast ausschließlich junge Familien wohnten. "Um ihnen eine Perspektive vor Ort zu geben, haben wir auch die Preise entsprechend gestaltet", betont der Bürgermeister: 18 Euro pro Quadratmeter voll erschlossen - das sei bezahlbar.

Der 52-Jährige engagiert sich für die Jugend - nicht erst, seit er Bürgermeister ist. Er war beispielsweise 21 Jahre lang Jugendübungsleiter im Fußball-Verein. "Ich habe gern mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet", sagt er. Und das habe sich fortgesetzt. Im Ortsteil Elster (Elbe) - wo er vor der Bildung der neuen Stadt bereits acht Jahre ehrenamtlicher Bürgermeister war, hat er viel erreicht. Nicht in allen Ortsteilen der noch jungen Stadt Zahna-Elster, sehe es so gut aus, räumt er ein. "Aber", so fügt er hinzu, "es ist jetzt meine Aufgabe, da für annähernd gleiche Verhältnisse zu sorgen."

Peter Müller weiß, dass er die Abwanderung junger Leute nicht gänzlich stoppen kann. Für ihn steht aber auch fest: "Die jungen Leute sind unsere Zukunft. Wenn wir nichts für sie tun, wenn wir sie links liegen lassen und ihnen keine Perspektive bieten, dann gehen sie noch eher weg." Prognosen hin oder her - er glaubt fest daran, dass viele Jugendliche bleiben oder zurückkommen. Er ist Optimist.