1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. MZ-Interview: MZ-Interview: Adel ist "gelebte Geschichte"

MZ-Interview MZ-Interview: Adel ist "gelebte Geschichte"

04.07.2013, 07:29
Ein prominenter uradeliger Vorfahre von Christine Gräfin von Brühl ist Reichsgraf Heinrich von Brühl, nach dem die berühmten Brühlschen Terrassen in Dresden benannt sind.
Ein prominenter uradeliger Vorfahre von Christine Gräfin von Brühl ist Reichsgraf Heinrich von Brühl, nach dem die berühmten Brühlschen Terrassen in Dresden benannt sind. dpa Lizenz

Halle/MZ - Die Mitteldeutsche Zeitung hat in den vergangenen Wochen Adelsfamilien in Sachsen-Anhalt vorgestellt. Am kommenden Montag wird die letzte Folge erscheinen. Die Serie ist auf ein großes Leser-Echo gestoßen. Dabei gibt es den Adel in Deutschland laut Gesetz gar nicht mehr. Doch die Nachfahren der Jahrhunderte alten Familien leben mitten unter uns. Was ihr heutiges Dasein ausmacht, weiß Christine Gräfin von Brühl - eine Insiderin.

Mit Christine Gräfin von Brühl sprach Margit Boeckh.

Adelshochzeiten im Fernsehen haben Traumeinschaltquoten. Auch unsere MZ-Adelsserie traf auf außergewöhnlich großes Leser-Interesse. Was fasziniert noch immer so am Adligsein?

Gräfin von Brühl: Viele verbinden mit dem Adel den Traum von ewigem Reichtum, schönen Prinzessinnen und dem luxuriösen Leben auf einem Schloss. Das hat wenig zu tun mit der Realität. In meinen Büchern habe ich versucht, das zu beschreiben. Und auch die Serie in der MZ zeigt ja, dass die Adligen heute durchaus in bürgerlichen Berufen ihr Brot verdienen und zusehen müssen, wie sie mit ihren Familien existieren können.

Dabei gibt es den Adel in Deutschland seit 1918 juristisch gar nicht mehr. Wie hat er sich trotzdem weiter erhalten?

Gräfin von Brühl: Der Adel existiert auf der Basis der Gesetzgebung von 1918 als eigens gegründeter Verein. Sämtliche Privilegien und Pflichten sind abgeschafft. Gepflegt werden die alten Traditionen und Umgangsformen. Entsprechend artifiziell und starr wirken die Konventionen bisweilen. Hierzulande können Fitnesstrainer nicht geadelt werden, damit die Königstochter standesgemäß verheiratet werden kann.

Man solle nun endlich die Adelstitel - so wie in Österreich - offiziell abschaffen, hat die Linken-Politikerin Petra Knipping vor einiger Zeit gefordert. Was wäre damit gewonnen?

Gräfin von Brühl: Ich denke, damit wäre nichts gewonnen. Auch in Österreich weiß schließlich jeder, dass Herr Schwarzenberg in Wahrheit ein Fürst ist. Verloren wäre damit mehr: Vielfalt und gelebte Geschichte.

Sie selbst haben den Titel Gräfin von Brühl nach der Heirat mit einem Bürgerlichen beibehalten - warum?

Gräfin von Brühl: Was diese Frage angeht, befinde ich mich tatsächlich in einem Dilemma, denn ich heiße immer noch Gräfin Brühl, bin laut Adelsgesetz aber keine Gräfin mehr. Der Grund für diese Entscheidung war rein pragmatischer Natur: Ich bin freiberufliche Autorin und auf meinem Namen basiert meine Existenz. Das bedeutet nicht, dass man als Gräfin mehr Bücher verkauft, auf diesen Teil meines Namens würde ich aus beruflichen Gründen manchmal gern verzichten. Aber ich hatte vor meiner Heirat jahrelang unter dem Namen Brühl publiziert. Hätte ich ihn aufgegeben, hätte ich wieder von vorn anfangen müssen.

Beziehungsreich heißt Ihr autobiographisches Buch „Out of Adel“ - sind Sie nun „draußen“ aus der exklusiven Kaste?

Gräfin von Brühl: Ich gehöre in der Tat nicht mehr dazu. Die Namen meiner Kinder werden im „Gotha“ nicht aufgeführt. Doch Adel bedeutet weniger Exklusivität als vielmehr Zugehörigkeit zu einer alten Familie. Und was meine adligen Verwandten angeht, fühle ich mich mit meinen Kindern keineswegs ausgeschlossen. Im Gegenteil: Unter den 16 Enkeln meiner Mutter herrscht innigste Verbundenheit.

In Ihrem Buch „Noblesse oblige“ schildern Sie mit einiger Ironie, wie adliges Leben auch funktioniert: Bälle, Jagden, „Adel auf dem Radl“, „gesetzte“ Ehen nach Stand und Konfession. Alles „ganz unter uns“. Das klingt nach einer Art Parallelwelt?

Gräfin von Brühl: Die Gesellschaft dieses Landes setzt sich aus vielen mehr oder weniger offenen sozialen Gruppierungen zusammen, die sich über eigene Regeln oder Kleidercodes definieren. Die Adligen sind eine davon. Als Parallelwelt würde ich sie nicht bezeichnen.

Welche Rolle spielt dabei das nach seinem ursprünglichen Erscheinungsort „Gotha“ genannte Adelslexikon, das seit 1763 erscheinende „Who is Who“ der Kaste?

Gräfin von Brühl: Die Texte im „Gotha“ bestehen zum Großteil aus Abkürzungen und Querverweisen. Doch Adlige beherrschen die Lektüre dieses Nachschlagwerkes und können darin alle Informationen finden, die sie für den korrekten Umgang mit ihresgleichen dringend benötigen: Herkunft, Anrede, Konfessionen, Geburtsdaten und Adressen.

Den „Gotha“ gibt es in verschiedenen Farben. Für regierende Häuser, Hoch- und Uradel bis zu den „kleinen Vönnchen“, wie es in Ihrem Buch heißt. Wie streng sind die Grenzen untereinander?

Gräfin von Brühl: Es geht weniger um Strenge als um Wissen und Bewahren. Wer die Unterschiede zwischen Hoch- oder Uradel kennt, interessiert sich für Historie und Familiengeschichte. Das Bewahren dieser Art von Kenntnissen wurde im Adel schon immer groß geschrieben.

Den Blaublüter-Glamour, den die bunten Blätter widerspiegeln, haben wir in Sachsen-Anhalt so nie getroffen. Gibt es Adel pompös und Adel normal?

Gräfin von Brühl: Mit „Adel pompös“ kenne auch ich mich nicht aus. Eine Cousine hat mir neulich erzählt, dass sie früher zu manchen Festen nicht gehen konnte, weil sie zu wenig Geld für ein neues Kleid hatte. Bei mir ist es ähnlich. Wenn ich beispielsweise zu einem Ball eingeladen werde, der Eintritt kostet, sage ich ab.

Den adligen „Rückkehrern“ in Sachsen-Anhalt gemeinsam ist, dass nicht Reichtum und schneller Erfolg auf sie warteten. Stattdessen Querelen mit der Treuhand und anderen Behörden, Kreditschulden, mühsamer Aufbau maroder Häuser und Güter, auch persönliche Nachteile. Sie kamen dennoch. Was treibt einen dazu?

Gräfin von Brühl: Es ist absolut beeindruckend, wie sich einzelne Mitglieder alter Familien nach der Wende für den Rückerwerb und Wiederaufbau ihrer einstigen Häuser und Güter engagiert haben. Sie setzen damit fort, was die Identität des Adels ausmacht: Erhalt von Traditionen, Familienzusammenhalt und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

Heimat - das war lange nicht nur im deutschen Osten ein negativ besetzter Begriff. Nun zeigen die alten Familien durch ihre Rückkehr ungeachtet schwieriger Bedingungen, wie wichtig Ursprung und Heimatregion sind. Was trägt und bewirkt diese tiefe Gebundenheit?

Gräfin von Brühl: Adlige sehen sich, jeder für sich, als Teil einer Kette, die schon seit Jahrhunderten existiert. Keiner möchte ausgerechnet das Familienmitglied sein, bei dem die Kette reißt. Zugehörigkeit zum Adel bedeutet immer auch Zugehörigkeit zur Geschichte eines Landes und einer bestimmten Region. In diesem Zusammenhang bekommt Heimat eine weitreichende Bedeutung.

Christine Gräfin von Brühl stammt aus dem sächsischen Uradel.
Christine Gräfin von Brühl stammt aus dem sächsischen Uradel.
Thomas Kierok Lizenz