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Mögliches Haus für Flüchtlinge in Halle Mögliches Haus für Flüchtlinge in Halle: "Maritim" ist in die Jahre gekommen

Von Jan-Ole Prasse 05.09.2015, 10:30
Direkt neben dem Maritim stehen drei in die Jahre gekommene Plattenbauten der Halleschen Wohnungsgesellschaft.
Direkt neben dem Maritim stehen drei in die Jahre gekommene Plattenbauten der Halleschen Wohnungsgesellschaft. Silvio Kison Lizenz

Halle (Saale) - Der rote Teppich mit einem kleinen, schwarzen Pünktchenmuster ist in die Jahre gekommen. An einigen Stellen zeigen sich die Trittspuren vieler Gäste. Die Tapete in dem elf Quadratmeter großen Einzelzimmer hat einen gelblichen Farbton mit einer durchgehenden Musterung. Ein Bett, ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Röhrenfernseher und ein Telefon. Das ist die typische Ausstattung eines Einzelzimmers im Maritim-Hotel in Halle - der Charme der frühen 90er Jahre.

In sechs bis acht Wochen könnten in diesen Räumen Flüchtlinge untergebracht werden. Das Hotel ist der Landesregierung als Außenstelle der Zentralen Anlaufstelle (Zast) in Halberstadt angeboten worden. Für bis zu 700 Flüchtlinge bietet das Gebäude Platz. Eine endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen, erst am Dienstag will die Landesregierung darüber beschließen.

Es wäre angesichts der hohen Flüchtlingszahlen in Deutschland eine Lösung, die andere Bundesländern ebenfalls anstreben. Auch Brandenburg mietet Hotels für Asylbewerber an. Doch warum geht das Maritim in Halle - immerhin ein Vier-Sterne-Haus - diesen Schritt?

Wenig Charme

Das liegt möglicherweise an dem Sanierungsstau im Haus. Die 298?Zimmer des 1966 eröffneten ehemaligen Interhotels sind nach Auskunft seines früheren Chefs Bertram Thieme letztmalig Anfang der 90er Jahre umfassend hergerichtet worden. Das ist im Maritim durchaus zu spüren. Auf den Gängen liegen schwere Teppiche im Orientstil, die Wandlampen versprühen wenig Charme. Anders sieht es nur im Erdgeschoss aus, das bis Mitte der 90er Jahre für 70 Millionen Mark umgebaut wurde. Dort finden sich moderne Restaurants, die Hotelbar, die Veranstaltungssäle und der Sauna- und Schwimmbadbereich.

Zudem hat das Maritim ein bauliches Problem: Von den 298 Zimmern sind 202 Einzelzimmer. Daran lässt sich wegen der Statik laut Thieme auch nichts verändern. Für Touristen und Ehepaare ein eher unattraktives Angebot. Die meisten modernen Hotels haben die Einzelzimmer beinahe komplett abgeschafft, vermieten nur noch Doppelzimmer. Das macht die Auslastung im Maritim bei normalen Zimmerpreisen zwischen 50 und 80 Euro schwierig. Laut Branchenexperten setzt das Haus deshalb seit längerem auf billigere Zimmer für Busreisen, Seminarveranstaltungen und Weiterbildungen. Mit Erfolg: Die Auslastung stieg in diesem Jahr immerhin auf 60 Prozent.

Eine Zast mitten in Halle

Das Maritim selbst will sich zur Unterbringung von Flüchtlingen nicht äußern. „Wir warten jetzt die laufenden Gespräche mit der Landesregierung ab. Erst danach werden wir uns äußern“, sagte die Unternehmenssprecherin Harriet Eversmeyer auf MZ-Anfrage. Keine Auskunft dazu, ob mit einer Entscheidung für die Flüchtlingsunterbringung der Hotelstandort in Halle dauerhaft aufgegeben wird. Auch nicht zu den möglichen Einnahmen aus der Unterbringung oder zur Weiterbeschäftigung der 70 Mitarbeiter. „Ich glaube nicht, dass das Maritim anschließend wieder zum Normalbetrieb zurückkehren kann“, sagt ein Branchenexperte der MZ. Die Landesregierung will vor Dienstag ebenfalls keinen Kommentar zu dem Thema mehr abgeben, nachdem Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) das Hotel am Donnerstag öffentlich als Standort ins Gespräch gebracht hatte.

Dabei wäre die Unterbringung von so vielen Flüchtlingen mitten in Halle ein Novum. Rund um das Maritim erstreckt sich die südliche Innenstadt, zum Marktplatz sind es nur zehn Minuten zu Fuß. Der Stadtteil ist geprägt von einem Gründerzeitviertel, alten DDR-Plattenbauten und modernen Neubauten. Auffällig ist das Nebeneinander von Aufbruch und Verfall. In der Straße hinter dem Maritim entsteht gerade eines der größten Wohnprojekte in Halle. Die Wohnungsgenossenschaft Freiheit baut bis zum August des kommenden Jahres zehn Mehrfamilienhäuser mit 114 Zwei- bis Vierraumwohnungen samt Tiefgarage und Begegnungsstätte. In der unmittelbaren Umgebung stehen schon mehrere solcher Wohnprojekte.

Hoffnung auf den Aufbruch

Doch neben dem Maritim sieht es anders aus. Direkt an das Hotel angrenzend stehen drei Hochhäuser der Halleschen Wohnungsgesellschaft - jeweils mit zehn Stockwerken. Der Putz bröckelt hier von der Wand, die Farbe an den Balkonen platzt ab. Im Gründerzeitviertel wechseln sich dagegen sanierte Häusern und Ruinen ab. Der Sanierungsboom in Halle der vergangenen Jahre hat dieses Viertel bisher nicht in Gänze erfasst. Doch die Hoffnung besteht, dass infolge der steigenden Mieten in der Innenstadt eine solche Entwicklung einsetzt. Nun existieren Ängste, dass dieser Trend mit der Ansiedlung von 700 Asylbewerbern gestoppt werden könnte. Und wie sich so viele Menschen, die in einem Hotel wohnen, den Tag über beschäftigen. Denn in der Nähe sind bis auf eine Grünfläche direkt hinter dem Maritim wenig Freizeitmöglichkeiten. „Ich hoffe nicht, dass sich der Charakter des Viertels dadurch verändert“, sagt eine Anwohnerin.

Die Gefahr sieht der Soziologe Reinhold Sackmann nicht. „Es gibt in Halle schon mehrere Flüchtlingsunterkünfte in der Innenstadt. Die Erfahrungen damit sind gut, es gibt keinerlei Probleme“, sagt der Professor an der Uni Halle. Im Gegenteil: Die Innenstadt böte deutlich mehr Chancen für die Integration und die Akzeptanz als Heime am Stadtrand. „Die Kontaktaufnahme ist hier einfacher“, sagt Sackmann. Zumal das Viertel Erfahrungen mit Asylbewerbern hat. Direkt am Bahnhof, nur zwei Straßen entfernt vom Maritim, sind schon jetzt von der Stadt rund 150?Flüchtlinge untergebracht. ? (cra)

So sieht derzeit ein Standard-Einzelzimmer im Maritim aus.
So sieht derzeit ein Standard-Einzelzimmer im Maritim aus.
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Im angrenzenden Gründerzeitviertel besteht die Hoffnung auf eine umfassende Sanierung infolge der steigenden Mieten in der Innenstadt.
Im angrenzenden Gründerzeitviertel besteht die Hoffnung auf eine umfassende Sanierung infolge der steigenden Mieten in der Innenstadt.
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