Leipziger Violinist Stefan Arzberger Leipziger Violinist Stefan Arzberger: Musik für Geiger in Not

Leipzig - Sie werden Balladen von Chopin spielen und Mozarts kleine Nachtmusik, sie werden Songs des englischen Komponisten Ralph Vaughan Williams aufführen. Vier Stunden lang wird es am Freitagabend im Gohliser Schlösschen in Leipzig einen Konzertmarathon geben für einen Mann, der nach einem bizarr anmutenden Vorfall seit drei Monaten in New York festsitzt: der Geiger Stefan Arzberger vom weltweit renommierten Leipziger Streichquartett.
Die Einnahmen des unter dem Titel „Leipziger Musiker für Stefan Arzberger“ stehenden Abends sollen seiner Verteidigung vor einem US-Gericht zugute kommen. „Viel wertvoller für Stefan ist aber das Zeichen, das man setzt“, sagt Pianist David Meyer, Mitorganisator des Konzertmarathons und ehemaliger Kommilitone des Violinisten.
Vorwurf der Staatsanwaltschaft
Was am 27. März auf der Tournee des Streichquartetts in New York genau passierte, ist unklar. Die Staatsanwaltschaft wirft Arzberger vor, in seinem Hotel unbekleidet in das Zimmer einer 64-jährigen Touristin gestürmt zu sein und sie gewürgt zu haben. Der 42-Jährige wurde von der Polizei festgenommen, nach 30 Stunden gegen eine Kaution von 100.000 Dollar auf freien Fuß gesetzt. New York darf er seitdem allerdings nicht verlassen. Heute soll es vor Gericht die nächste Anhörung in dem Fall geben. „Bis dahin muss ich hier verweilen - ohne Pass, Arbeits- und Reisemöglichkeit“, schrieb Arzberger nach der ersten Anhörung vor Gericht im Mai auf seiner Facebook-Seite. Ob und wann es zu einem regulären Prozess kommt, ist noch völlig unklar, heißt es.
Selbst Opfer einer Straftat?
Für Freunde, Kollegen und die Anwälte des Violinisten gibt es nur eine Erklärung für den Vorfall: Arzberger sei selbst „Opfer einer schweren Straftat“ geworden, schrieben die Mitglieder des Streichquartetts schon wenige Tage später via Facebook. „Offensichtlich ist er unter Drogen gesetzt worden. Ich bin davon überzeugt, dass er das weder wissentlich noch willentlich getan hat“, heißt es jetzt auch in seinem Leipziger Umfeld. Dass er selbst Drogen nehme, die einen Aussetzer wie den bizarren Angriff auf eine wildfremde Frau erklären könnten, wird in seinen Kreisen ausgeschlossen. Arzberger wurde in Medien mit den Worten zitiert, es tue im leid, was er jener Frau angetan haben soll. „Ich kann nur sagen, dass ich keinerlei Erinnerungen an den Hergang habe.“
Der verheiratete Musiker soll am Abend vor dem nächsten Konzert in der Stadt essen gewesen sein, dann noch ein Bier in der Hotelbar getrunken haben - danach soll nach seinen Angaben der Filmriss einsetzen. Ein Drogentest sei von der amerikanischen Justiz zunächst abgelehnt worden, habe viel später einen Wert im Grenzbereich ergeben, heißt es. Arzbergers Anwälte haben nun selbst eine Haaranalyse in Auftrag gegeben, um die Drogentheorie untermauern und das Mittel identifizieren zu können.
Auf der nächsten Seite lesen Sie unter anderem, wie ein Spendenaufruf im Internet bisher mehr als 25.000 Euro für die Verteidigung des Musikers eingebracht hat.
Medienberichten zufolge wurde der Musiker in jener Nacht von einer Prostituierten ausgeraubt, Videoaufnahmen würden zeigen, wie die Transvestiten-Prostituierte mit ins Zimmer geht und es später mit seinem iPad unter dem Arm verlässt. Dass Kreditkarten des Geigers anschließend widerrechtlich genutzt wurden, sei belegt, heißt es. Dass er selbst eine Prostituierte engagiert haben könnte, wird in seinem Umfeld aber ausgeschlossen. Arzberger, posteten seine Kollegen im Netz, habe das nie nötig gehabt. Er sei allerdings, so beschreiben ihn einige, ein Mensch, der offen auf andere zugeht, mit ihnen ins Gespräch kommt.
Spendenaufruf für Verteidigung
Das Quartett ist mittlerweile mit einem Ersatzmann auf der Position der ersten Violine auf Tournee - derzeit in Südamerika. Anträge von Arzbergers Anwälten, ihm selbst die Reisen zu gestatten, wurden zweimal abgelehnt. Für seine Verteidigung - eine erste Rechnung soll sich auf 60.000 Euro belaufen - setzte unterdessen eine Welle der Solidarität ein. Arzbergers Anwälten wurden nicht nur Reputations-Schreiben übergeben - unter anderem von Kollegen und vom ehemaligen Gewandhaus-Kapellmeister Kurt Masur. Einem Spendenaufruf im Internet folgten ebenfalls viele Musiker, über Deutschland hinaus. Bisher sind so mehr als 25.000 Euro zusammengekommen. Bereits die Kaution hatten Familie und Freunde für ihn hinterlegt.
Selbst ein Quartettmitglied in der Liga Arzbergers könne die Justiz-Kosten mit seinem Einkommen nicht eben so stemmen, sagt Ex-Kommilitone Meyer. Auch nicht, heißt es im Umfeld des Musikers, mit dem angeblich geplanten Verkauf seiner Geige. Die sei - wie bei Musikern nicht unüblich - gestiftet, könne nicht verkauft werden.
Unterstützung ist Frage des Mitgefühls
Meyer, der Leipziger Pianist, ist dem Spendenaufruf gefolgt. „Ich hatte aber das Gefühl: Irgendwie müsste mehr passieren.“ Die Vorwürfe gegen Arzberger seien für ihn abseitig, angesichts eines derart disziplinierten Musikerlebens, die Unterstützung eine Frage von Mitgefühl und Kollegialität. Nicht nur für ihn: Das zunächst geplante Solo-Konzert sei bald zum Marathon von drei Konzerten gewachsen, an dem sich auch acht Musiker des Leipziger Gewandhausorchesters beteiligen, dessen Mitglied Arzberger bis 2008 war. „Meine Hoffnung ist, dass das nur der Beginn ist“, so Meyer.
Arzberger kommt unterdessen in New York abwechselnd bei Freunden oder ehemaligen Kollegen unter. In der deutschen Gemeinde hat er zwischenzeitlich im Gottesdienst Geige gespielt. Für das Konzert im Gohliser Schlösschen hat er sich via Facebook bedankt - und eine Bitte geäußert: „Lasst es nicht wie eine Beerdigung aussehen.“ (mz)