Ausstellung in Leipzig Zeitgeschichtliches Forum in Leipzig: Das hat "Mein Verein" mit Loriots "Ödipussi" zu tun

Leipzig - Wie lassen sich die Themen „Frau“ und „Umwelt“ so mit dem „Karnevalsgedanken“ verknüpfen, das alle drei Punkte im Vereinsnamen möglichst gleichberechtigt zum Tragen kommen? Das ist die Frage bei einer Vorstandssitzung in der Filmkomödie „Ödipussi“ (1988) von und mit Loriot.
Die humoristische Sequenz steht am Beginn der Ausstellung „Mein Verein“, die im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zu sehen ist und über Geschichte und Gegenwart des Vereinswesens informiert. Der Vorstand im Film kommt, wie sich bei einem Loriot-Sketch denken lässt, zu keinem Ergebnis. Wohl aber die Schau, die mit rund 300 Exponaten und mehr als 20 Medienstationen das Phänomen „Verein“ vorstellt.
Jeder Zweite in einem Verein
Allein schon die Statistik zeigt, warum das Thema ausstellungswürdig ist: Über 600 000 Vereine gibt es in Deutschland und fast die Hälfte der Deutschen (44 Prozent) sind Mitglied in mindestens einem Verein. „Aber der Eindruck, dass das von seinen Verächtern oft ,Vereinsmeierei‘ genannte Vereinswesen hierzulande besonders ausgeprägt sei, täuscht“, sagt Jürgen Reiche, der Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums. „Gemessen an der Zahl von Vereinen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung nimmt Deutschland in Europa allenfalls einen Platz im Mittelfeld ein.“
Dennoch kam der in der Schau zitierte Soziologe Max Weber bereits im Jahr 1910 zu dem Schluss: „Der heutige Mensch ist ja unzweifelhaft neben vielem anderen ein Vereinsmensch.“ Und der kann zu jedem Thema einen Verein finden: Allein in Leipzig sind das heute 3 200. „Vereine sind der Kitt unserer Gesellschaft und auch eine Schule der Demokratie“, sagt Jürgen Reiche. Und da sei es gleich, ob diese Vereine nun Geselligkeit, Tradition und Heimatverbundenheit pflegen oder, wie etwa Fördervereine, projektbezogene Aufgaben übernehmen, die, kulturell oder sozial, der Gemeinschaft dienen.
Für alle Bereiche werden in der Ausstellung, die in verwinkelt angelegte Themenräume unterteilt ist, Beispiele präsentiert. Am Anfang stehen zwei frühe Formen deutschen Vereinswesens: die Schützen- und Karnevalsgesellschaften. Stellvertretend für die 400 Karnevalsvereine hat sich Projektleiterin Angela Stirken auf die „Kölsche Funke rut-wieß vun 1823“ konzentriert, die zu den ältesten ihrer Art gehört. Der Schellenbaum der Kölner Rot-Weißen zählt hier zu den zentralen Ausstellungsstücken. Wie im Nationalsozialismus auch, so gab es auch in der DDR, der zweiten deutschen Diktatur des 20. Jahrhunderts, kein Vereinswesen. Mit einer Ausnahme: Hobbygärtner und -tierzüchter konnten sich ab 1952 im „Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter“ (VKSK) der DDR organisieren. Das war umso wichtiger, da seit den 1970er Jahren die VKSK-Mitglieder zwischen Arkona und Zwickau einen entscheidenden Beitrag zur Versorgung der DDR-Bevölkerung mit frischem Obst und Gemüse leisteten.
Zwei Länder, aber ein Bach
Die deutsch-deutsche Teilung kappte zahllose gesellschaftliche und private Verbindungen. Aber ein Verein widerstand dem Mauerbau und seinen Folgen: die 1900 gegründete Neue Bachgesellschaft, die nach 1961 sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR existierte, also ein gesamtdeutscher Verein blieb und ab 1989 wieder offiziell sein konnte. „Möge uns Bach helfen, zur deutschen Einheit zu gelangen“, sagte 1950 der Komponist Ernst Hermann Meyer, der nicht ahnen konnte, dass von der Bachstadt 39 Jahre später jene friedliche Revolution ausgehen würde, die 1990 die Einheit brachte.
Von da an war es auch wieder möglich, in Ostdeutschland Vereine zu gründen. Einer der ersten war, wie hier ebenfalls zu erfahren, die Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden. Das Wunder geschah: Das barocke Gotteshaus erstand wieder und ist seither ein Magnet für Besucher aus aller Welt. Deshalb konnte der Förderverein zufrieden sein und sich 2009 getrost auflösen. Dennoch gehören Fördervereine zu den zahlenmäßig am stärksten wachsenden Vereinen im Land.
Hilfe für Bedürftige
Eine Grundfeste unserer Gesellschaft bilden ehrenamtliche Hilfsvereine. Für diese steht etwa die „Tafel“, die heute an 900 Standorten in Deutschland (1993 waren es vier) Lebensmittel an Bedürftige verteilt. Das ist nur durch das Engagement von rund 60 000 Helfern möglich. Sie machen die „Tafel“ gleichzeitig zu einer der größten sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik.
Immer wieder sei zu hören, dass sich die Vereinskultur in der Krise befinde, das Vereinswesen im Niedergang begriffen sei.
„Im Gegenteil“, meint Forumsdirektor Reiche. „Das politische Gewicht von Bürgerinitiativen nimmt in der ganzen Bundesrepublik zu, und die sind ja meist Vereine.“ Auch der demografische Aspekt spreche dafür, dass sich das Vereinswesen behaupten werde: „In unserer Gesellschaft, die von Vereinzelung gekennzeichnet ist, werden Vereine immer Zulauf haben.“ Reiche geht hier mit gutem Beispiel voran: „Ich selbst bin stellvertretender Vorsitzender in zwei Vereinen.“
››„Mein Verein“: bis zum 25. August im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, Grimmaische Straße 6, Di-Fr 9-18 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr, Eintritt frei
(mz)