"Verpisst euch aus Connewitz!" "Verpisst euch aus Connewitz!": Wie gewalttätige Linksextremisten Leipzig terrorisieren

Leipzig - Schaufel um Schaufel hebt der Bagger die Baugrube aus, kippt die Erde auf einen Haufen, von dort später in einen Lastwagen. Leipzig, Wolfgang-Heinze-Straße im Süden der Stadt, im linksalternativen Viertel Connewitz. Wo jetzt noch eine Grube ausgebaggert wird, soll in zwei Jahren das „Südcarré“ stehen. 40 Eigentumswohnungen in drei Häusern.
Für die einen ist das Bauprojekt, dem ein urbaner Garten und der Freisitz eines Lokals weichen mussten, eine weitere Antwort auf die wachsende Nachfrage nach Wohnungen in einer Stadt, die mittlerweile die 600 000-Einwohner-Marke überschritten hat. Für die anderen ist es schon jetzt ein Hassobjekt.
Sonntag, 3. November. Kurz nach 19 Uhr klingelt es an der Wohnungstür von Claudia P. im Norden der Stadt. Als die 34-Jährige öffnet, stehen ihr zwei vermummte Männer gegenüber. Sie drängen sie in die Wohnung und schlagen ihr mehrmals mit Fäusten ins Gesicht. Dann verschwinden sie. Claudia P. muss ambulant behandelt werden. Sie arbeitet als Prokuristin für „Wassermühle Immobilien“, die Firma hinter dem Connewitzer „Südcarré“-Projekt.
Wenige Stunden später erscheint im linken Online-Portal „Indymedia“ ein Bekennerschreiben: Die Verfasser nennen sich „Kiezmiliz“, sie sprechen zynisch von einem „Hausbesuch“ und erklären (Schreibweise im Original): „Wir haben uns ... entschieden, die Verantwortliche für den Bau eines problematischen Projekts im Leipziger Süden da zu treffen wo es ihr auch wirklich weh tut: in ihrem Gesicht.“ Ausdrücklich wird in dem Text Bezug auf die Firma genommen, bei der P. arbeitet.
Der Angriff auf die wehrlose Frau beendet vorläufig eine Serie von Anschlägen auf Immobilienfirmen in Leipzig. In der Nacht zum 3. Oktober zünden Unbekannte drei Baukräne und einen Bagger auf einer Baustelle östlich der Innenstadt an. Wenige Tage später brennen auf zwei weiteren Baustellen drei Maschinen. Zum Teil bekennen sich Linksextremisten zu den Attacken. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) spricht im Stadtrat von „terroristischen Anfängen“. Der Freistaat Sachsen richtet eine Sonderkommission Linksextremismus ein, die „Soko Linx“. Für Hinweise, die zur Ermittlung der Täter führen, setzt das Landeskriminalamt 100 000 Euro Belohnung aus, so viel wie noch nie.
Was ist da los in Leipzig?
Die Stadt gilt als Zentrum der Linksautonomen im Osten, die Sicherheitsbehörden sprechen von 250 gewaltbereiten Akteuren. Polizeistationen, Banken, die Staatsanwaltschaft, das US-Generalkonsulat oder Autos der Bundeswehr sind seit Jahren immer wieder Ziel gewalttätiger Angriffe. Allein 2015 werden zwischen Januar und August fünf Attacken bekannt, danach setzt die Serie sich unregelmäßig fort. Und jetzt wieder eine Häufung - mehrere Anschläge binnen weniger Wochen, darunter der gezielte Überfall auf einen Menschen. Das ist neu.
Eckhard Jesse hat sein Berufsleben dem Extremismus gewidmet, dem von rechts wie dem von links. Mittlerweile ist der renommierte Chemnitzer Politikwissenschaftler emeritiert, doch aufmerksam ist er weiterhin. Er sagt: Die Anschläge hätten sich in letzter Zeit auch deswegen massiv gehäuft, weil die Behörden verstärkt gegen die gewalttätige linksextreme Szene vorgingen. Druck, so sieht Jesse es, erzeugt Gegendruck.
Connewitz gilt als linke Hochburg in Leipzig. Nach einer Analyse des Verfassungsschutzes sehen Autonome das Viertel als „Freiraum“ auf dem Weg zu einer „herrschaftsfreien“ Gesellschaft. Oder anders ausgedrückt: Sie betrachten einen Stadtteil mit 19 000 Einwohnern als ihr Eigentum. Wer verstehen will, warum das so ist, muss 30 Jahre zurückblicken.
Connewitz ist ein Mythos, gespeist aus den wilden Wendetagen. In den 1980er Jahren liegen Pläne für einen großflächigen Abriss in der Schublade. Schon damals werden leere Wohnungen besetzt, nach der Wende ganze Häuser. Auf den Montagsdemos schlägt Anfang 1990 das Pendel immer mehr in Richtung Wiedervereinigung aus. Viele, denen das missfällt, sammeln sich damals in Connewitz. Dort wächst ein Biotop der Alternativen, der Unangepassten, der Künstler. Kulturprojekte blühen aus Ruinen, viele gibt es auch heute noch. Die letzten besetzten Häuser werden Mitte der 1990er Jahre legalisiert. Doch der Ruf bleibt: Wer irgendwie links oder alternativ ist oder sich dafür hält, den zieht es nach Connewitz.
Aber auch dort geht mittlerweile Angst vor Verdrängung um. So sagt es Juliane Nagel, örtliche Landtagsabgeordnete der Linken, die gerade zum zweiten Mal in Folge ihren Wahlkreis direkt gewonnen hat. Sie berichtet von mehreren Bauprojekten im Viertel mit 600 bis 700 Wohnungen. „Es gibt die Angst“, sagt Nagel, „dass infolge der Aufwertung durch die Neubauten auch die Bestandsmieten steigen.“ Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Die durchschnittliche Nettokaltmiete in Leipzig ist seit 2013 um mehr als zehn Prozent gestiegen, auf zuletzt 5,62 Euro. Tendenz: weiter steigend. In Neubauten werden auch schon mal zwölf Euro verlangt. Dieser Entwicklung mit Gewalt zu begegnen, das kommt selbst in der linken Szene nicht überall gut an: „Geht’s noch widerwärtiger, feiger und dreckiger?“, schreibt ein Kommentator unter dem Bekennerschreiben zum Angriff auf Claudia P. Ein anderer postet: „Was für halbstarke Idioten. Das hat nichts mehr mit Protest zu tun.“
Sachsen macht derweil mobil gegen gewaltbereiten Linksextremismus. Für die „Soko Linx“ wird das Personal einer Ermittlergruppe von zehn auf 20 verdoppelt. Die Fahnder sollen sich enger als bisher mit der Staatsanwaltschaft abstimmen und auch räumlich zusammenrücken. Innenminister Roland Wöller und Justizminister Sebastian Gemkow (beide CDU) hatten das Konzept eigens auf einer Pressekonferenz in Dresden verkündet. Bei Kritikern wie Juliane Nagel löst das Stirnrunzeln aus. Die Linken-Abgeordnete spricht von einem Wahlkampfmanöver. Tatsächlich will Gemkow im kommenden Februar Oberbürgermeister in Leipzig werden, seine Partei hat ihn als Kandidaten nominiert.
Claudia P. gehe es derweil körperlich wieder gut, sagt Bruno Gerber, Geschäftsführer der „Wassermühle Immobilien“. Sie arbeite aber noch nicht wieder. Gerber zeigt sich gesprächsbereit mit Kritikern seiner Bauprojekte, sagt aber auch: „Gewalt war nie die Lösung eines Problems und wird es nie werden.“
Die unbekannten Angreifer dürfte das kalt lassen. In ihrem Bekennerschreiben drohen sie unverhohlen weitere Attacken an: „Das einzige auf das Kapitalanleger und Eigennutzer des Südcarres treffen werden, sind kaputte Scheiben, brennende Autos und kaputte Nasen. Verpisst euch aus Connewitz!“ (mz)