"Die Toten Hosen" live Die Toten Hosen live in der Arena: S0 war das Konzert in Leipzig

Leipzig - Der Einstieg ist episch. Und dreckig. Draußen herrscht am Freitagabend vor der pickepackevollen Arena Leipzig schlammiges Fritz-Walter-Wetter.
Drinnen schwappen die Hohoho-Chöre durch ein Fahnenmeer: Ein Totenkopf hier, ein „Fuck AfD“ dort. „Jetzt erst recht – Menschenrechte verteidigen“ flattert von der Videoleinwand, Die Toten Hosen unterstützen den Verein „Pro Asyl“ und die Initiative „Kein Bock auf Nazis“.
Die Toten Hosen in Leipzig - „Kein Bock auf Nazis“
Dann zieht dieser gerupfte und knochige Bundesadler, dieses typische Symbol, von unten nach oben auf, die Flagge ist gespannt wie ein breites Segel, das den Sturm des Abends zum wildem Ritt ausnutzt.
Hohoho. Inmitten rauer See gibt es nur eine Familienlosung: „Bis zum bitteren Ende“. Auf der Leinwand brettern Andreas „Campino“ Frege, Andreas „Kuddel“ von Holst, Michael „Breiti“ Breitkopf, Andreas „Andi“ Meurer und Stephen George Ritchie im dicken Schlitten über dunkle Straßen. Verfolgt von Polizeisirenen heißt das Ziel Leipzig.
He, Ho – Let's go. Noch bevor die Band die Bühne betritt, noch bevor all die Gitarren- und Schlagzeuggewitter niederprasseln, rasen erste Euphorie- und Gänsehautwellen bis in die Zehenspitzen. Momente zum Einrahmen.
Die Fahnen wehen, die Hände sind überall oben. Es ist, als würde gleich der Messias heraufziehen. Zumindest müsste mit dieser erdig-rappeligen Energie jeder David jeden Goliath schlagen, Fritz-Walter-Wetter eben.
Die Toten Hosen in Leipzig: Campinos Spiel mit dem Mikrofonständer
Es eröffnet der Song „Urknall“ vom neuen Album „Laune der Natur“ (Hier bei Amazon bestellen). Mitten in der Mehrzweckhalle knallt es dem hüpfenden Publikum entgegen: „Wir wollen zurück auf den Bolzplatz!“ Campinos obsessives Spiel mit dem Mikrofonständer beginnt, ein Bein nach vorn, ab in die Knie, Auge in Auge mit den Fans.
Überleben heißt Kämpfen, es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, wie wir durchsetzen. Der drahtige Campino rennt querfeldein. Es bewegt sich nur so viel, wie wir bewegen. Die im Rotlicht vibrierenden Massen, die regelmäßig ihre auf Händen getragenen Mitstreiter vorn an der Bühne abliefern, bekommen den großen Hosen-Kick pralle zweieinhalb Stunden lang.
Die Toten Hosen auf rotziger Zeitreise
Da gibt es die rotzige Zeitreise zum zentralen Organ des Stoffwechsels: „Korn, Bier, Schnaps und Wein. / Und wir hören unsere Leben schreien“.
Als das Debütalbum „Opel-Gang“ 1983 das Licht der Welt entdeckte, waren viele der nun ekstatisch Tobenden noch nicht einmal gezeugt. Hohoho. Campino gibt Spartipps an die gescheiterte Jamaika-Adresse: „Die sollen nicht ihre Egoshow in den Vordergrund stellen, Neuwahlen macht es nicht besser. Die sollen die Scheiße einfach machen, ohne Millionen rauszupulvern.“
Campino mit politischen Statements
Derweil kracht in die Ohren der Weggefährten der Soundtrack ihres Lebens: „Wort zum Sonntag“, „Hier kommt Alex“, „Wünsch dir was“, „Eisgekühlter Bommerlunder“, „Bonnie & Clyde“. Mittendrin sind die Hits von heute: „Laune der Natur“, „Die Schöne und das Biest“, „Tage wie diese“, „Wannsee“.
Auf dem neuen Album finden sich Querverweise, eine Hommage an die Fehlfarben, an Reinhard Mey und an Die Ärzte. Die Toten Hosen begreifen ihre Platten als Tagebücher, da muss die zugreifende Vergänglichkeit thematisiert werden.
Der langjährige Manager Jochen Hülder ist 2015, Schlagzeuger Wolfgang „Wölli“ Rohde 2016 gestorben. Also gönnt man sich auch ruhige Nummern, plötzlich stehen Geiger und eine Pianistin im Rampenlicht.
Campino kommentiert dies mit einem Bekenntnis zu den Punk-Ursprüngen der Band: „Wer hätte gedacht, dass wir mal echte Musiker auf der Bühne haben.“
Die feine Klinge der Ironie prägt auch „Alles wird gut“ aus dem Jahre 1990, Campino erklärend: „Das war unser Statement zur Kohls blühenden Landschaften.“ Im Song wird vom einem Reich, in dem Milch und Honig fließt, gesungen. Hohoho.
Während die vorderen Reihen von der Bühne mit Dosenbier versorgt werden, marschiert mit „Sascha … ein aufrechter Deutscher“ der nächste Klassiker aus den frühen 90er Jahren ein.
Am Ende, Campino längst im Unterhemd, wackeln alle Publikumsfäuste in der Luft, die Arena ist längst zur Rappel- und Zappelbude geworden, mit den vorderen Reihen wird abgeklascht.
Familiäres weht durch den rot-weißen Konfettiregen, so macht man das also in Düsseldorf. Ein „You never walk alone“ geleitet hymnisch in die Nacht. „Wir können keine Tränen sehn / Schönen Gruß und auf Wiedersehn!“ (mz)