Der letzte Minol-Pirol Der letzte Minol-Pirol : Peter Karrows Tankstelle hat als einzige die DDR überlebt

Leipzig - In der Lützner Straße 7a im Leipziger Stadtteil Lindenau befindet sich das letzte echte Zeugnis der DDR-Tankkultur. Früher gab es im Osten etwa 1300 Minol-Tankstellen, bis 2013 nur noch eine. Die von Peter Karrow.
Der heute 61-Jährige blickt aus den schmalen Fenstern seines Büros über dem Verkaufsraum hinunter auf seine vier Tanksäulen. Eigentlich war hier mal ein Lagerraum, doch Peter Karrow fand es übertrieben, extra für sein Büro das Nebengebäude zu beheizen. Also zog er einfach über den Verkaufsraum.
Der Minoler von heute sieht modern aus
Er trägt zum grauen Vollbart eine runde Brille, Silberkette, hellgraues Poloshirt und eine Jeans mit extra abgenutzten Stellen. Modern sieht er aus, der Minoler von heute.
Noch bis vor zehn Jahren gehörte ein alter Minol-Overall zur Arbeitsbekleidung von Peter Karrow. Drei der alten Einteiler hatte er über Jahre aufgehoben. Mittlerweile sind diese verschlissen. „Und ob ich noch reinpasse, müsste ich auch erstmal testen.“ Wegwerfen will er sie allerdings nicht. Wie so viele andere Dinge aus der guten alten Minol-Zeit.
Karrow hat alles aufgehoben, was er zu fassen bekommen hat und weitere Stücke im Internet ersteigert. Im Verkaufsraum der kleinen Tankstelle erzählt ein Regal von früher. Über der Kaffeemaschine und dem Bockwurst-Warmhalter verkauft Karrow originale Plastikfiguren des Minol-Pirol, Streichhölzer, Kartenspiele oder alte Minol-Namensschilder.
Minol-Erinnerungen gibt es heute nicht mal mehr online
Das alles gebe es mittlerweile nicht mal mehr im Internet. „Ich habe viele Stammkunden, bei denen die Nostalgie mitschwingt, wenn sie hier tanken“, sagt Karrow. Aber auch andere Kunden kaufen gern Minol-Souvenirs, wenn sie zufällig entdecken, dass die Minol hier noch lebt.
Für sie ist die Marke ein Teil ihres Lebens, lebendige Erinnerung. Bei wohl niemandem aber ist der Teil des Lebens, den Minol eingenommen hat, so groß wie bei Peter Karrow.
1973 hat er die Schule beendet, nach einer Lehre als Maschinenbauer, in der er für das Unternehmen Kirow Eisenbahnkräne baute, hat er beim Metallleichtbaukombinat gearbeitet und zum Beispiel Stahlkonstruktionen für Fenster hergestellt. Dort war sein Vater Haupttechnologe. Eigentlich sollte Peter Karrow in dessen Fußstapfen treten. Doch er hatte andere Pläne.
Peter Karrow wollte immer etwas mit Autos machen
„Ich habe mich immer schon für Autos interessiert und wollte mit Menschen zu tun haben“, erzählt er. Als ein Freund ihm erzählte, dass dessen Bruder und Schwägerin die Ausreise genehmigt bekommen hatten und damit deren Jobs bei Minol frei wurden, ergriff er die Chance und bewarb sich.
Schon damals kannte jeder den Spruch: „Stets dienstbereit zu Ihrem Wohl ist immer Ihr Minol-Pirol“, der in den Tausend Tele Tips im DDR-Fernsehen regelmäßig über TV-Bildschirme flimmerte.
Nach einem Kurzlehrgang als Tankwart konnte Karrow anfangen, arbeitete an vier Tankstellen in Leipzig und schließlich als Tankstellenleiter in Wiederitzsch. Dann kam die Wende.
1992 wurde Minol im Zuge der Privatisierung der DDR-Wirtschaft von Elf Aquitaine übernommen. Peter Karrow wurde gefragt, ob er nicht die Tanke an der Lützner Straße übernehmen wolle. Er wollte. Nach einem Pächterlehrgang war er bereit dafür. „Seit dem 1. Juli 1993 bin ich Pächter der Tankstelle Lützner Straße 7a“, erinnert er sich genau.
Seine Minol war die erste im neuen Design
Er leitete damals die erste Minol im neuen Design. Das musste geändert werden, denn nach der Wende waren die Farben Gelb und Rot von Shell besetzt. Minol kam nun in Lila, Gelb und Pink daher.
Als die Tankstellen Ende der 90er auf Elf umgestellt wurden, kam Karrows Minol spät an die Reihe. Über seinen Tanksäulen prangte nur für wenige Jahre das Elf-Logo. 2003 belebte Total die Marke mit drei Tankstellen wieder und fragte auch Peter Karrow, ob er wieder Minol sein wollte.
Während die anderen wiedereröffneten Tankstellen in Chemnitz und Berlin schnell wieder schlossen, lief allein Peter Karrows Minol-Tempel so gut wie eh und je. Auch wenn 2013 wieder drei völlig neue Minol-Tankstellen eröffnet wurden, bleibt Karrows Minol die einzige, die die DDR überlebt hat, die schon seit den 50er Jahren, als das kleine Gebäude gebaut wurde, fast ununterbrochen eine Minol war.
Verändert habe sich vieles seit damals, erzählt er. Einiges aber auch nicht. Oft stünden die Leute auch heute noch bis draußen, verkündet Karrow stolz. Stammkunden habe er viele. Einige kommen extra wegen des Namens, die meisten aber, weil seine Tankstelle im Umfeld einfach die günstigste sei. Das checken die Kunden heute oft vorher auf dem Smartphone.
Größte Veränderung zu früher: Die Preisänderungen
Über 20 Mal am Tag ändern sich heute die Benzinpreise. „Früher waren sie immer gleich. Jeden Tag. Jede Uhrzeit.“ Der Diesel kostete 1,40 Mark, Super Extra 1,65 Mark und Benzin ohne Öl 1,50 Mark. Diese Zahlen kann Peter Karrow noch heute im Schlaf. Bedient wurde anfangs jeder Kunde manuell.
Nur 24 oder 26 Liter passten – je nach Typ – in einen Trabi. Entsprechend oft musste getankt werden. „Wir sind gelaufen wie die Hasen.“ Und in dem 38 Quadratmeter großen Shop habe es nur Autokosmetik gegeben. „Heute sind wir ein kleiner Supermarkt.“
Der Umgang mit den Kunden ist es, den der Vater von zwei erwachsenen Töchtern am liebsten mag. Die Arbeit hinter der Kasse. Die Gespräche, die sich oft auch um Vergangenes drehen. Peter Karrow erinnert sich gern an lustige Situationen von früher.
Einmal habe eine Kundin nach Zündkerzen für ihren Trabi gefragt. Karrow wollte wissen, was für einen Trabi sie denn habe und die Frau entgegnete: „Einen gelben.“ Karrow liebt trockenen Humor.
Peter Karrow hat nach 40 Jahren ein gutes Gespür für Kunden
Kommt ein Kunde an die Kasse, springt er blitzschnell von seiner Trittleiter auf, auf der er sich ausruht, wenn ausnahmsweise mal Zeit dafür ist. Einen flapsigen Spruch hat er für jeden Kunden, zumindest für die, die ihn hören wollen. In über 40 Jahren hat er ein gutes Gespür dafür entwickelt.
Nach der Wiederbelebung der Marke, standen die Medien Schlange bei Peter Karrow. Financial Times Deutschland, das Fernsehen - alle waren sie da. Heute lehnt Karrow fast alle der vielen Anfragen ab. Er ist müde geworden, seine Geschichte zu erzählen.
Auch sein Büro, in dem er die schönsten Artikel fein säuberlich eingerahmt auf einem Sims aufgereiht hat, nutzt der 61-Jährige seltener. 2013 hat er noch einmal geheiratet. Mit seiner Frau wohnt der dreifache Opa in einem kleinen Dorf zwischen Torgau und Bad Düben. Über eine Stunde braucht er bis zur Arbeit.
Peter Karrow löst sich langsam von seiner Minol
Deshalb erledigt er er viele Bürotätigkeiten von zu Hause aus, steht nur noch vier Tage die Woche an der Kasse. Ein langsamer Lösungsprozess. In fünf Jahren will Karrow in Rente gehen. Nach dann fast 50 Jahren bei Minol.
Natürlich wünscht er sich einen Nachfolger, der das Minol-Erbe weiterführt. Seine Mitarbeiterin Daniela Hinkel hat er mit dem Minol-Virus infiziert. „Wenn wir schon die einzigen sind, dann sollte man das weiterführen“, sagt die 31-Jährige.
Ob sie seine Tanke übernehmen kann, entscheidet am Ende aber der Konzern Total. Wünschen würde er es sich. Seinen Frieden machen würde er aber auch so.
„Ich denke gerne zurück, aber ich bin auch froh, dass es dann vorbei ist“, sagt er. Der Job sei anstrengend, Karrow hat es so langsam im Rücken. „In meinem nächsten Leben mache ich keine Tankstelle mehr auf.“
Das Minol-Logo nimmt Karrow mit in Rente
Das große Minol-Logo in Pink auf gelbem Grund, das er über die Jahre gerettet hat und das heute den vollgestellten Lagerraum hinter dem Tresen ziert, will er trotzdem mitnehmen, wenn er in Rente geht. Die letzte Minol-Pirol-Figur wird bis dahin wohl verkauft sein. „Für meine Zeit hier wird es noch gerade so reichen“, schätzt Karrow. (mz)