Hinter den Kulissen Autokino Leipzig: Blick hinter die Kulissen auf der alten Messe

Leipzig - Leer ist der Platz, gänzlich leer, so kurz nach 20 Uhr. Nur die markierten Stellflächen vor zwei großen Leinwänden fallen ins Auge. Auf Leipzigs altem Messegelände gibt es das wirklich: Autokino, der Inbegriff von Romantik für Pärchen!
Na ja. Die Romantik muss sich jeder Besucher erst mal denken. Die kahle Fläche, auf der rund 200 Autos geparkt werden können, ist doch ziemlich nüchtern, um es mal freundlich zu formulieren. Schwarze Muster aus Gummiabrieb zeichnen sich auf dem Boden ab - da hat es wohl jemand dem „Baby Driver“ aus dem aktuell laufenden Film nachmachen wollen.
Als erste kommt jetzt Natalie Schumacher. Die 27-Jährige schließt ein Bretterhäuschen auf, in dem sich neben der Kino-Technik Getränkekisten, Mikrowelle, eine Popcorn-Maschine, Kühlschrank und allerhand andere Utensilien befinden. Dann heißt es für sie, die seit drei Jahren in jeder Saison den guten Geist der nächtlichen Unterhaltung gibt, Ordnung schaffen: Papierkörbe leeren, Toilette putzen, Kasse vorbereiten.
Autokino in Leipzig: Das Filmerlebnis auf der alten Messe zieht Stammkunden an
20.38 Uhr röhrt ein Porsche Carrera 911 auf den Platz. „Stammkunden“, befindet Natalie Schumacher nach einem kurzen Blick. Die zwei Männer - in den späten Dreißigern wohl - platzieren sich erstmal ein Stück abseits mit ihrem Gefährt, denn sie wollen weiter hinten stehen. Wer zuerst kommt, muss normalerweise in die erste Reihe. Gefüllt wird der Platz von vorn nach hinten.
Einer der Insassen des Oldtimer-Sportwagens kommentiert: „Das ist hier Popcorn-Kino, da krieg ich meine Frau nicht rein!“ Schon seit 2003 kommt er regelmäßig, damals eröffnete das Autokino Leipzig. Ab und an hat er seine Liebste zwar schon zu einem Besuch überreden können, aber das übliche Blockbuster-Angebot kommt bei ihm besser an als bei ihr.
Weil ihnen der Film „eigentlich ziemlich egal“ ist, spielt er für ein Paar - laut Autonummer aus Merseburg - keine Rolle. Beiden geht es um das Erlebnis Autokino, das sie hier genießen wollen. Von der Leipziger Spielstätte haben sie im Netz erfahren. „Muss man einfach mal gemacht haben“, sind sie sich einig.
Inzwischen ist es kurz nach 21 Uhr, und die Autos rollen wie an der Schnur gezogen am Kassenhäuschen vor. Drin sitzt Jörg Nicolai, der Herr der Leinwände. Nicht nur dieser zwei, sondern auch noch einer weiteren, die in Geyer im Erzgebirge steht. Dort bedient seine Frau Yvonne die Technik.
Autokino in Leipzig: Für Betreiber Jörg Nicolai ein Hobby
Autokino - dieses Wort hatte einst für ihn einen magischen Klang. „Wenn man jung ist, weiß man ja nicht so recht, wo man hinfahren könnte für einen schönen Abend mit der Freundin“, erzählt der 47-Jährige. „Autokino fand ich gut - aber es gab gar keins. Also hab ich eins aufgemacht. Da war ich dann aber doch schon verheiratet“, lacht er.
Heute betreibt der erklärte Kinofreund die beiden Standorte „ohne Sponsoren, aber mit viel Enthusiasmus“. Sorgsam stellt er das Programm zusammen: „Wir entscheiden grundsätzlich selbst, was es gibt.“
Von Ende März bis Anfang November laufen täglich zwei Vorstellungen. Jeden Abend. Auch, wenn sich nur ein einziges Auto einfindet. Das gibt es zum Glück nur sehr selten. An den Wochenenden kann es sogar mal eng werden. Dennoch: Das Kino ist nur ein gut gehendes Hobby des dreifachen Familienvaters.
Den Haupterwerb sichert ein Ladengeschäft für Volkskunst in Thum im Erzgebirge. Doch Zeit zum Plaudern ist jetzt nicht, denn noch rollen Besucher an.
Jeder bekommt einen Zettel mit Instruktionen - und der Speisekarte. Jawohl, wer vor Beginn der Vorstellung oder auch während die Streifen laufen die Warnblinkanlage anschaltet, zu dem sprinten Natalie Schumacher oder eine Kollegin, die inzwischen auch gut beschäftigt ist, quer über den Platz. Pizza, Popcorn, Bockwurst, Kaffee, Eis oder Bier? Alles da, alles wird direkt ans Auto gebracht.
Das ist der Vorteil hier: Die Versorgung ist auch während der Vorstellung gesichert. Wer will, kann sich sogar sein eigenes Picknick mitbringen. Das Baby auf dem Rücksitz dabei haben oder den Familienhund - alles möglich im Autokino und alles durchaus üblich.
„Manchmal kommen auch welche mit dem Fahrrad und einer Decke und setzen sich ganz vorn hin“, erzählt Natalie Schumacher, „ist auch kein Problem.“
Autokino in Leipzig: Der Ton kommt aus dem Radio
Wenn diese Zuschauer etwas hören wollen, müssen sie allerdings ein Radio dabei haben, das wird gebraucht für den Ton, der ansonsten aus dem Autoradio kommt. Anschalten, die angegebene Ukw-Frequenz einstellen (Verkehrsfunk aus!), dann geht es los.
Die Tonqualität hat Kinoformat. Schnell anknipsen, die Werbung läuft schon. Als letztes Fahrzeug stellt sich bei dieser Vorstellung ein riesiger Mercedes-Van auf - er muss in die letzte Reihe, weil keiner drüber gucken könnte. Drin sitzen Martin, Heinz und sein Sohn Jörg - extra aus Dresden angereist, „weil wir Lust auf Autokino haben“. Sie lieben das Flair, waren auch schon mal in Geyer und finden die Anfahrt nach Leipzig keinesfalls zu weit.
Nun aber: „Baby Driver“ startet. Die Neulinge im Publikum zahlen Lehrgeld. Ein Auto ist sehr viel kleiner als ein Kinosaal, und Popcorn, Bier und Pizza ergeben eine einzigartige Geruchsmischung von gehöriger Intensität im Innenraum.
Außerdem wird es auch noch kuschlig warm. Fenster auf? Zu spät. Wer jetzt die Zündung anschaltet, um die Fensterheber zu bedienen, lässt bei den heutigen Fahrzeugen gleichzeitig Scheinwerfer und Rücklichter aufleuchten - ganz schlecht, wenn man sich nicht unbeliebt machen will.
Nach gut zwei Stunden verlassen die Zuschauer zügig hintereinanderweg den Platz - hinten stehen schon die nächsten aufgereiht. Gegen Mitternacht startet im Sommer die Spätvorstellung. Mancher Filmfreund wacht da mitunter erst in den Morgenstunden in seinem Auto wieder auf.
Dann startet auch Jörg Nicolai ausgeruht nach Hause, denn er schläft während der Saison nahezu jede Nacht im Technikhäuschen. Er tut sich allerhand an für seinen Nebenerwerb. Aber davon lassen kann er nicht mehr, auch, weil er sich als einer der letzten seines Standes fühlt. „Meine Kinder finden das Autokino ja cool“, sagt er ein bisschen wehmütig, „aber wenn ich das nicht mehr mache, ist das das Ende.“
Das lässt nur einen Schluss zu: Auf ins Autokino - so lange es noch spielt! (mz)