AMI 2016 abgesagt AMI 2016 abgesagt: Internet stiehlt Show

Leipzig - Mit versteinerte Miene saß Martin Buhl-Wagner am Montag vor einer großen Schar von Journalisten. Der Chef der Leipziger Messe hatte kurzfristig zur Pressekonferenz geladen. Die Nachricht war zuvor schon durchgesickert: Die Auto Mobil International (Ami), die am 9. April starten sollte, wird wegen des Rückzugs zahlreicher Autokonzerne abgeblasen. Buhl-Wagner spricht von einer „beispiellosen Entwicklung“. Viele Autobauer hätten innerhalb weniger Tage ihre Buchungen storniert.
Die Absage ist für die Messe ein wirtschaftlicher Rückschlag. Die Ami ist neben der Buchmesse die besucherstärkste Schau in Leipzig. Noch schwerer dürfte langfristig allerdings der Imageschaden wiegen. Nach der Computer-Messe Games Convention droht Leipzig eine zweite national relevante Messe zu verlieren. Das schadet der Bedeutung des Messeplatzes insgesamt. Nicht weniger als die Aufbau-Arbeit der vergangenen Jahre steht damit auf dem Spiel.
Ein kurzer Rückblick:
Das Format der Messe bestand bis 1990 im Wesentlichen aus einer Frühjahrs- und Herbstmesse. Leipzig galt für westdeutsche Firmen als Tor nach Osteuropa. Doch für solche sogenannten Universalmessen gab es nach der Wende keinen Platz mehr. Deutschlands ältester Messeplatz stand kurz vor dem Aus. „Niemand hatte auf die Leipziger Messe gewartet. Alle großen Messen waren vergeben“, sagte Buhl-Wagner im vergangenen Jahr anlässlich der 850-Jahrfeier der Messe. Die Leipziger mussten - die Buchmesse ausgenommen - fast bei Null anfangen.
Dem Aufbauwillen der Messemannschaft und dem politischen Willen ist es zu verdanken, dass die Messe erhalten blieb. Für 680 Millionen Euro wurde vor den Toren der Stadt ein neues, modernes Messegelände mit einer riesigen Glashalle als Markenzeichen aus dem Boden gestampft. Mit jährlich 30 bis 40 Messen und mehr als 100 Kongressen zählt Leipzig inzwischen wieder zu den zehn größten deutschen Messeplätzen.
Zu den neu entwickelten Messen gehörte 2002 auch die Games Convention (GC), eine eigene Schau für die Computerspiel-Industrie. Anfangs wurde dies belächelt, doch von Jahr zu Jahr stiegen die Aussteller- und Besucherzahlen. Zur letzten GC im Jahr 2008 kamen mehr als 200.000 Gäste. Leipzig war zum Mekka der Spielefans geworden. Dann passierte etwas, was es in der deutschen Messelandschaft bis dahin selten gab. Die Messe Köln warb - mit viel Geld übrigens - über den Computerspiele-Branchenverband die Schau ab. Zur Begründung hieß es unter anderem, dass die Verkehrsanbindungen nach Sachsen für Aussteller und Besucher nicht optimal gewesen sind. Ist dies so falsch? Die Passagier-Entwicklung am Flughafen Leipzig/Halle jedenfalls stagniert seit Jahren. Das Einzugsgebiet der Messe ist eher regional.
AMI-Chef: „Messen sind Spiegel der Lage einer Branche - aber auch einer Region.“
Der Entzug der Computerspiele-Schau war am Ende ein Misstrauensvotum. Den Leipzigern wurde nicht zugetraut, eine national wichtige Publikumsveranstaltung weiterzuentwickeln. Das wohl größte Handicap der Messe ist das eher schwache industrielle Umfeld. „Messen sind immer Spiegel der wirtschaftlichen Lage einer Branche - aber auch einer Region. Es fällt uns leichter Messethemen zu entwickeln, wenn es in der Region einen wirtschaftlichen Bezug gibt“, sagte Buhl-Wagner vor einigen Monaten im MZ-Interview. Dass es im Osten Deutschlands keine Konzerne gibt, das fällt auch der Leipziger Messe auf die Füße.
Dennoch hatte sie sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt. Internationale Fachmessen wie die OT-World (Orthopädie-Messe) oder der Medizinkongress LINC zählen zu den Aushängeschildern. Nicht nur an der Pleiße, auch an anderen Standorten in Deutschland veranstalten die Leipziger inzwischen Fachmessen. Öffentlich wird dies nur selten wahrgenommen. Im vergangenen Jahr konnten die Leipziger so ihren Jahresumsatz auf 80 Millionen Euro steigern. Ein Sanierungsfall ist die Messe damit keinesfalls, auch wenn insgesamt seit Jahren ein Defizit anfällt, welches Land und Stadt ausgleichen müssen. Dafür sorgt die Messe für volle Betten in den Leipziger Hotels.
Bei der Entwicklung von großen Publikumsmessen tun sich Leipzig, aber auch andere Messen-Gesellschaften, schwer. Ein Grund dürfte die Digitalisierung sein. Nutzten früher vielen Menschen eine Messe als Ort, der ihnen einen Überblick über Produkte verschiedener Hersteller verschafft, so reichen heute dazu wenige Klicks im Internet. Das mag nicht auf Boote und teure Maschinen zutreffen, die der Kunde vor dem Kauf erst einmal in Augenschein nehmen will. Doch eine Waschmaschine wird meist gleich im Netz bestellt - ähnlich verhält es sich bei der Mehrzahl der Konsumprodukte. Die Leipziger Messe und ihre Wettbewerber versuchen gegenzusteuern, indem Messen zu Events werden. Um Besucher anzuziehen, werden umfangreiche Rahmenprogramme veranstaltet. Doch selbst das reicht, wie die Autoschau Ami nun zeigt, nicht immer aus.
Experte: „Noch nie wurde ein neues iPhone auf einer Messe präsentiert.“
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sagte am Montag im MZ-Interview: „Noch nie wurde ein neues iPhone auf einer Messe präsentiert. Apple macht das Event selbst.“ Daran würden sich nun auch viele Autobauer orientieren. Durch die Übertragung per Livestream und in den sozialen Netzwerken erreichen die Unternehmen bei Produktpräsentationen mehr Zuschauer als über jede Messe. Ein weitere Vorteil für die Konzerne: Kein Konkurrenzprodukt „stiehlt“ die Aufmerksamkeit.
Die Konsequenz daraus ist für Dudenhöffer einfach - allerdings auch schwierig umzusetzen: Es muss für die Messe-Besucher etwas Einzigartiges geboten werden. Den Leipziger Messemachern wirft Dudenhöffer vor, in den vergangenen Jahren wichtige Trends wie das autonome Fahren (der Computer steuert das Auto) oder die Elektromobilität verschlafen zu haben. Und so ganz falsch liegt Dudenhöffer damit wohl auch nicht. Würde etwa das Google-Auto als Besuchermagnet auf der Ami stehen und getestet werden können, hätten sich viele Autobauer die Absage wohl zweimal überlegt.
Nicht nur für die Industrie oder die Medien, auch für die Messemacher sind die Digitalisierung und damit veränderte Kommunikationsstrategien eine Herausforderung. Die diesjährige Ami zeigt, wie schnell Pfründe verloren gehen können. (mz)
Gesellschaften verbuchen Plus bei Ausstellern, auch Leipzig legt zu
Die deutschen Messen sind auch 2015 auf Wachstumskurs geblieben und konnten beim Umsatz gegenüber den Ergebnissen von 2014 teilweise noch zulegen.
Nach vorläufigen Berechnungen des Messeverbandes Auma registrierten die 164 internationalen und nationalen Messen rund 172 000 Aussteller, das sind rund 1,5 Prozent mehr als bei den jeweiligen Veranstaltungen im Jahr 2014. Insgesamt wurden nach vorläufigen Ergebnissen 9,8 Millionen Fach- und Privatbesucher gezählt.
Die Leipziger Messe ist seit 2014 wieder gewachsen. Nach vorläufigen Zahlen lag der Umsatz bei 80 Millionen Euro, teilte die Messe im Dezember 2015 mit. Besonders gut hat sich dabei das Kongressgeschäft entwickelt. Dieses soll weiter ausgebaut werden. Insgesamt kamen 11.150 Aussteller und rund 1,1 Millionen Besucher zu 215 Veranstaltungen, darunter 140 Kongresse und 36 Messen. Zum Defizit der Messe, das seit Jahren besteht, machte die Gesellschaft noch keine Angaben.
