Leipzig Leipzig: Endlich freie Fahrt im City-Tunnel

LEIPZIG/MZ - „Sieht der City-Tunnel aber gut aus!“, ruft eine junge Frau mit Einkaufstüten. Der ältere Mann, der einen Weihnachtsbaum schleppt und ein Stück hinter ihr auf der Rolltreppe steht, stimmt in das Lob ein, sagt aber auch: „Ist teuer genug gewesen“, so sein Kommentar zum Leipziger Jahrhundert-Bauwerk. Zwei Lehrlinge essen Pommes und hüpfen dabei die Stufen hinab, sie interessiert nur eins: Fährt die nächste S-Bahn pünktlich?
Die roten Teppiche auf den rund 140 Meter langen Bahnsteigen sind eingerollt, die Reste vom Konfetti-Regen während der samstäglichen Eröffnung weggefegt. Wenige Stunden nach der Inbetriebnahme vermittelt der gestrige Tag - an dem das neue S-Bahnnetz erstmals im Alltagsbetrieb war - eine Ahnung davon, was künftig in den vier Stationen des Leipziger City-Tunnels abgeht. Der erste Eindruck: Sogar Sonntags herrscht in Leipzigs Unterwelt reger Betrieb. Es scheint, als würde jeder Besucher des Weihnachtsmarkts auch einen Abstecher hierher machen.
S1 Leipzig Miltitzer Allee/Leipzig Messe–Stötteritz–Wurzen–Oschatz–Riesa
Die Linie S1 fährt im 30-Minutentakt von der Station Miltitzer Allee im Leipziger Stadtteil Grünau durch den City-Tunnel nach Wurzen und vereinzelt weiter bis Riesa. Durch zusätzliche halbstündliche Fahrten ab Leipzig Messe wird zwischen Leipzig Hbf (tief) und Stötteritz ein 10/20-Minutentakt eingerichtet. Nach Fertigstellung der ICE-Neubaustrecke in Richtung Nürnberg kann der geplante 15-Minutentakt auch zwischen Leipzig Hbf (tief) und der Miltitzer Allee realisiert werden.
Die S1 bindet den Stadtteil Leipzig-Grünau wieder an das Schienennetz an und ersetzt die Linien:
- MRB 11 (Leipzig–Wurzen–Oschatz)
- S11 (Leipzig–Oschatz)
S2 Bitterfeld–Delitzsch–Connewitz–Markkleeberg-Gaschwitz
Die Linie S2 verkehrt stündlich zwischen Delitzsch und Connewitz. Montags bis freitags wird die Verbindung bis nach Bitterfeld und Markkleeberg-Gaschwitz ausgeweitet. Durch die direkte Verbindung durch den City-Tunnel verkürzt sich die Reisezeit um circa 15 Minuten.
Die S2 ersetzt die Linien:
- MRB 54 (Leipzig–Delitzsch–Bitterfeld)
- RB 130 (Leipzig–Gaschwitz (–Altenburg–Glauchau/Zwickau)).
S3 Halle (Saale) Hbf–Stötteritz
Die Linie S3 fährt im 30-Minutentakt von Halle (Saale) Hbf über Schkeuditz durch den City-Tunnel nach Leipzig-Stötteritz. Nach Fertigstellung der Baumaßnahmen in Halle (Saale) Hbf wird die Verbindung bis Halle-Nietleben verlängert. Die Reisezeitersparnis beträgt rund 10 Minuten.
Die S3 ersetzt die Linie S10 (Halle (Saale)–Schkeuditz–Leipzig).
S4 Geithain–Borna–Leipzig-Thekla–Eilenburg–Torgau–Hoyerswerda
Die Linie S4 fährt im Streckenabschnitt Borna–Eilenburg im 30-Minutentakt. Auf den restlichen Abschnitten liegen die Abfahrtszeiten weiter auseinander. Mit der RE 10 (Leipzig–Cottbus) ergibt sich von Falkenberg in Richtung Leipzig ein 1-Stundentakt, ab Torgau in der Hauptverkehrszeit ein 30-Minutentakt.
Die S4 ersetzt die Linien:
- RE 11 (Leipzig–Falkenberg–Hoyerswerda)
- MRB 2/70 (Leipzig–Borna¬–Geithain).
S5 Leipzig/Halle Flughafen–Altenburg–Zwickau Hbf und
S5X Halle (Saale) Hbf–Zwickau Hbf
Die Linie S5 verkehrt stündlich zwischen Leipzig/Halle Flughafen und Altenburg – von dort aus zweistündlich weiter bis Zwickau Hbf. Ergänzt wird sie durch die Linie S5X, die in Halle (Saale) Hbf im Stundentakt startet und aufgrund ihres Express-Charakters zugunsten einer beschleunigten Fahrzeit nicht an allen Stationen hält. Durch die Überlagerung der beiden Linien verkehren die Züge zwischen Leipzig/Halle Flughafen und Altenburg alle 30 Minuten. Die Reisezeitersparnis auf diesem Abschnitt beträgt eine halbe Stunde.
Die S5 und S5X ersetzen die Linien:
- RE 5 (Leipzig–Leipzig/Halle Flughafen–Halle (Saale))
- RE 8 (Leipzig–Zwickau)
- RE 16 (Leipzig–Werdau)
- RB 130 (Leipzig–Gaschwitz–Altenburg–Glauchau/Zwickau)
S7 Halle-Trotha–Halle-Nietleben
Die reguläre Linie S7 in Halle (Saale) ergänzt die sechs neuen S-Bahn Linien. Sie gewährleistet die Anbindung vom Hauptbahnhof in Halle (Saale) nach Nietleben und Trotha. Nach dem Umbau des halleschen Hauptbahnhofes wird die ursprünglich geplante direkte Linienführung der S3 von/nach Halle-Nietlieben möglich. Neben den silber-grünen Zügen der S-Bahn Mitteldeutschland werden auf dieser Linie auch modernisierte Doppelstockwagen eingesetzt.
Der eigentliche Härtetest steht aber erst bevor, glaubt Detlef Helbig von der Betriebszentrale des City-Tunnels, der die Abläufe an acht Monitoren überwacht. Wie die Leute künftig über den City-Tunnel reden werden, entscheidet sich vor allem im Berufsverkehr. Deshalb ist die Welt für den Fahrdienstler nur in Ordnung, wenn auch da die Züge laut Fahrplan rollen - und zwar im Fünf-Minuten-Abstand. Im City-Tunnel kommen sechs S-Bahn-Linien zusammen, aus den Richtungen Halle, Bitterfeld, Hoyerswerda, Oschatz, Geithain und Zwickau. Auch einige wenige ICE-Züge rollen durch die 1,4 Kilometer langen Röhren.
Der Knotenpunkt ist eine Riesenherausforderung: Die Bahn rechnet damit, dass in Leipzig bis zu 30 Prozent mehr Reisende die S-Bahnen nutzen werden. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) sagt gleichzeitig eine „spürbare Entlastung beim Autoverkehr“ voraus.
Kurz vor Weihnachten sind für Bahnfahrer die Ticketpreise gestiegen. Seit gestern gelten neue Tarife. Im Durchschnitt hob die Bahn das Preisniveau im Nahverkehr um 2,9 Prozent an; im Fernverkehr sind es 1,3 Prozent. Dabei ist eingerechnet, dass einige Zeitkarten und Fahrten auf bestimmten Strecken nicht teurer werden. Für Tickets zum normalen Preis verlangt die Bahn im Nahverkehr nun durchschnittlich 3,2 Prozent und im Fernverkehr 2,5 Prozent mehr. Die Deutsche Bahn hat ihre Preise seit 2003 zum Jahreswechsel stets erhöht. Die Anhebungen waren zum Teil im Regional- und Fernverkehr unterschiedlich.
Eine, die hilft, den Ansturm der Reisenden zu steuern, ist Sandra Bolte. Die Eisenbahnerin ist noch in der Ausbildung, sie begleitet im dritten Lehrjahr aber bereits Züge zwischen Halle und Leipzig. Wie die Lokführer sind auch die Schaffner extra für die neuen Talent-2-Züge geschult. So gibt es wohl kaum einen Frage, die Bolte nicht beantworten kann. Dort ist ein Abstellplatz für das Fahrrad, hier entlang geht es zum Wickeltisch für das Baby, dort sind extra Sitzgruppen für die ganze Familie. Natürlich kennt sie sich bei den Tarifen aus: Für eine Schnuppertour vom Hauptbahnhof durch den City-Tunnel bis zum Bayerischen Bahnhof genügt ein Kurzstrecken-Ticket des Verkehrsverbunds zu 1,60 Euro.
Wer Zahlspiele mag, kann diese Ausgabe ins Verhältnis zu den Baukosten setzen. Jeder Meter des Tunnels schlägt mit 700 000 Euro zu Buche. Der Gesamtaufwand der wohl kürzesten U-Bahn der Welt beträgt fast eine Milliarde Euro, beinahe doppelt so viel wie ursprünglich geplant. Kritiker behaupten, man hätte mit diesem Geld fast das gesamte Bahn-Netz in Sachsen in Ordnung bringen können. Bahnchef Rüdiger Grube blickt indes während der Eröffnungsfeier nicht zurück: „Wir schauen nach vorne. Die Region Leipzig besitzt nun das modernste Nahverkehrsnetz Deutschlands. Machen wir das Beste daraus.“
Obwohl auf dem Freistaat Sachsen die Hälfte der Baukosten lastet, ist der sächsische Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) „glücklich über das gute Ende“ des Mega-Projektes. Angesichts der Querelen um andere Großvorhaben wie den Hauptstadtflughafen, so der gebürtige Stuttgarter vor applaudierenden Ehrengästen aus Politik und Wirtschaft, sei das sicherlich verständlich.
Das Gefühl, Großes sei vollbracht, tragen am Sonnabend während eines Volksfestes auch die historischen Schirmherren des Tunnels in die Menge: Johann Sebastian Bach und Richard Wagner sind nicht nur gefragte Foto-Motive. Die beiden Darsteller, Gästeführer Franz Schuchardt und Falk Riecker vom Wagner-Verband, konkurrieren auch als Werbebotschafter miteinander. Während der eine die Station am Wilhelm-Leuschner-Platz mit der weltberühmten Mädler-Passage vergleicht, feiert der andere den City-Tunnel als Geschenk der deutschen Einheit.
Ihren Worten lauscht eine Gruppe neugieriger Tunnel-Besucher aus Sachsen-Anhalt. Annett Sibalke, die in Halles Innenstadt als Verkäuferin arbeitet, meint: „Da kann man schon fast neidisch werden, wie das in Leipzig voran geht.“ Aber vielleicht habe auch Halle mit Händel und Halloren etwas davon. Immerhin fahre die S-Bahn nicht nur in eine Richtung.
