Streit im Landkreis Wittenberg Streit im Landkreis Wittenberg: Nachts kommen die Wölfe

Wittenberg - Auf zur Konfliktberatung! Das empfiehlt der Verein Dübener Heide. Jäger halten dies nicht für die Lösung des Problems. Sie sehen auch in Zukunft keine idyllische Koexistenz zwischen Wolf und Mensch. Doch eine Alternative dazu ist kaum möglich, weil die Tiere strengstens geschützt sind.
Es ist verboten, sie einzufangen oder gar zu töten. Naturschützer wollen unbedingt den Schutzstatus erhalten. Für sie ist es ein Erfolg, dass der Wolf, der im 19. Jahrhundert in Deutschland ausgerottet wurde, seit 2000 wieder da ist. Ein Paar aus Polen wanderte zu. Seitdem breiten sich die Wölfe immer weiter aus, was zunehmend zu Konflikten führt.
„Im Land der Frühaufsteher muss man endlich wach werden“, fordert Hans-Peter Schneider nach dem dritten Angriff auf ein Wildgatter durch wilde Tiere in Ragösen. Zumindest die Landes-CDU ist - aus der Sicht des Kritikers - schon ausgeschlafen. Immerhin soll es ihr Verdienst sein, dass der Wolf Thema bei den Koalitionsvereinbarungen in Berlin war. Im Koalitionsvertrag steht der Satz: „Im Umgang mit dem Wolf hat die Sicherheit der Menschen oberste Priorität.“
Müssen wir uns an Angriffe durch Wölfe gewöhnen? Lassen sich Koppeln sichern? Welche Hilfe brauchen Tierhalter? Und: Könnte der Wolf eines Tages auch Menschen angreifen?
Über solche Fragen will die MZ in einem öffentlichen Forum diskutieren. Zugesagt haben Landesumweltministerin Claudia Dalbert (Grüne) und Hans-Jörg Rösler vom Schafzuchtverband Sachsen-Anhalt sowie Claudia Szentiks vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung Berlin als unabhängige Wolfs-Expertin.
Am Mittwoch, 4. April, um 17.30 Uhr im Stadthaus Wittenberg werden die drei Diskutanten aufeinandertreffen (Mauerstraße 18, 06886 Lutherstadt Wittenberg. Einlass ab 17 Uhr, Parkmöglichkeiten in einem angrenzenden Parkhaus). Moderator ist der MZ-Landtagskorrespondent Hagen Eichler. Fragen aus dem Publikum sind ausdrücklich erwünscht.
Der Ort der Debatte ist nicht zufällig gewählt: Im Kreis Wittenberg, im gesamte Osten und Norden des Landes, ist der Wolf längst heimisch. Der Umgang mit ihm ist umstritten. Die Landes-CDU warnt vor einem „Kontrollverlust“ – sie will wolfsfreie Gebiete ausweisen und dort Abschuss zulassen. Nach geltendem Recht ist die Tötung nur für verhaltensauffällige Exemplare zulässig.
An dem Forum kann jeder kostenlos teilnehmen. Es ist aber eine Anmeldung bis 12 Uhr nötig unter 0345-565 4400 oder per Mail: [email protected]
Andreas Liste dagegen fordert den Stopp „der massiven Hass- und Drohkulisse gegenüber dem Wolf“. Der Chef des Arbeitskreises Hallesche Auenwälder, der auch die Debatten um den Biber im Kreis Wittenberg kritisch sieht, verfolgt mit „großer Sorge und Abscheu“ das verstärkte Streben in der gesamten Bundesrepublik, auf „der Basis fadenscheiniger Begründungen Wildtiere zu töten“.
Konflikte sind aber in der Region Wittenberg kaum wegzudiskutieren. Die Nutztierhalter, für die der Räuber längst ein großer Feind ist, müssen ihre Schafe, Ziegen und Gehegewild verstärkter schützen. Das Amt für Landwirtschaft, Flurneuordnung und Forsten förderte 2017 den Herdenschutz im Landkreis Wittenberg mit 22.105,76 Euro.
Immerhin haben sich in der Region laut Monitoring ein Rudel - im Land leben elf - in der Oranienbaumer Heide, und Welpen in Coswig (drei), im Hohen Fläming (vier), sowie in Glücksburger (neun) und Annaburger Heide (drei) offiziell angesiedelt. Dagegen sind die Dübener und die Woltersdorfer Heide noch ein weißer Fleck.
Das überrascht, doch dafür gibt es eine Erklärung. Von einer Ansiedlung wird erst gesprochen, wenn der genetische Nachweis eines Wolfes über ein halbes Jahr lang geführt werden konnte. „In der Woltersdorfer Heide gab es Risse“, bestätigt Andreas Berbig. Der Leiter des Wolfskompetenzzentrums in Iden hält es auch für möglich, dass dafür „streifende Wölfe“ verantwortlich waren. Möglicherweise handelt es sich dabei um ein Rudel aus dem Land Brandenburg.
Mehr Klarheit gibt es - auch wenn am Donnerstag trotz MZ-Anfrage keine Zahlen genannt werden - über die Rissfälle, die dem Wolf zugeordnet werden. Nicht immer ist dazu eine DNA-Probe erforderlich. „Bei uns geht es nicht zu wie in einem Krimi“, sagt Berbig. Die Untersuchung am „Tatort“ werde aber schon akribisch geführt - mit Kamera, Zollstock und DNA-Test-Kit. Als erstes wird der Kehlbiss - typisch für den Wolf - untersucht.
Die Experten schauen, ob die Haut durchbohrt und der Abstand der Reißzähne mehr als 4,5 Zentimeter entfernt ist, das sind die ersten Indizien. Allerdings stellte sich bei 30 Prozent der Untersuchungen heraus, dass ein Hund der Angreifer war.
Die drei aktuellen Fälle in der Dübener Heide sind noch nicht geklärt. In Gniest ist die Weide 150 Meter von einem Spielplatz entfernt. „Aufgeregte Eltern haben schon angerufen und gefragt, ob ein ungefährliches Spielen noch möglich ist“, so Kembergs Bürgermeister Torsten Seelig (CDU). Das Umweltministerium sieht keine Probleme.
„Wölfe sind dämmerungs- und nachtaktiv, weshalb ein Zusammentreffen mit Menschen eher selten ist“, so Pressesprecherin Jenny Schwarz.
Doch diese Begegnungen gibt es. Dessauer Radler trafen zur Mittagsstunde in der Oranienbaumer auf Wölfe. Die Tiere flüchteten. In Ragösen ist es anders. Eine Pilzsammlerin, so wird es in einer Pension erzählt, fühlte sich im Wald von einem Wolf beobachtet. Die Frau sei sofort aus dem Fläming abgereist. (mz)