Projekt Oranienbaumer Heide Projekt Oranienbaumer Heide: Aufwind für Heck-Rinder und Konik-Pferde

Oranienbaum - Pirol und Kuckuck rufen, ein Wiedehopf flattert am Weg und irgendwo hat sich auch der seltene Ziegenmelker versteckt – alle Vögel sind schon da in der Oranienbaumer Heide. Katrin Henning stimmt das mehr als froh. Denn irgendwie hat man in den vergangenen mehr als zehn Jahren alles richtig gemacht auf dem früheren Truppenübungsgelände der russischen Armee.
Halboffenes Weideland
Oranienbaum, Jüdenberg, Möhlau und Sollnitz grenzen das Terrain in alle vier Himmelsrichtungen ab, dazwischen liegen 800 Hektar halboffenes Weideland der Heide. „Die größte zusammenhängende Weidefläche in Sachsen-Anhalt“, weiß Katrin Henning. Im Sommer ist die Mitarbeiterin der Hochschule Anhalt mehrmals in der Woche hier in der Natur.
Meist mit ihrem Kollegen Heiner Hensen und einigen Studenten. Im Bernburger Fachbereich Landwirtschaft, Ökotrophologie und Landschaftsentwicklung betreuen sie die Oranienburger Heide in allen konzeptionellen Dingen, so wie es ihre Vorgänger an der Hochschule Anhalt schon mit Beginn des Projektes 2008 taten.
Seitdem hat sich die Landschaft auf dieser Fläche von 800 Fußballfeldern allerdings erstaunlich gewandelt. „Hier gab es 2008 schon überall Pionierwald“, erzählt an diesem heißem Juni-Tag Stefan Reinhard. Er ist der Geschäftsführer der Primigenius gGmbH, die die Fläche bewirtschaftet. Eigentümer ist die DBU Naturerbe. Seit dem Truppenabzug 1991 sei das Gelände unberührt geblieben, erzählt Reinhard.
Das nutzten Büsche und Gehölze, um ordentlich an Wachstum zuzulegen, wobei der Charakter der Heidelandschaft verloren ging. Die großflächige Entbuschung war deshalb eine wichtige Maßnahme, um die Heide wieder zu einer solchen werden zu lassen. Nun, da die Vorboten eines dichteren Waldes längst verschwunden sind oder auch von den beiden Primigenius-Mitarbeitern tagtäglich entfernt werden, haben auch tierische Helfer einen großen Teil der Arbeit übernommen.
Mehr als 100 Tiere leben hier
62 Konik-Pferde (polnisch Pferdchen) und 45 Heckrinder sind auf dem kompletten Gelände ganzjährig unterwegs und halten Büsche und Gräser kurz. Sie schafften es beispielsweise binnen Kürze, das Land-Reitgras zurückzudrängen und vor allem die Rinder lassen der Spätblühenden Traubenkirsche, die aus Nordamerika einwanderte, keine Chance, in der Oranienbaumer Heide groß zu werden.
Mit kleinen Tricks gelingt es zudem, die Herden dorthin zu lenken, wo der Hunger auf frisches Grün gerade gebraucht wird. „Das kann man mit Lecksteinen erreichen“, erklärt Heiner Hensen. Pferde und Rinder benötigen die Minerale. „Wenn sie schon mal da sind, fressen sie natürlich rundum“, so Hensen. Ähnlich habe es auch mit den fünf Tränken funktioniert, die auf dem Areal für die Tiere installiert worden sind.
Da die gesamte Fläche in Teilschritten bis 2013 für die Beweidung erschlossen wurde, waren Lecksteine und Tränken gewissermaßen die Anziehungspunkte in den neuen Gebieten.
Dass den Pferden und Rindern inzwischen nahezu jeder Platz in der Heide vertraut ist, beweisen den Mitarbeitern der Hochschule Anhalt die Bewegungsprofile jener Tiere, die mit einem Sender ausgestattet sind. Stefan Reinhard zückt sein Handy; kreuz und quer zieht sich eine rote Bahn über die Karte. „Die sind ständig unterwegs“, meint der Primigenius-Chef über die Konik-Pferde, die in drei Gruppen in der Heide leben.
Laut Reinhard habe man inzwischen die Zielbesatzstärke erreicht. Für noch mehr Pferde oder Rinder reiche das Nahrungsangebot nicht aus. Im Dürrejahr 2018 war es deshalb auch notwendig, zusätzliches Futter anzubieten. Noch bis Ende April wurden täglich ein bis zwei Rundballen Heu zugefüttert.
Solch ein Entgegenkommen gibt es für die Vogelwelt in der Oranienbaumer Heide nicht. Aber das Nahrungsangebot ist für die fliegenden Bewohner hier ohnehin überaus reichlich. Die Ergebnisse der jüngsten Vogelzählung 2017 unterstrichen eindrucksvoll, wie mit dem richtigen Management auf dieser Fläche auch die Artenvielfalt gewachsen ist.
Vom Ziegenmelker wurden vor zehn Jahren nur 15 Brutpaare gezählt, 2017 waren es 103. Kahle Flächen im Wechsel mit Baumgruppen, die dieser Vogel bevorzugt, findet er hier reichlich. Nur bei der anspruchsvollen Sperbergrasmücke hat man noch Luft nach oben.
„Sie braucht gut strukturierte, große Gebüsche“, erzählt Katrin Henning. „Das haben wir noch nicht ausreichend.“ Dafür gibt es aber allein 39 Heuschreckenarten, 600 Tag- und Nachtfalterarten und über 800 verschiedene Pflanzen.
Fachkundig geführt
Informieren kann man sich über all diese Dingen auf den Tafeln und Schildern entlang der Hauptwege. Sie wurden erst vor kurzem von der Hochschule und in Zusammenarbeit mit dem Biosphärenreservat erneuert. An den drei Hauptzugängen zur Oranienbaumer Heide können die Besucher auf großen Tafeln Grundsätzliches zu dem Projekt erfahren, 15 kleinere Infotafeln sind dann noch einmal auf der Fläche verteilt und nehmen zu einem großen Teil die Vogelwelt der Heide in den Blick.
Unter fachkundiger Führung lassen sich die 800 Hektar übrigens in diesem Sommer wieder bei einer Radtour erkunden. Am 24. August soll es die nächste Bürgerexkursion geben, die um 10 Uhr am Oranienbaumer Bahnhof startet. Beim letzten Mal, vor zwei Jahren, wurden über 100 Teilnehmer gezählt. Katrin Henning, Heiner Hensen und Stefan Reinhard rechnen auch in diesem Jahr wieder mit einer großen Resonanz.
„Dann steht hier die Heide in voller Blüte“, verspricht Henning schon mal. Pferde und Rinder leisten täglich ihren Beitrag dazu, denn mit ihrem Verbiss verjüngen sie das Heidekraut. Und wenn es nun nur noch regelmäßig regnet, dann könnte bis zum Heideblühen auch das Dürrejahr 2018 vergessen sein.
Modellprojekt seit rund zehn Jahren
Die Oranienbaumer Heide wurde von der Bundesregierung im Jahr 2009 zum Nationalen Naturerbe erklärt und an die gemeinnützige Tochtergesellschaft der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), das DBU Naturerbe, übergeben. Schon bevor die Fläche 2009 in die Verantwortung der DBU Tochter übergegangen ist, förderte die Deutsche Bundesstiftung Umwelt ein Modellprojekt (2007-2011). Initiatoren waren die Hochschule Anhalt sowie die Primigenius – Köthener Naturschutz- und Landschaftspflege gGmbH des NABU-Regionalverbandes Köthen mit Sitz in Wulfen.
Seit 2011 wurde das Projekt über ELER-Mittel des Landes Sachsen-Anhalt fortgeführt und weiterentwickelt. Der aktuelle Projektzeitraum endet im September 2019, ein neuer Antrag bis Ende 2021 wurde gestellt. Neben der Projektkonzeption und -koordination begleitet die Hochschule Anhalt die umgesetzten Managementmaßnahmen wissenschaftlich und macht Vorschläge zur Optimierung des Managements.
Viele weitere regionale und überregionale Kooperationspartner haben das Projekt fortlaufend unterstützt und engagiert zum Gelingen des großflächigen Naturschutzprojektes beigetragen: darunter die Biosphärenreservatsverwaltung Mittelelbe, der Bundesforstbetrieb Mittelelbe, die Untere Naturschutzbehörde Wittenberg sowie das Amt für Landwirtschaft, Flurneuordnung und Forsten Anhalt.
(mz)
