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Johanna Dannenberg Johanna Dannenberg: Als Teilnehmerin bei Nicaraguas einzigartigem Zirkusfestival

Von Johanna Dannenberg 26.07.2017, 17:00
Präsentation der internationalen Gruppe-Artisten ohne Grenzen
Präsentation der internationalen Gruppe-Artisten ohne Grenzen Privat

Mühlanger -  „Die Kultur verändert das Leben jedes einzelnen und verbessert gleichzeitig das Leben der Gesellschaft.“ Was dieser Satz von Adolfo Taleno Mejía, genannt Fito, dem Animateur und Mitorganisator des Zirkusfestivals „Berrinche Ambiental“ in Granada, durfte ich selbst erfahren im Januar. Dieses einwöchige Festival findet seit 2009 immer nach dem ersten Vollmond im Jahr statt, um das Jahr „diacachimba“ (übersetzt etwa: super cool, abgefahren) anzufangen und ist in dieser Art einzigartig in Mittelamerika.

Es gibt zwar andere Festivals, wo sich beispielsweise nur Clowns treffen, aber kein Weiteres vereint alle Gruppen von Artisten, angefangen von Zirkusdarstellern und Musikern, bis hin zu Künstlern, die Schmuck aus den verschiedensten Materialien herstellen. Das Berrinche hat zum Ziel all die Straßenkünstler und Artisten Zentralamerikas in einem Festival zu vereinen, damit sie sich austauschen können und gegenseitig Workshops anbieten, aber auch lokale Kindergruppen unterrichten und im Stadtzentrum spektakuläre Präsentationen darbieten, die für alle öffentlich zugänglich und kostenlos sind.

Ein weiterer Schwerpunkt des Festivals liegt auf der Förderung des Umweltbewusstseins. Mich persönlich stört der verantwortungslose Umgang mit Müll ja schon seit Beginn meines freiwilligen sozialen Jahres, weshalb ich es sehr schätze, dass mit solch einem spektakulären Festival gleichzeitig auch auf die Umweltverschmutzung aufmerksam gemacht wird, was mir in diesem Land alles andere als selbstverständlich erscheint.

So haben alle Artisten beispielsweise auf dem Grundstück des „Casa de las botellitas“ (Haus der Flaschen)  in Granada übernachtet und dort auch ihre Workshops gegeben. Dieses Haus hat in seiner Häuserwand ganz viele Glasflaschen mit eingearbeitet, was nicht nur ein Denkmal sinnvoller Wiederverwertung darstellt, sondern diesem Haus auch von außen einen artistischen Ausdruck verleiht. Das Festival fand in Granada statt, eine der ältesten Städte der westlichen Welt (1524 gegründet) und als hübsche Kolonialstadt mit ganz eigenem Flair, eine der eindrucksvollsten Attraktionen Nicaraguas darstellt.

Fito meinte weiter: „Das Berrinche gibt dieser Stadt eine Umarmung und richtet dabei den Fokus der Menschen auf deren Umwelt aus, dafür erhält das Berrinche Freude und Reflexion der Stadt für seine Aktionen und Präsentationen.

Ganz anders, als ich es von meinem Zuhause in Ocotal gewohnt bin, ist der Stadt sofort anzumerken, dass sie sehr touristisch geprägt ist. In Ocotal schaue ich mich selbst schon um, wenn jemand hellhäutiges an mir vorbeiläuft, weil dies eher selten der Fall ist, was aber in Granada ganz anders ist. Gerade für US-Bürger ist Nicaragua ein billiges, aber auch abenteuer- und attraktionsreiches Urlaubsziel, woraus wahrscheinlich die verbreitete Meinung der Nicaraguaner stammt, dass alle weißen Leute (chellos genannt) gringos (etwas abfällige Bezeichnung der US-Bürger) wären.

Aus diesem Grund wird mir auch in Ocotal gerne in einem für mich amüsanten Englisch hinterhergerufen. Mir sind in Granada aber auch viele europäische Freiwillige aufgefallen, meist Backpacker, die schon seit längerer Zeit dir Länder Süd- und Mittelamerikas erkunden. Aus diesem Grund war das Publikum der täglichen Präsentationen an verschiedenen Orten in der Stadt auch sehr international geprägt.

Johanna Dannenberg aus Mühlanger hat mit 19 Jahren nach dem Abitur in Nicaragua ein freiwilliges soziales Jahr angetreten. In der MZ berichtete sie in mehreren Folgen über über ihre Erwartungen und ihre Erlbenisse, über ihr Leben in der Großfamilie, über ihren Einsatz in der Kinderbibliothek Ocotal im Norden des Landes, über ihre Reisen durch das Land.

Johanna würde sich über jegliche Art von Anregungen, Gedanken und Fragen zu ihren Berichten und Erfahrungen mit dem Freiwilligendienst in Nicaragua, freuen, die per E-Mail gesendet werden: [email protected]

Aber nicht weniger international waren die teilnehmenden Künstler selbst, welche aus knapp 20 verschiedenen Ländern, rund um den Globus verteilt, kamen. Darunter waren natürlich die nahegelegenen Länder Nicaraguas wie Costa Rica, El Salvador, Honduras, Ecuador, Mexiko, Guatemala, Kolumbien, aber auch die USA, Argentinien, sowie auch Neuseeland und verschiedene Länder Europas wie Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien und Deutschland, als sogar eins der teilnehmerstärksten Länder, da das ganzjährige lokale Zirkusprojekt in Granada auch durch Freiwillige unterstützt wird.

Das Berrinche fing vor 8 Jahren wohl mit rund 300 Teilnehmern aus fast ausschließlich Mittelamerika an, die alle befreundete Artisten waren. Jetzt ist dieses Festival, vor allem durch Mundpropaganda so bekannt geworden, dass Artisten aus der ganzen Welt kommen, auch fremde, die vorher noch keine Kontakte zu den anderen teilnehmenden Gruppen hatten. Dieses Jahr waren es insgesamt rund 550 Teilnehmer und das verrückteste daran: ich war einer von ihnen.

Mitten unter Weltklasse-Artisten

Es ist für mich etwas unwirklich, wenn ich daran denke, dass ich bis August 2016 noch nie etwas mit einem Zirkus zu tun hatte und nun mitten in so einem bunten Haufen drin stecke und auch wirklich dazu gehöre, auch wenn ich fast nichts kann und mich noch längst nicht dazu zähle, wenn ich von Artisten spreche.

Aber ich denke, es wäre für jeden so ein besonderes Erlebnis, wenn man seine ersten Einradversuche wagt, während man dem amtierenden Europameister im Einradfahren zusieht, wie er einem kleinen Jungen das Einradfahren beibringt. Die Teilnahme solcher „weltklasse Artisten“ ist aber auch für dieses Festival nicht ganz normal.

Der genannte Einradfahrer aus England gehört zu einer Gruppe von Artisten, die zur Zeit durch ganz Nicaragua touren und ein Projekt unterstützen, was sich „Performers without borders“ (Artisten ohne Grenzen) nennt und in verschiedenen Entwicklungsländern durchgeführt wird. Hierfür findet sich eine Gruppe von Artisten zusammen, meist auch aus verschiedenen Ländern, die zusammen eine professionelle Show ausarbeiten und damit durch ein Entwicklungsland reisen und meist an Schulen, oder anderen sozialen Einrichtungen Präsentationen zeigen und Workshops für die Kinder anbieten.

Diese Gruppe von Artisten hatte als das Berrinche als erste Station ihrer Reise gewählt, was bedeutet, dass wir die Premiere dieser grandiosen Show zu sehen bekamen. Zum Glück fand deren Vorführung aber erst ungefähr Mitte der Woche statt, sonst hätte ich sicherlich noch viel mehr Lampenfieber gehabt bei unserer Präsentaion. Wir waren nämlich gleich in der ersten Aufführung am ersten Abend dran und wir wollten uns als Gruppe präsentieren, was bedeutete, dass alle in der Präsentation mitwirken sollten, auch ich.

Da ich aber bisher nur bei verschiedenen Sachen ein wenig gelernt habe, war es nicht ganz so einfach, etwas zu finden, was ich wirklich mit vorführen konnte. Letztendlich habe ich in der Hoola-Hoop- Nummer von Fernanda und Johana (den beiden Schwestern aus dem Zirkus in Ocotal) einen Roboter gespielt, der von beiden durch eine Umarmung seine Steifheit verlor und schließlich mit beiden zusammen eine kleine Hula-Hoop-Präsentation zeigte.

Wer mich kennt, weiß, dass ich auch noch nie richtig etwas mit Theater zu tun hatte oder so, weshalb von meiner Familie aus Deutschland beispielsweise der Kommentar kam: Sowas kannst du wohl? Ich muss sagen, dass ich selbst etwas überrascht war, dass die Leute erkannt haben, was ich versucht habe zu spielen. Umso mehr habe ich mich danach freuen können, dass ich meine erste Vorführung, gleich vor so einem internationalen Künstlerpublikum, doch irgendwie gut gemeistert hatte.

Diebstahl beim Festival: Plötzlich waren die Handys weg

Ich habe durch dieses Festival nicht nur viele Sachen lernen können von den anderen Artisten, viele neue, interessante Leute kennen lernen und Kontakte knüpfen können, sondern auch ganz besondere Eindrücke mitnehmen können, in einer Art und Weise, wie ich es vorher noch nie erlebt habe. Wenn sich so viele Leute aus so unterschiedlichen und verschiedenen Hintergründen zusammenfinden, weil sie sich verbunden fühlen und in ihrer gemeinsam Ausrichtung, durch gemeinsame Interessen vereinen, dann kann ein jeder wohl auf seine Art einmalige Erfahrungen machen, die prägen.

Eine Erfahrung hat mich ganz besonders geprägt, wobei ich weiß, dass sie nicht unbedingt etwas mit dem Festival zu tun hat, für mich aber trotzdem immer damit verbunden sein wird. Einen Abend habe ich am Ausgang des Festivalgrundstücks auf einem gepflasterten Weg Einrad geübt und festgestellt, dass meine Bauchtasche mich noch mehr aus dem Gleichgewicht brachte.

Aus diesem Grund legte ich sie zusammen mit einem schwarzen Beutel neben den gepflasterten Weg auf den Boden, hatte aber immer ein Auge darauf, wenn Leute daran vorbei gingen, weil ich sowieso nicht üben konnte, wenn Leute auf den Weg passierten. Als ich gehen wollte fand ich trotzdem nur noch den schwarzen Beutel an der Stelle vor. In meiner Bauchtasche waren neben unwichtigeren Dingen die Sonnenbrille eines Freundes, sowie sein Handy und mein Handy gewesen. Der Dieb hatte also einen Volltreffer erzielt.

Neben einer Anzeige und mehreren Besuchen der Polizeistation in Granada war ich also in den folgenden Tagen ziemlich damit beschäftigt auch irgendwie Kontakt nach Hause aufzunehmen, weil ich ja auch alle Nummern und alles verloren hatte. Beispielsweise brauchte ich auch eine Kopie der Anzeige für die Versicherung und musste deshalb zur Polizeistation. Dort sagte man mir, dass an diesem Tag der zuständige Polizist nicht da war und ich doch bitte morgen wiederkommen sollte.

Am nächsten Tag gab man mir dann aber zum Glück meine Kopie. Trotzdem empfinde ich immer noch gemischte Gefühle, wenn ich an diesem wuseligen Raum mit ein paar alten Schreibtischen und Computern denke, wo in der Mitte wie im Wartesaal verschiedene Leute saßen und ich zusehen müsste, wie die Polizistin, die mir soeben meine Kopie gegeben hatte, zusammen mit einem Kollegen und etwas Gewalt versucht, ein Schubfach eines total verzogenes Metallregales zu öffnen, um darin ohne jeglichen Anschein davon, das Blatt jemals wiederfinden zu wollen, das Original meiner Anzeige verschwinden ließ.

In diesem Moment kam ich mir wirklich etwas allein gelassen vor mit meinen Problemen. Ich meine, ich wollte solchen Geschichten von der Polizei in anderen Ländern nie besondere Aufmerksamkeit schenken, weil ich mir immer dachte, die Leute übertreiben doch eh immer etwas, aber es war glaub ganz gut zu sehen, dass die Mentalität anderer Länder sich auch bei solch für mich eigentlich seriösen Dienststellen zeigen kann. Ich will damit auch keinesfalls sagen, dass die Polizei in Nicaragua nicht auch seriös ist in irgend einer Art und Weise, aber vielleicht nicht so, wie ich es mir immer vorgestellt hätte, oder erwartet hätte.

So wurde mir auch schon von einem Polizisten, der am Steuer seines Dienstwagens saß, wo auch noch andere Polizisten mit drin saßen, hinterhergepfiffen. Aber die nicaraguanische Polizei wird mich wohl immer an diese eine Situation erinnern.

Am letzten Tag des Zirkusfestivals fand noch einmal eine große Abschlussveranstaltung auf einem zentralen Platz in Granada statt. Dazu waren auch ein paar Polizisten anwesend, die schauten, dass bei diesen großen Menschenansammlungen nichts Schlimmes passierte und vorher auch schon den Umzug durch die Stadt begleitet hatten. Unter den Polizisten war auch der, der mir extra seine Handynummer gegeben hatte, dass ich mich bei Fragen wegen dem Diebstahl an ihn wenden könnte.

Nebenbei war auf seinem Motorrad war beim Umzug auch ein Clown ein Stück lang einfach mitgefahren unter dem tobenden Beifall der anderen Artisten und zur Verwunderung aller Zuschauer. Jedenfalls sprach mich dieser Polizist an: „Und morgen geht es dann wieder zurück nach Ocotal?“, worauf ich antwortete: „Ja genau.“. Er fragte weiter: „Und wann wirst du dann Nicaragua verlassen?“, ich: „Am 15.Mai in diesem Jahr.“. Sichtlich interessiert wollte er weiter wissen: „Und wann kommst du dann zurück nach Nicaragua?“, etwas unsicher, was ich darauf antworten sollte, sagte ich: „Das kann ich nicht genau sagen. Erstmal werd ich wohl anfangen zu studieren. Da kann ich ja jetzt noch nicht genau wissen, wann ich dann wieder hierher kommen kann.“.

Teils verwundert, teils aber auch erschrocken platze es dann aus diesem Herrn in Uniform heraus: „Das heißt, wir werden uns vielleicht nie wieder sehen?!“. Meiner Meinung nach hatte ich dem Mann außer höflicher Freundlichkeit, die für mich bei solchen Angelegenheiten selbstverständlich ist, nicht viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt, worüber ich in diesem Moment allerdings ins Zweifeln geriet. Da ich ihn aber erst gar keine falschen Hoffnungen machen wollte (nebenbeigesagt war dieser etwas rundliche Herr auch bestimmt um die 40), war dieses Gespräch mit einem trockenen „Ja“ für mich beendet.

Ich möchte mich an dieser Stelle für alle Leute bedanken, die meinen Freiwilligendienst in irgendeiner Art und Weise unterstützt haben, sei es durch lebensrettend erscheinende Pakete mit Keksen, Schokolade oder Ähnlichem, sehr nette Briefe, die mir auch im Februar noch Freude über Weihnachtsgrüße bereitet haben, Lern- und Bastelmaterialien oder Spenden, die den Projekte meiner Organisation in Ocotal zu Gute gekommen sind, oder mit denen ich selbst einigen Menschen etwas ermöglichen konnte.

So konnte ich Fernanda und Johana das Zirkusfestival mit samt der Reisekosten finanzieren, wobei beispielsweise das einwöchige Festival an sich für eine Person mit Unterkunft und allem 20 Doller gekostet hat. Schon kleine Beträge können hier so viel Wert sein. Und Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse sind ja eh von unschätzbarem Wert.

Und natürlich danke ich auch der MZ, dass es mir ermöglicht wurde meine Erfahrungen mit dem Leserkreis aus meiner Heimat zu teilen. (mz)

Wer Interesse an der Unterstützung der Projekte in Ocotal hat, kann sich entweder an mich wenden, oder direkt an meine Organisation spenden (bitte die eigene Spendenadresse mit angeben, damit eine Spendenbescheinigung ausgestellt werden kann):
Betreff: Weltwärts Johanna Dannenberg
EVIM Freiwilliges Engagement
Bank für Sozialwirtschaft
Konto: 4601000
BLZ: 550 205 00
IBAN: DE37 5502 0500 0004 6010 00
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