Buch über Darmkrebs-Schicksal Buch über Darmkrebs-Schicksal: Gefühl von Ausgeliefertsein
Elster - Wir treffen Wolfgang Ladewig im Pflegebett an. Es steht im Erdgeschoss des Hauses, seine Frau hat in den Raum, einst Wohnzimmer mit offener Küche, noch das Schlafzimmer integriert. Der einst so agile 66-Jährige, der in Elster als Fährmann gearbeitet und ehrenamtlich den Bücherclub der Grundschule betreut hat, ist zu 100 Prozent schwerbehindert und auf Pflege angewiesen.
Achteinhalb Monate hat Wolfgang Ladewig in Kliniken verbracht, davon 81 Tage auf der Intensivstation. Fast 60 Operationen hat er über sich ergehen lassen müssen. 59 Diagnosen wurden gestellt, 17 als lebensbedrohlich eingestuft.
Immer wieder ist er dem Tod von der Schippe gesprungen. Sein Leiden, das mit der Diagnose Enddarmkrebs begann, hat der Hobby-Schriftsteller in einem Buch verarbeitet: „Der finalen Endlösung ausgeliefert - Ich, mein Körper und die Götter in Weiß“.
Was in dem Titel so martialisch klingt, ist keine Erfindung des Autors: „Das hat ein Arzt an meinem Krankenbett so gesagt - bis Ende des Jahres wolle man die finale Endlösung geschafft haben“, erzählt Ladewig. Gemeint war damit eine bestimmte Operation. Durch sie sollte der Körper halbwegs funktionsfähig werden.
Gedanken- und respektlos
Ladewig erzählt in seinem Buch nicht von der Krankheit an sich, sondern vom Ausgeliefertsein. Ausgeliefert an Ärzte, die zwar ihr Fach verstehen mögen, denen es aber an Zeit oder Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit fehlt, die sich Patienten und deren Angehörigen gegenüber gedanken-, respektlos und außerdem arrogant verhalten hätten.
Regelrecht Angst habe er gehabt vor einzelnen Pflegekräften und Physiotherapeuten ohne jegliches Einfühlungsvermögen an ihm herumhantiert, sich dabei um Schmerzen nicht geschert, ihn stattdessen mit Schnüren und Mullbinden fixiert hätten. Auch seien Bedürfnisse, wie etwa nach Befeuchten der völlig ausgetrockneten Lippen, einfach ignoriert worden.
Dabei hatte er es noch gut. Seine Frau Andrea, „mein Engel“ wie er sie im Buch nennt, durfte auf der Intensivstation an seiner Seite bleiben, auch nachts. Nicht alle Pflegekräfte schienen dankbar dafür, dass sie ihnen Arbeit abgenommen hat, und hätten ihn das spüren lassen, wenn seine Frau auf Arbeit war.
Man muss sich vorstellen, der Mann liegt in seinem Blut, das ihm aus dem Bauch und anderen Körperöffnungen fließt und muss sich von der herbeigerufenen Schwester Geschimpfe anhören, was er „für eine Sauerei“ veranstaltet habe. „Es soll keine Anklage sein“, sagt Ladewig.
„Die Mehrheit der Schwestern und Pfleger macht einen guten Job. Es sind Einzelne, die meines Erachtens in diesem Beruf nichts zu suchen haben.“ Das, was seiner Meinung nach falsch läuft, sei symptomatisch für ein krankes Gesundheitssystem, in dem der Patient nur als Kostenfaktor gesehen wird. Der Elsteraner sieht aber auch gesetzliche Bestimmungen verletzt.
Seine Frau sei nach der ersten OP gerichtlich zum Betreuer bestellt worden und doch habe sie nicht alle Auskünfte erhalten. Die einzige Einwilligung zur OP habe er selbst noch unterschrieben. Die von ihm ausgefüllten Aufklärungsbögen habe sich offenbar kein Arzt noch mal angesehen. Dort hatte Ladewig angegeben, dass er zuvor einen Herzinfarkt hatte und Blutgerinnungshemmer nimmt und zudem an einer angeborene Schwellung innerer Organe leidet.
Ansonsten wäre, meint er, bezüglich der Darmkrebs-OP, die mehr oder weniger ein Routineeingriff sein sollte, möglicherweise eine andere Entscheidung getroffen worden und ihm alles Nachfolgende erspart geblieben. Dass er dieses Buch schreiben würde, habe er in den Kliniken immer wieder angekündigt.
Ladewig hat ein humorvolles Wesen, mit dem er manches überspielt. „Die haben gezweifelt, ob ich noch richtig im Kopf bin, nach vielen Narkosen soll es ja zu Verwirrungszuständen kommen.“ Er packte seine Geschichte in den Rahmen eines Selbsthilfegruppen-Gespräches.
„Als es fertig war, ist eine Riesen-Last von meinen Schultern gefallen“, sagt er. Aber die Realität bleibt: Obwohl er „ab Brusthöhe aufwärts“ wie er selbst sagt, keinen leidenden Eindruck macht, ist es offen, ob Wolfgang Ladewig jemals wieder aufstehen kann.
Was Halt gibt
Das Buch ist auch eine Hommage an seine Frau, an die und bedingungslose und gegenseitige Liebe. „Nur so konnte ich Gevatter Tod immer wieder entkommen.“ Nachdem er zwischen Wachsein und Halluzination geflüstert hatte: „Ich kann nicht mehr“, schrieb sie ihm einen Brief. Dass sie es verstehen würde, wenn er geht, ihn aber liebe bis in den Tod.
Sie haben viel miteinander geweint in dieser Zeit. Andrea Ladewig hat das so sehr geprägt, dass sie sich beruflich neu orientierte. Seit Januar arbeitet die 54-Jährige beim Augustinuswerk als Betreuerin in der Pflege. Sie weiß, was Schwerstkranke vor allem brauchen: Zuwendung.
Wolfgang W. Ladewig, „Der finalen Endlösung ausgeliefert – Ich, mein Körper und die Götter in Weiß“, Independent-Verlag Marc Latza, ISBN 978-3-96518-003-1, 13,99 EURO. 2(mz)