1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Landkreis Mansfeld-Südharz
  6. >
  7. Nostalgie im Südharz: Nostalgie im Südharz: Vor 95 Jahren verkehrte zum letzten Mal eine Postkutsche

Nostalgie im Südharz Nostalgie im Südharz: Vor 95 Jahren verkehrte zum letzten Mal eine Postkutsche

Von Helga Koch 26.02.2018, 11:46
Als sei die Zeit stehen geblieben, kommt die Postkutsche mit den stattlichen Schimmeln daher.
Als sei die Zeit stehen geblieben, kommt die Postkutsche mit den stattlichen Schimmeln daher. Archiv

Stolberg - „Ich war neugierig“, gesteht Wolfgang Ball aus Magdeburg. Gemeinsam mit seiner Frau fuhr er im Oktober mit der Postkutsche von Stolberg nach Uftrungen zur Heimkehle und zurück. Wie lange der Ausflug gedauert hat, könne er im Nachhinein nicht mal mehr so genau sagen: „Mit Mittagessen, Führung durch die Höhle, Hin- und Rückfahrt - vielleicht fünf Stunden?“

Schon seit 2006 rollt in den Sommermonaten von Stolberg aus eine Postkutsche. Freilich nur noch als Attraktion für Touristen, die zum Beispiel bei „Jochen Schweitzer“ buchen können.

Vor 95 Jahren verkehrte die Postkutsche zum letzten Mal

Die Fahrten der „echten“ Postkutsche, mit der über viele Jahrzehnte mehrmals täglich die Post zwischen Rottleberode und Stolberg befördert wurde, sind längst Geschichte. Am 23. Februar 1923, vor 95 Jahren, verkehrte die Postkutsche hier zum letzten Mal. Wenige Tage später, am 1. März 1923, rollte der erste Zug auf der neu gebauten Bahnstrecke bis in die Fachwerkstadt.

Für Wolfgang Ball, Anfang 60, war es vor allem „der Reiz, wie in vergangenen Zeiten zu reisen und dieses Gefühl nachzuempfinden“, erzählt er. „Mir war nicht bewusst, wie langsam das geht. Man könnte zu Fuß nebenher laufen.“ Das Klischee, wonach Pferde in höllischem Tempo die Kutsche hinter sich herziehen, treffe überhaupt nicht zu.

Am besten habe ihm gefallen, sagt Ball, auf der kleinen Bank hinter dem Aufbau zu sitzen und die Landschaft an sich vorbeiziehen zu lassen. „Ein Genuss!“ Selbst das Drumherum vor dem Beginn der Fahrt sei aufregend gewesen: als die Pferde gebracht, die Kutsche aus der Remise geholt und die Tiere eingespannt wurden…

Fahrgäste sind begeistert vom Ausflug mit der Postkutsche

Sonja Kirchner, die in der Stolberger Niedergasse die „Alte Posthalterei“ betreibt und die Postkutschtouren anbietet, hat oft Ähnliches von den Fahrgästen gehört. „Die meisten kommen aus Brandenburg, aus der Börde oder der Umgebung von Berlin. Also aus Gegenden, wo die Leute mehr pferdevernarrt sind als beispielsweise in Halle.“ Einfach mal den alltäglichen Stress zu vergessen und bewusst ganz langsam unterwegs zu sein, bedeute für viele Touristen eine gänzlich neue Erfahrung.

In alten Ausgaben des Stolberger Anzeigers hat Kirchner nachgeforscht, wer vor 100 Jahren mit einer Postkutsche auf Reisen ging: „Zum Beispiel Medizinalräte, kirchliche Oberhäupter oder höhere Beamte aus ganz Deutschland. Stolberg war ja Residenzstadt.“ Wie teuer aber eine Fahrt von Stolberg nach Leipzig, Halle, Eisleben oder Nordhausen war, wisse sie nicht. Doch immerhin: „Die Fahrt von Berlin nach Hamburg und zurück kostete mit der Postkutsche das Monatsgehalt eines mittleren Beamten.“

So weit würde heutzutage - trotz des Erlebnisses - niemand mehr mit einer Pferdekutsche unterwegs sein wollen, auch wenn sie viel bequemer ist als damals. Stattdessen stehen Halbtags-, Tages- und Mehrtagesausflüge zur Wahl. Zum Beispiel durch die Goldene Aue, rund um den Kelbraer Stausee, künftig vielleicht auch nach Stangerode - aber erst wieder ab Mai.

Freie Termine gebe es unter der Woche genug. „Nur an den Wochenenden im Mai und Juni geht gar nichts mehr“, sagt Kirchner. „Da ist alles ausgebucht.“ (mz)